Pio von Pietrelcina rief schon zu Lebzeiten Widersprüche hervor: Während ihn die einen als Heiligen verehrten, hielten andere ihn für einen Betrüger. An seinem Körper zeigten sich die Wundmale Jesu, die sogenannten Stigmata. Von Benedikt Bögle.
Pio von Pietrelcina war eigentlich ein ganz normaler Priester. 1887 wurde er in Pietrelcina im Süden Italiens geboren und trat schon mit 16 Jahren dem Kapuzinerorden bei. Obwohl Pio oft krank war und unter Tuberkulose litt, studierte er Theologie und wurde 1910 zum Priester geweiht. Zunächst lebte er aufgrund seiner schlechten Gesundheit nach der Priesterweihe nicht mehr in seinem Orden, sondern fünf Jahre lang bei seiner Familie in Pietrelcina, wo er auch die Aufgabe eines Hilfspfarrers übernahm. 1916 konnte er in seinen Orden zurückkehren, zwei Jahre später kam dann die große Wende seines Lebens: An seinem Körper zeigten sich die Wundmale Jesu, die sogenannten Stigmata.
Die Wundmale Jesu
In der Kirchengeschichte wird dies immer wieder von heiligen Menschen berichtet. Der heilige Franziskus von Assisi soll die Wundmale getragen haben, ebenso im 20. Jahrhundert Therese Neumann aus der bayerischen Oberpfalz. Wer diese Wundmale Jesu trägt – so die Vorstellung – sei auf eine ganz besondere, tiefe Weise in das Kreuz und das Leiden Jesu Christi hineingenommen. Jesus hatte am Kreuz gelitten und war dort verwundet und getötet worden. Dieses Leiden und dieser Tod ist für Christen das große Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen.
Skepsis der Kirche
Allerdings lösen Stigmatisierungen in der Kirche auch immer Skepsis aus – so auch im Fall von Pater Pio. Denn grundsätzlich besteht ja immer die Möglichkeit, dass eine Person sich diese Wundmale, etwa an den Händen, selbst zugefügt hat. Bei Pater Pio wurde das immer wieder intensiv erforscht. So wurde etwa bekannt, dass er bei einem Apotheker chemische Substanzen gekauft hatte. Die könnten dazu verwendet worden sein, die Wunden an den Händen offen zu halten und eine Heilung zu verhindern. Andererseits: Pater Pio war in seinem Orden offenbar für die medizinische Ausstattung verantwortlich – auch dazu hätte er die Chemikalien gekauft haben können.
Großer Zulauf
Die Kirche jedenfalls war skeptisch – vor allem Papst Johannes XXIII. Schon zuvor war dem Priester kurzzeitig die Erlaubnis entzogen wurden, in der Beichte das Sakrament der Versöhnung zu spenden. Den Erfolg des Pater Pio konnte alle Skepsis indes nicht verhindern: Immer mehr Menschen kamen zum Kloster in San Giovanni Rotondo, um den Priester zu sehen, mit ihm Messen zu feiern oder bei ihm zu beichten. Pater Pio soll Kranke durch Handauflegung geheilt und sich manchmal gleichzeitig an zwei Orten aufgehalten haben.
Pater Pio errichtete in San Giovanno Rotondo mit Spendengeldern auch ein Krankenhaus, das „Casa del Sollievo della Sofferenza“, damals eines der modernsten Krankenhäuser Italiens. Spätestens mit Papst Johannes Paul II. änderte sich auch die Haltung der Kirche. Der Papst verehrte Pater Pio und sprach ihn 1999 selig, 2002 heilig – und dass, obwohl Pater Pio erst 1968 gestorben war. In der jüngeren Kirchengeschichte war bis dahin noch niemand so schnell kanonisiert worden. Bis heute ist Pater Pio vor allem in Italien einer der beliebtesten Heiligen. Sein Grab wird jährlich von rund sieben Millionen Menschen besucht.
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