Wie Kommunikation im politischen Geschäft funktioniert, kennt Michael Mertes aus eigener Erfahrung. Als Chefredenschreiber von Helmut Kohl und Staatssekretär hat er die Zyklen der Macht miterlebt und sie in seinem Buch analysiert: Wie hat die Ampelkoalition nach der Ära Merkel ihren Aufstieg geschafft? Sprechen Politiker heute wirklich so ähnlich und was ist von einer Amtsbegrenzung wie in den USA zu halten?
Den 1. Teil und/oder den 2. Teil des Interviews verpasst? Hier kannst Du ihn nochmal nachlesen.
Herr Mertes, der Wahlkampf von Bundeskanzler Olaf Scholz wurde nach dem Prinzip „Sie kennen mich“ geführt. Das ist kein klassischer Aufstieg, in dem ein „Zauber“ innewohnt.
Na ja, die SPD hat im Wahljahr 2021 die Chance gewittert, zum ersten Mal seit 2005, als Gerhard Schröder die Bundestagswahl knapp verlor, wieder Kanzlerpartei zu werden. Das diszipliniert die Flügel und hält sie davon ab, allzu heftig zu flattern. Man kann, wie Sie es tun, die Entpolitisierung des deutschen Publikums in den vergangenen Jahren als Grund dafür sehen, dass Olaf Scholz eine Strategie der Profillosigkeit für aussichtsreich hielt – nach dem Motto: Auch von mir bekommt ihr ein Deutschland, in den ihr gut und gerne lebt!
Es hat ja geklappt, wenn auch nicht mit überwältigendem Erfolg: 25,7 Prozent sind kein Erdrutschsieg, aber wenn der Hauptkonkurrent, die Union, bei 24,1 Prozent landet, reicht das allemal für den Einzug ins Kanzleramt.
Die Ampelkoalition (SPD-FDP-Grüne) hat ihren Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ betitelt. Große Begeisterung ist ausgeblieben. Warum?
„Fortschritt“ ist ein leerer Begriff. Er lässt sich mit allen möglichen Inhalten füllen. Vielleicht taugte er gerade deshalb als gemeinsamer Nenner für das Bündnis von drei zum Teil sehr unterschiedlichen Parteien. Wenn ich es richtig sehe, ist die Epoche der naiven Fortschrittsgläubigkeit längst vorbei. Das Wort „Fortschritt“ hat seine unwiderstehliche Aura verloren. Es hat nur noch das polemische Potenzial, politische Gegenpositionen als „rückschrittlich“ zu brandmarken.
Wie hätte aus dem Fortschritt ein Aufstieg werden können?
Intellektuell wäre es durchaus reizvoll, einmal darüber nachzudenken, was „fortschrittlich“ in der Politik bedeuten kann. Dazu müssten wir über die Richtung diskutieren, in die unser Land fortschreiten soll. Und wir müssten über die Maßstäbe sprechen, mit denen wir Fortschritt messen. Die Technologie bietet uns solche Maßstäbe nicht. Um es an einem drastischen Beispiel zu erläutern:
Ist die Guillotine ein Fortschritt gegenüber dem Scheiterhaufen und der Elektrische Stuhl ein Fortschritt gegenüber der Guillotine? Technisch gesehen ja, ethisch gesehen nein. Fortschrittlich ist nach meiner Überzeugung die Abschaffung der Todesstrafe. Zu dieser Aussage komme ich aber nur, wenn ich den Wert des menschlichen Lebens als Maßstab nehme und nicht die Leistungen der Ingenieure.
Viele Politiker-Statements unterscheiden sich kaum voneinander. Würde das nicht die Debatte und das Interesse an Politik wiederbeleben?
Hand aufs Herz: Ist es denn nicht so, dass in Deutschland harte politische Auseinandersetzungen äußerst unbeliebt sind und als „Parteiengezänk“ gelten? Dass man Harmonie besonders liebt und für alternativlos hält? Dass man heftiges Kopfnicken erntet, wenn man sagt: „Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Schon in Goethes Faust hören wir: „Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied!“
Gute Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie führt: Sie muss einerseits „die Menschen mitnehmen“, wie es im Politjargon so treffend heißt, und sie muss andererseits den Mut haben, gegen Widerstände durchzusetzen, was sie nach bestem Wissen und Gewissen für richtig hält. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Führung honoriert wird – auch von denen, die anfangs dagegen waren. Denken Sie nur an die Gründung der Bundeswehr in den 1950er-Jahren. Das war ein unpopuläres Vorhaben.
