2017. Martin Luthers Reformation wird 500 Jahre alt. Gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung haben sich auch f1rstlife-Autorinnen und Autoren mit dem Reformator, aber mehr noch mit ihren ganz persönlichen Gedanken über Leben und Glauben auseinandergesetzt. Die Essays wurden nun in einem Buch unter dem Stichwort Luther 5.0 gebündelt.

Dem Volk „auf das Maul schauen”. Das war die Maxime von Martin Luther, dem eigensinnigen Augustinermönch und Reformator aus dem 16. Jahrhundert. Luther verstand es, direkt und anschaulich, bisweilen aber auch derbe und polemisch, in der Sprache der damaligen Menschen zu predigen. Auch seine Bibelübersetzung, die bis heute als Lutherbibel verwendet wird, spiegelt die damalige Art und Weise zu sprechen.
Schwierige Glaubensfragen anschaulich zu erläutern und weiterzugeben, war seine Motivation. Wer etwas zu sagen hat, muss aber auch hören können. Gerade heute sind die Kirchen in der Verantwortung und in der Pflicht, den Adressaten der frohen Botschaft des Christentums zunächst einmal zuzuhören: Was bewegt die Menschen in unserer Zeit? Welche Sorgen, welche Freuden, welche Hoffnungen haben sie? Und was bedeutet ihnen Gott? Wie können sie ihn bei allem Stress und allen Verpflichtungen in Schule und Uni, bei der Arbeit oder in der Freizeit finden? Nur so kann es evangelischer wie katholischer Kirche überhaupt gelingen, die befreiende Botschaft des Evangeliums Jesu Christi wirklich weiterzugeben und von dieser aus Antworten auf drängende Fragen der Menschen anzubieten.
Martin Luther einmal anders
Dass es im Vorfeld des Reformationsjubiläums bereits eine ganze Flut von Büchern über Martin Luther gegeben hat, wissen Marcus Nicolini, Clemens W. Bethge, Marion Gardei und Bernd Krebs, die Herausgeber von Lebenswichtig. Luther 5.0. Trotzdem wollten auch sie vor Abschluss der Luther-Dekade ein Buch über den Reformator herausbringen. In dieser Veröffentlichung geht es aber nicht etwa darum, ob die Ideen und Reformen Martin Luthers gut oder schlecht, richtig oder falsch waren. Es wird auch nicht die inzwischen zurecht immer drängendere Frage diskutiert, ob ein so heftiger Antijudaist wie Luther überhaupt noch als Vorbild im Glauben taugt. All diese Problemfelder bedürfen natürlich weiterer Bearbeitung und Diskussion. Dies insbesondere innerhalb derjenigen Kirchen, die sich auf Martin Luther berufen, aber natürlich auch im Rahmen des ökumenischen Dialogs und des gesellschaftlichen Diskurses über den Stellenwert des lutherischen Denkens in Deutschland.
Die Herausgeber haben es anders gemacht. Anlässlich des Reformationsjubliäums haben sie 23 junge Menschen – Schüler, Studierende und junge Berufstätige – danach gefragt, was sie existenziell umtreibt. Wie sie sich selbst finden. Wie sie nach Gott fragen. Wie sie mit ihren Mitmenschen zusammenleben. Ihr Ziel war es, diese jungen Menschen unaufdringlich mit Martin Luther und seiner damaligen Denk- und Lebenswelt zu konfrontieren.
„Wir wollten die jungen Autorinnen und Autoren nicht in die Welt reformatorischen Denkens pressen, nicht versuchen Luther in die heutige Zeit zu übertragen.” Dafür war die Zeit Martin Luthers viel zu radikal anders als die unsere. Trotzdem haben die jungen Autoren jeweils ein Lutherzitat mitgegeben bekommen. Einige haben sich damit in ihrem Essay auseinandergesetzt, bei anderen steht es kommentar- und zusammenhangslos oberhalb ihres jeweiligen Textes.
Acht der 23 jungen Menschen, die sich an dem Buch beteiligt haben, sind auch bei f1rstlife als Autorinnen und Autoren aktiv. Darüber freuen wir uns natürlich ganz besonders. Deswegen folgt nun ein kurzer Streifzug durch ihre Essays.
Selbstsein – mit Gott sein – mit anderen sein
Fritz Koop erinnert sich in seinem Essay an die schwierige Frage kurz nach dem Abi: „Wie geht es jetzt weiter? Was wird aus mir?“ Statt seinen Werdegang rational durchzuplanen, entschied Fritz sich letztlich, seinen Emotionen zu folgen: Nicht nur einen Beruf, sondern eine Berufung will er finden. Fritz weiß: Gerade wenn man 50 bis 60 Stunden in der Woche arbeiten muss, wird die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ schnell zu jener nach dem „Sinn der Arbeit“. Er will arbeiten mit Sinn, mit Motivation. Heute, nach einiger Arbeitserfahrung, ist er realistischer und bescheidener, aber dennoch weiter auf der Suche nach seiner Berufung und seinem beruflichen Glück.
Johanna Gremme nimmt uns mit auf eine Zugfahrt durch ihr Leben. Sie fragt sich: Wo gehöre ich hin? Wohin führen mich die Gleise, die ich eingeschlagen habe? Es gibt viele Gleise, viele Abzweigungen. Johanna fuhr in ihrem Leben bereits viele unterschiedliche Bahnhöfe an. Familie und Freunde sind ihr Heimatbahnhof. Sie weiß, dass es ihr im Leben passieren kann, auch einmal die falsche Abzweigung zu nehmen. Aber auf dem Abstellgleis landen will sie nie. So sucht sie ihren Weg, denn sie weiß bereits, „er ist da“.
