Aufgewachsen in einer engen Zweizimmer-Wohnung. Sein Vater war im Krieg gefallen. Seine alleinerziehende Mutter arbeitet Tag und Nacht und kann ihre Kinder kaum aufwachsen sehen. Für eine gute schulische Laufbahn fehlt es den Schröders an Geld. Einfach hat es Gerhard Schröder in den Verhältnissen, in denen er aufwächst, nicht gerade. Doch sein Ehrgeiz, Machtwille und sein strategischer Weitblick bringen Schröder eines Tages vom Rande der Gesellschaft an die Spitze der Politik. Gregor Schöllgen zeichnet die Höhen und Tiefen des Lebens von Gerhard Schröder in einer Biographie nach.

Kaufmann wollte er ursprünglich werden. Diesen Traum erfüllt sich Gerhard Schröder auch, als er nach seinem Realschulabschluss eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei der Firma August Brand absolviert. Diese Ausbildung reicht dem jungen Schröder allerdings nicht aus, sodass er auf dem Zweiten Bildungsweg sein Abitur nachholt. Nach dem Erwerb der Hochschulreife zieht es ihn nach Göttingen, wo er ein Studium der Rechtswissenschaften beginnt. Dort fängt auch seine politische Karriere bei den Jusos an.
Unterwegs durch die Dörfer Hannovers – Die „Schrödertour“
Er arbeitet sich schließlich zum SPD-Fraktionsvorsitzenden, Oppositionsführer und Ministerpräsidenten des niedersächsischen Landtags zum Bundestagsabgeordneten hoch, bis er als Bundeskanzler an die politische Spitze Deutschlands gelangt. Bis dahin ist es jedoch ein steiniger Weg. Jeden Sommer begeht der Ministerpräsident seine alljährliche Tour, die auch gerne „Schrödertour“ genannt wird, durch die Dörfer Hannovers, wo er sich jedem Ortsverein und jeder Gemeinde vorstellt. Vierzig Stationen fährt er in zwei Wochen ab – dabei sind etliche Journalisten. Dieses Engagement wird sich später auch im Wahlkampf bemerkbar machen.
Doch nicht nur in der Politik beweist er einen großen Kampfgeist, sondern auch im Sport. Wenn er nicht gerade in einer Plenarsitzung weilt, bei einem seiner vielen Pressetermine erscheint oder sich einer neuen Ortsgemeinde vorstellt, spielt er leidenschaftlich gerne Fußball und Tennis. Noch mit siebenundvierzig Jahren macht der „Vollblutsportler“ das Goldene Sportabzeichen – und zwar mit beeindruckenden Werten!
Angekommen an der Spitze der Politik: Schröder wird Bundeskanzler
Am 27. Oktober 1998 ist es dann endlich soweit: Gerhard Schröder setzt sich gegen seine Konkurrenz durch und wird Bundeskanzler. Dieser feierliche Sieg bedeutet für den frisch gebackenen Kanzler allerdings auch den Abschied von seinen Kollegen, Freunden und Ämtern aus Hannover. Während Frau und Kind vorerst in Hannover bleiben, zieht Schröder in „Deutschlands wahrscheinlich mächtigste WG“ nach Bonn, so beschreibt sie Frank Walter Steinmeier. Dort teilt er sich eine Etage mit Michael Naumann, dem damaligen Kulturstaatsminister.
Kaum im Amt, holt der politische Alltag den Kanzler schnell ein: Die Steuerreform, der Einstieg in eine zukunftsfähige Energieversorgung, die Reform der Altersvorsorge, eine grundlegende Justizreform, eine Bildungs- und Qualifizierungsoffensive, ein Bündnis für Arbeit und Ausbildung, eine Reform des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung, der Umbau des Gesundheitswesens sowie die Etablierung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts bilden die Themen des ersten Koalitionsvertrags der SPD mit den Grünen. Das kommt jedoch nicht bei allen Wählern gut an. Auch der Bundeskanzler muss im Nachhinein zugeben: „Wir haben uns am Anfang zu viel vorgenommen und es zu schnell realisieren wollen.“ Doch die ersten hundert Tage im Amt werden auch in anderer Hinsicht nicht gerade einfach. Im März 1999 tritt Oskar Lafontaine – für alle Seiten überraschend – vom Amt des Finanzministers zurück. In der gleichen Zeit wird ein EU-Sondergipfel einberufen, in dem die gesamte EU-Kommission zurücktritt. Der Kanzler muss in kürzester Zeit wichtige Entscheidungen treffen.
Stärken und Schwächen des Bundeskanzlers
Dass aber gerade darin seine Stärke liegt – nämlich in überraschenden Situationen schnell zu handeln, beweist der Kanzler mehrfach. So zum Beispiel während der Flutkatastrophe 2002 in Teilen Ostdeutschlands. Dort initiiert Schröder den größten Hilfseinsatz der Bundeswehr in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. In Gummistiefeln findet er sich noch am Tag der Katastrophe in den betroffenen Gebieten ein. Mit dieser Eigenschaft geht aber gleichzeitig auch eine Schwäche Schröders einher: Viele Überlegungen seinerseits werden nicht bis zum Ende durchdacht und des Öfteren stellt er seine Partei vor beschlossene Tatsachen. Während er dafür im Inland viel Kritik erntet, wird er im Ausland umso mehr geschätzt. So beispielsweise als um die Frage des Irakkrieges geht und er einem militärischen Einsatz dort mit einem klaren „Nein“ begegnet. Diese Entscheidung wird ihm im Nachhinein noch hoch angerechnet.
Kühl und emotionslos? – Der Kanzler kann auch anders!
Der oft sehr emotionslos und kühl wirkende Medienstar wird plötzlich zum ernsten Staatsmann, als er sich im März desselben Jahres dazu gezwungen sieht, zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen in den Kosovo zu schicken. „Meine Seele hat im politischen Leben schweren Schaden genommen – … weil in meinen Händen das Schicksal und das Leben anderer Menschen lagen“, so Schröder zum Bosnien-Krieg. Als Schröders Kanzlerschaft im Herbst 2005 nach siebenjähriger Amtszeit endet, sieht man auch während des Großen Zapfenstreiches, wo nach seinem Wunsch „My Way“ von Frank Sinatra gespielt wird, Tränen in seinen Augen glitzern.
Der Historiker Gregor Schöllgen zeichnet Schröders Leben und Wirken sowohl im politischen als auch im privaten Bereich sehr detailliert nach. Zeitgenossen – ob Verwandte, Kollegen, Freunde oder Feinde kommen hier zu Wort und äußern sich darüber, wie sie Schröder als Privatperson sowie als Politiker kennengelernt haben. Eine sehr gründliche Recherche wurde hier an den Tag gelegt – der Autor hatte schließlich auch einen uneingeschränkten Einblick in alle Akten Schröders. 1.040 Seiten ist das Buch insgesamt lang – und damit die bislang ausführlichste Biographie über den Altkanzler. Darin liegt allerdings auch gleichzeitig die Schwäche des Buches. An nicht wenigen Stellen erfolgt die Beschreibung zu detailliert – der Autor driftet ab und erläutert sehr ausschweifend Ereignisse der Zeitgeschichte, kommt jedoch nicht auf den Punkt und verliert daher an der einen oder anderen Stelle den roten Faden. Insgesamt dennoch ein gelungenes Buch, das sehr reflektiert das Leben Schröders nachzeichnet.
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