Dennoch hielt Konrad Adenauer standhaft daran fest – und erzielte Rekord-Wahlergebnisse. Was passiert, wenn man es versäumt, die Menschen „mitzunehmen“, zeigt das kommunikative Debakel um das Gebäudeenergiegesetz. Ich bin nicht kompetent genug, den Gesetzentwurf fachlich zu beurteilen. Ich weiß nur, dass eine gute Kommunikation vor allem dann nötig ist, wenn man sich anschickt, den Wählerinnen und Wählern Lasten zuzumuten.
In den USA ist es üblich, die Regierungszeit eines Präsidenten auf maximal zwei Amtsperioden zu begrenzen, insgesamt also maximal acht Jahre. Wäre das auch in Deutschland denkbar, etwa um auf dynamische Herausforderungen unserer Zeit gezielter zu reagieren?
Bei der Frage der Amtszeitbegrenzung spielt eine entscheidende Rolle, ob wir es mit einer präsidentiellen Republik oder einer parlamentarischen Demokratie zu tun haben.
In präsidentiellen Republiken ist die Machtfülle des vom Volk gewählten Staatsoberhaupts so groß, dass die Sorge besteht, er könne sich zum Monarchen aufschwingen. Daher sind dort Amtszeitbegrenzungen in Gestalt des Verbots einer zweiten Wiederwahl üblich. Was nur wenige wissen: Erst seit 1951 verbietet die US-Verfassung eine dritte Amtszeit des Präsidenten. Die Praxis davor beruhte auf dem Vorbild des ersten Präsidenten George Washington, der freiwillig auf eine zweite Wiederwahl verzichtet hatte.
Aber bei Ihrer Frage ging es ja nicht um freiwilligen Amtsverzicht, sondern um eine zwingende Befristung. Da ist die geltende Rechtslage in Deutschland eindeutig: Die vom Grundgesetz garantierte Freiheit des Abgeordnetenmandats lässt es einfach nicht zu, dem Parlament zu verbieten, zum dritten oder vierten Mal dieselbe Person ins Bundeskanzleramt zu wählen. Das ginge nur mit einer Verfassungsänderung, die meines Erachtens aber ein Fremdkörper in unserem politischen System wäre; zu diesem System gehört nicht nur die Freiheit des Abgeordnetenmandats, sondern auch die vom Grundgesetz anerkannte Funktion der Parteien.
Angesichts von vielerlei Desinteresse, Vertrauensverlust und kommunizierten Krisen: Herr Mertes, wäre das nicht mal ein guter Zeitpunkt für große Träume, klare Ziele und mehr Taten als Worte?
Aus Ihrer Frage spricht mir zu viel Vertrauen in die Wirkung starrer Regelungen. Ich glaube eher an Aushandlungsprozesse, auch wenn sie zäh sein können und bei manchen die Sehnsucht nach einer „starken Hand“ oder einem „Machtwort“ wecken. Eine gute Verfassung bietet den Rahmen für atmende Stabilität, das heißt für einen ausgewogenen Mix von Kontinuität und Wandel. Machtwechsel in einer parlamentarischen Demokratie sollten keinem Fristenautomatismus unterworfen werden.
Zwingend notwendig ist allerdings, dass die Dauer der Legislaturperiode unverrückbar feststeht, da darf es keine Flexibilität geben. Nach jeder Wahl werden die Karten neu gemischt. Wer von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht oder auf ein politisches Engagement verzichtet, sollte sich nicht über „die da oben“ beschweren. Der Staat, das sind wir alle.
Herr Mertes, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Über das Buch „Zyklen der Macht“ hat f1rstlife-Chefredakteur Timo Gadde mit Michael Mertes nach seinem Vortrag für die Jakob-Christian-Adam-Stiftung und das Seniorenhaus St. Josef in Meckenheim gesprochen. Mehr über das Buch von Herrn Mertes erfahrt Ihr hier: https://www.amazon.de/Zyklen-Macht-Stagnation-Aufstieg-Niedergang/dp/3416040848
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