Andrea Schöne lässt uns in ihr Leben als Kleinwüchsige eintauchen. Sie nimmt uns mit in ihre belastenden Erinnerungen: die Schwierigkeiten mit den Grundschullehrern, ihr jahrelanges Leiden am Mobbing der Klassenkameraden im Gymnasium. Der Leser kann sich aber auch mit ihr freuen: Als sie auf Musikfestivals mit Freunden aufblühen durfte und wie sie ihre Leidenschaft im Einsatz für Behinderten- und Menschenrechte entdeckte. Auch auf ihren vielen Auslandsaufenthalten hat sie gelernt, trotz aller möglichen Barrieren nie aufzugeben und letztlich so zu leben, wie es sie glücklich macht. Mit ihrer Behinderung.
Janine Ponzer hat Ähnliches erlebt. Auch sie sehnte sich nach Verständnis und Anerkennung. Sie hatte einen Tick, ständig mit den Augen zwinkern zu müssen. Sie litt darunter. Sie hielt sich für komisch. Bis sie in der Schule die Musik als ihre Leidenschaft entdeckte. „Du kannst ja voll gut singen!“ Komplimente, Anerkennung wie diese, bestärken Janine darin, ihrem Glück und ihren Zielen nachzugehen. Ihr Augentick verschwand kaum merklich. Jetzt hat sie das Abitur hinter sich und freut sich auf den Lebensabschnitt und die Chancen, die vor ihr liegen.
Benedikt Bögle fragt sich, wie er sich vom Bekennermut Martin Luthers inspirieren lassen kann, wenn ihn sein Theologiestudium bei Gesprächen mit Freunden einholt und er für seinen Glauben abermals Rechenschaft ablegen muss. Luther hat nicht geschwiegen. Auch Benedikt will nicht schweigen, wenn ihn jemand auf einer Party oder sonst wo im Sinne von 1 Petr 3,15 nach der Hoffnung fragt, die ihn erfüllt.
Joanna Rachel Hammer glaubt an Gott. Die f1rstlife-Autorin kennt aber auch den Zweifel. Doch damit weiß sie sich Luther verbunden, denn auch er hat gezweifelt. Gerade angesichts von Leid und Gewalt in der Welt, aber auch in ihrem eigenen Lebensumfeld, fragt sie, warum Gott nichts tut. Mit vielen Menschen kann sie nicht über ihren Glauben sprechen. Was ihr hilft, ist der Gemeinschaftsgeist in ihrer Jugendkirche. Wer gemeinsam zweifelt, kann auch gemeinsam glauben. Das bestärkt Joanna im Glauben und in der Hoffnung, dass Gott auch in schweren Zeiten da ist.
„Wo gehöre ich hin?“, ist die Leitfrage des Essays von Lea Ochssner. Sie vergewissert sich ihrer Identität und was ihr Heimat bedeutet. Zumal sie zwei Jahre lang in Italien in einer WG mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammengelebt und in Malta Flüchtlingskinder erlebt hat. Wie sehr diese Menschen wohl die Frage nach ihrer Identität und Zugehörigkeit bedrängte? Offen und immer lernbereit bleiben will Lea, denn Identität findet man nie nur im Alleingang.
Lena Apke geht der großen Frage nach dem Glück nach. Während ihrer Zeit in Bolivien musste sie lernen, wie sehr sich doch unsere Maßstäbe vom Glück unterscheiden können. Ihre Zeit dort war belastend, aber auch bereichernd. Fand sie doch heraus, wie kalkuliert und standardisiert sie dem Glück zuvor nachgejagt ist. Wie man es halt als Abiturientin in Deutschland so macht. Sie weiß jetzt: Das kleine Glück ist näher als man denkt. Man muss es nur erhaschen und genießen, so wie es ihr die Menschen in Bolivien gezeigt haben.
Fazit
Dieses Lutherbuch ist erfrischend anders. Dabei ist Martin Luther hier streckenweise eher eine Randfigur. Er steht nicht im Vordergrund, sondern die existenziellen Fragen und Antwortversuche junger Menschen von heute. Neben den Essays der f1rstlife-Autorinnen und -Autoren sind natürlich auch noch spannende Beiträge weiterer junger Menschen dabei, deren Lektüre sich ebenfalls lohnt.
Letztlich verbindet sie alle genau eines mit Luther: Den großen Fragen des Lebens und des Glaubens nicht ängstlich auszuweichen; sie vielmehr bewusst, mit Tiefgang und aus der je persönlichen Lebenssituation heraus anzugehen – ohne aber gleich Reformator werden zu müssen. Es zeugt von Mut, dass sie andere mit diesem Buch an ihren sehr persönlichen Gedanken teilhaben lassen. Und genau das macht es so lesenswert. Findet man sich als junger Leser doch manchmal selbst in vielen der hier auf lebendigem sprachlichem Niveau geäußerten Sorgen, Hoffnungen, Ängsten und Glaubensbekundungen wieder.
Bethge l Gardei l Krebs l Nicolini (Hg.): Lebenswichtig. Luther 5.0. Gedanken junger Menschen und Martin Luthers. Hentrich und Hentrich Verlag, Berlin 2017, 156 Seiten ISBN: 978-3-95565-176-3, 14,90 €.
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