Auch in Zeiten einer steigenden Anzahl an Vegetariern greift der Großteil der Deutschen weiterhin gerne zum Steak: Rund 60 Kilogramm Fleisch isst jeder von uns im Durchschnitt pro Jahr. Und diese „Fleischeslust“ wird gerne möglichst preiswert gestillt. Für die Tiere bedeutet das ein Leben in beengter Haltung inklusive Antibiotika. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will nun mit einem Label für mehr „Tierwohl“ gegensteuern.
Ob aus Ignoranz, Resignation oder ganz einfach Bequemlichkeit – für die meisten Deutschen ist beim Fleisch der Preis nach wie vor das entscheidende Kaufkriterium. Bioware, die häufig fast doppelt so teuer ist wie Fleisch aus der konventionellen Massentierhaltung, gilt noch immer als Nischenprodukt.
Ist uns Deutschen das Wohl der Tiere also egal? Die Antwort: Nein, eigentlich nicht. Wie auch sonst lassen sich die emotionalen Debatten über Vegetarismus, Veganismus und Fleischkonsum erklären? Laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband wären rund zwei Drittel der Verbraucher bereit, für eine bessere Tierhaltung tiefer in die Tasche zu greifen. Diese Bereitschaft besteht aber nur so lange, wie sich die Verbraucher sicher sein können, dass es für das Mehr an Geld auch ein Mehr an Tierschutz gibt. Lebensmittelskandale der letzten Jahre haben ihre Spuren hinterlassen und unser Misstrauen geweckt.
Gütesiegel zum Wohl der Tiere?
Mit diesen Unsicherheiten soll nun Schluss sein. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) plant ein Label für mehr „Tierwohl“. Das staatliche Tierschutzlabel soll Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung kennzeichnen. Entsprechende Produkte sollen auf der Verpackung mit dem Gütesiegel gekennzeichnet werden und den Verbrauchern somit Orientierung bieten. Diese können dann selbst entscheiden, ob sie für höhere Standards mehr Geld ausgeben wollen. Die Details stellte der Agrarminister im Januar auf der Agrarmesse „Internationale Grüne Woche“ in Berlin vor. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung soll das Label in die zwei Stufen Standard und Premium aufgeteilt werden. Diese unterschieden sich in ihren Anforderungen, beispielsweise bezüglich Platz, Spielmaterial und Futter. Die genauen Kriterien will Schmidt gemeinsam mit den Erzeugern von Fleischprodukten definieren. Sein Anspruch: Standards für eine artgerechte Tierhaltung, die deutlich oberhalb der gesetzlichen Vorgaben liegen.
Die Pläne des Bundeslandwirtschaftsministers stimmen zunächst einmal optimistisch. Der Schwachpunkt ist aber schnell gefunden: Das Label ist für die Erzeuger nicht gesetzlich verpflichtend. Es stellt sich die Frage: Brauchen wir ein weiteres freiwilliges Gütesiegel? Allein für Fleisch gibt es in Deutschland über 90 solcher Siegel. Diese sind eigentlich als Orientierungshilfe gedacht, doch bei der großen Anzahl dürften sie mittlerweile einen gegenteiligen Effekt haben. Für den Verbraucher ist es vor Ort schwer zu erkennen, welches Siegel für welche Kriterien steht. Einige Gütesiegel sind bekannter als andere – auch das ist nicht immer ein Zeichen von Qualität, sondern schlichtweg für gelungenes Marketing. Eine Vergleichbarkeit über alle Fleischprodukte hinweg wird nicht ermöglicht.
Dabei wäre ein solches Vorhaben mit einem per Gesetz verordnetem Label durchaus möglich. Dafür plädiert auch der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer. Nach dem Vorbild der vierstufigen Kennzeichnung für Eier fordert er eine verpflichtende, einheitliche und bundesweite Kennzeichnung von Fleischprodukten. Die Agrarministerkonferenz habe dazu bereits Vorschläge unterbreitet. „Herr Schmidt müsste diese Empfehlungen nur umsetzen“, so der Grünen-Politiker gegenüber dem NDR.
Verpflichtende Kennzeichnung auf Bundesebene wünschenswert
Bisher wirkt das „Tierwohl“-Label eher wie der missglückte Versuch, eine Besserung in der konventionellen Fleischproduktion herbeizuführen. Nach heutigem Stand soll das Label 2017 oder 2018 umgesetzt werden. Wenn dieser Vorstoß ernsthaft weiterverfolgt werden soll, erscheint eine Zusammenarbeit mit den Ländern sinnvoll, um die bisherigen Initiativen zu bündeln und auf Bundesebene zu verwirklichen. Auch von Erfahrungen existierender Label, wie dem Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, sollte profitiert werden.
Eine Kennzeichnung in mehreren Stufen, wie sie auch der Deutsche Tierschutzbund vorsieht, kann durchaus sinnvoll sein. Die zugrundeliegenden Kriterien müssen aber so transparent kommuniziert werden, dass auch ohne langatmige Recherchen die Unterschiede für den Verbraucher klar ersichtlich sind. Bei der Definition von Kriterien stellt sich zudem die Frage nach der Anhebung gesetzlicher Standards, um für alle Tiere in deutschen Ställen zumindest ein Mindestmaß an artgerechter Haltung zu garantieren.
Aus Verbrauchersicht ist eine transparente Kennzeichnung von Fleischwaren wünschenswert. Im Idealfall entscheiden sich dadurch mehr Menschen für Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung, die sich an ihren natürlichen Lebensbedingungen orientiert. Bis eine solche Regelung eingeführt wird, hilft für den Verbraucher nur eins: beim Metzger nachfragen und sich vorab über die Kriterien der Gütesiegel informieren. Oder Vegetarier werden.
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