Kathrin und ihr Mann sind vor einigen Jahren aus Deutschland ausgewandert. Seitdem leben sie in der arabischen Welt, die sie lieben und schätzen. Aber manchmal macht sich die junge Mutter Sorgen, ob ihre Kinder etwas verpassen, weil sie nicht in Deutschland aufwachsen? Eine Kindheit zwischen zwei Kulturen.
Vor mehr als fünf Jahren beschlossen mein Mann und ich, in der arabischen Welt zu leben. Als wir nur als Ehepaar hier lebten, fiel es mir sehr leicht, mich an die andere Kultur anzupassen und sogar gewisse Praktiken zu übernehmen. Es gab so viel zu lernen und anders zu machen. Wie sehr schätze ich doch die Gastfreundschaft und offene Art der Araber. Doch seit ich Kinder habe, geht es nicht mehr nur um mich und darum, wie mir die Kultur gefällt. Ich habe jetzt zwei kleine Kinder, die auch irgendwie merken, dass sie zwischen zwei Kulturen leben.
Unterschiedliche Kindheitserinnerungen
Als ich meine Tochter Amilia letzte Woche vom Kindergarten abholte, fragte ich sie, wie ihr Tag war. Sie sagte nur: „Mama, ich will nicht mehr in den Kindergarten, ich habe keine schwarzen Haare wie all die anderen Kinder!“ Bis auf diesen Vorfall scheint es meine beiden Kinder jedoch nicht zu stören, in der arabischen Welt aufzuwachsen. Sie kennen ja nichts Anderes und das Leben in der arabischen Welt ist ihr „Normal“.
Ich selber ertappe mich jedoch dabei, wie ich meiner Tochter Amilia und meinem Sohn Julius von Deutschland vorschwärme: Ich erzähle Amilia, wie wir früher als Kinder im Schnee gespielt und Weihnachtsplätzchen gebacken haben, im Sommer an den See zum Baden gefahren sind und uns beim Erdbeerenpflücken auf den Feldern satt gegessen haben. All das kennen meine beiden Kinder nicht.
Ihre Kindheit ist einfach anders als meine. Immer wieder ertappe ich mich mit der Angst, ob ich meinen Kindern wohl etwas dadurch wegnehme, dass sie nicht in Deutschland aufwachsen dürfen. Doch idealisiere ich meine Kindheit in Deutschland vielleicht zu sehr und sehe dabei gar nicht, wie anders und besonders die Kindheit in der arabischen Welt ist?
Arabische vs. deutsche Essgewohnheiten
Für meine fast dreijährige Tochter Amilia ist Deutschland ein Ort, an dem es Gummibärchen gibt und ihre Omas und Opas wohnen. Aber anstelle von Wald, Brezeln und Winter sind Wüste, Datteln und Hitze die Normalität in ihrem Leben. Wenn wir eine arabische Familie besuchen oder Besuch empfangen, ist es ganz normal für uns alle, auf dem Boden zu sitzen. Amilia ist meist die Erste, die nach den Datteln greift, wenn diese serviert werden. Auf dem Boden steht auch immer eine Schüssel Wasser.
Da mit den Händen gegessen wird, wäscht man sich vor dem Essen immer die Hände in dieser Schüssel ab. Auch das muss ich Amilia nicht erklären, wenn wir mit den Händen essen. Auf der anderen Seite kennt sie natürlich auch die andere „normale“ Esssituation: Zuhause, wenn wir nur als Familie unsere Mahlzeiten zu uns nehmen, sitzen wir so, wie wir es aus Deutschland gewöhnt sind, am Tisch. Amilia wird regelmäßig ermahnt, richtig auf ihrem Stuhl zu sitzen und nicht herumzuhampeln. Sie weiß auch, dass sie am Tisch mit Messer, Gabel und Löffel und nicht mit Händen zu essen hat.
Neues Land, neue Erfahrungen
Mein Sohn Julius ist erst ein paar Monate alt und braucht sowieso noch nicht viel mehr als seine Eltern. Aber trotzdem beginnt seine Kindheit so ganz „anders“: Schon in den ersten Tagen nach seiner Geburt kommen ihn im Krankenhaus viele Menschen besuchen und er wird herumgereicht. In den darauffolgenden Wochen kommen unterschiedliche Nachbarn und Freunde vorbei, die ihn einfach herumtragen und sich an ihm freuen. Die Milch, die er zu trinken bekommt, ist gefüllt von arabischem Essen, das fürsorgliche Nachbarn vorbeibringen. Und wenn er draußen an der frischen Luft ist, betrachtet er Palmenblätter statt Laubwälder.
Ich glaube, ich muss einen neuen Gedanken annehmen: Ich nehme meinen Kindern nichts dadurch weg, dass ich sie in einem anderen Land als Deutschland aufwachsen lasse. Klar, sie verpassen viele schöne und positive Dinge in Deutschland. Aber auf der anderen Seite gebe ich ihnen auch die Möglichkeit, viele „andere“ Erfahrungen zu machen, die sie in Deutschland nie machen könnten.
Antonia
Liebe Kathrin,
vielen Dank für deinen Artikel!
Das hört sich für mich nach einem großen Schritt an, in ein anderes Land auszuwandern und dort deine Kinder aufzuziehen.
Was ich mich die ganze Zeit gefragt habe, ist, in welchem Land bzw. in welcher Stadt du lebst. Im Artikel sprichst du nämlich immer wieder von „der arabischen Welt“ – der Begriff wird von vielen Menschen verwendet, ich persönlich finde ihn allerdings problematisch. Denn im Vergleich bzw. Gegenzug wird ja auch nicht von „der europäischen Welt“ gesprochen, sondern du denkst bei deiner Heimat ja wahrscheinlich auch an ganz bestimmte Orte oder Regionen (oder? – jedenfalls Orte mit Laubwäldern und Erdbeerfeldern, mit Seen und wo es schneit).
Für mich wirkt das oft sehr generalisierend, da ich den Begriff so verstehe, als würde die Kultur der Bewohner*innen mehrerer Länder und eine ganze große geographische Region über einen Kamm geschert.
Gleichzeitig wird der Begriff aber gar nicht geklärt – was meinst du persönlich denn mit „arabischer Kultur“?
Ich würde mich freuen, von dir zu hören.
Antonia
Kathrin
Hallo Antonia
tut mir Leid, dass ich jetzt erst antworte. Ja, natürlich gibt es nicht DIE arabische Welt, sondern jedes Land hat noch einmal eigene Sitten und Traditionen. Das ist mein zweites arabisches Land in dem ich momentan lebe, und nach mehr als zwei Jahren werde ich immer wieder aufs neue überrascht, wie anders die beiden Länder im Vergleich zueinander sind.
Ich habe mich einfach nur dazu entschieden aus Sicherheitsgründen nicht zu veröffentlichen in welchem Land ich mich befinde 🙂 – deshalb die Verallgemeinerung – die ich leider selber überhaupt nicht mag.