Leipzig, das neue Berlin? Regelmäßig wird die Stadt inzwischen belächelnd zur „neuen Hipsterhauptstadt“ degradiert. Leipzig ist viel günstiger, alternativer, naturnäher und lebenswerter, finden viele. Doch was steckt hinter den Liebesbekundungen zur Osthauptstadt? Ich lebe seit zweieinhalb Monaten hier in Leipzig und habe mich mittlerweile, denke ich, gut eingelebt. Und ich muss gestehen: auch ich habe mich mit dem mysteriösen „Leipzigfieber“ infiziert.
Zugegeben, meine Erwartungen waren nicht groß, als ich vor zweieinhalb Monaten nach Leipzig zog, um hier für fünf Monate ein Praktikum zu absolvieren. Bereits einige Wochen zuvor war ich zum ersten Mal hierhergekommen und hatte mir ein erstes Bild von der Stadt machen können. Damals wusste ich noch nicht, dass es mich bald hierher verschlagen würde und war überhaupt nicht beeindruckt von dem, was ich sah. Heruntergekommene, besprayte Häuser in den Vororten und eine überlaufene Innenstadt mit den gleichen Geschäften wie in jeder anderen Stadt. Gut, mehr habe ich an dem halben Tag wirklich nicht gesehen. Die Euphorie über den neuen Wohnort hielt sich folglich in Grenzen und ich ließ die Schwärmereien, in die einige meiner Freunde diesbezüglich ausbrachen, skeptisch über mich ergehen.
Industriecharme und ganz viel Grün
Dann kam ich her, fand nach nervtötender WG-Suche die WG mit der weltbesten Mitbewohnerin in einem bezaubernden Altbau im aufblühenden Leipziger Westen – Sonnen-Balkon, Industriecharme und den Karl-Heine-Kanal vor der Haustüre inklusive. Es war relativ schnell um mich geschehen. In den nächsten Wochen entdeckte ich die Stadt – und die Liste meiner Lieblingsorte wurde immer länger. Wenn in Leipzig die Sonne am frühen Nachmittag ihre wärmenden Strahlen auf die Erde schickt, bevölkern wahre Menschenmassen den Clara-Zetkin-Park, der sich durch den westlichen Teil der Stadt zieht. Der verlockende Grillduft, durch dessen Wolken ich mit meinem Fahrrad düse, das viele Grün, das bunte Leben draußen, all das macht mir sofort gute Laune.
Reiche Geschichte und Kultur
Auch geschichtlich und kulturell hat Leipzig so einiges zu bieten. Neben einer interessanten DDR-Geschichte, der man unter anderem im Zeitgeschichtlichen Forum und dem DDR-Museum nachspüren kann, ist sie außerdem auch „Musikstadt“: unter anderem mit Bach, Wagner, Mendelssohn-Bartholdy und Schuhmann lebten und wirkten hier einige der weltberühmtesten Musiker. Auch lohnt ein Besuch im Zoo oder der Aufstieg auf den MDR-Turm, von wo aus man einen fantastischen Blick auf die Stadt hat. Leipzig war außerdem seit dem Mittelalter eine der wichtigsten deutschen Handelsstädte, Schauplatz einer blutigen Völkerschlacht gegen Napoleon 1813 und der friedlichen Revolution vor dem Mauerfall. Einige Museen haben einmal im Monat freien Eintritt – es lohnt sich also, sich vorher kundig zu machen.
Leipzig – Studenten- und Künstlerstadt
Besonders junge Leute finden in Leipzig alles, was das Herz begehrt. Die Stadt ist studentenfreundlich und günstig – bis auf den Nahverkehr – was vor allem an den Mietpreisen bemerkbar ist. Wo findet man sonst noch ein WG-Zimmer für unter 200 Euro warm und unsanierte Altbauwohnungen? Leider geht auch hier der Preistrend mittlerweile nach oben. Trotzdem strömen die Menschen unaufhaltsam in die Stadt. Das Publikum ist dabei zwar bunt gemischt, allerdings fällt auf, dass sich vor allem junge Familien, Studenten, Künstler und Alternativlinge hier wohlfühlen. Für viele junge Start-Up-Unternehmen und verschiedenste Kunst- und Kulturprojekte ist Leipzig daher der perfekte Standort. Während die Studentenzahlen stetig steigen, scheint es wohl sogar auch bereits über die Landesgrenzen hinausgedrungen zu sein, dass es sich hier gut leben lässt: an fast allen Ecken hört man Englisch, Spanisch und andere Sprachen. Ich lerne immer wieder Menschen kennen, die vor einigen Jahren für das Studium hierherzogen sind und die die Stadt seitdem nicht mehr losgelassen hat.
Die Hotspots der Stadt
Für viele der heißeste Place-to-be: die berühmte „Karli“ (Karl-Liebknecht-Straße) in der Südvorstadt, die mit zahlreichen Kneipen, Restaurants und Cafés Jung und Alt lockt und besonders im Sommer einlädt, bei einem Kaffee das Treiben zu beobachten. Wenn jetzt im Sommer die Temperaturen wieder über 25 Grad steigen, pilgern Menschenkarawanen zum „Cossi“, dem Cospudener See, der quasi direkt vor der Haustür liegt. Wenn man dort am Strand liegt und den ruhigen See vor sich liegen hat, vergisst man glatt, dass man sich gerade einmal 15 Kilometer entfernt von einer 530.000-Einwohner-Stadt befindet. Für die Mittagspause oder den entspannten Abend tut es jedoch auch einer der vielen Parks, wie der riesige Clara-Park, der Lene-Voigt Park oder der Palmengarten. Ein Geheimtipp, der mittlerweile gar nicht mehr so geheim ist: das hippe Plagwitz im Südwesten Leipzigs. Hier hat die Karl-Heine-Straße durchaus Potenzial, die neue „Karli“ zu werden: kleine, gemütliche Cafés reihen sich an abwechslungsreiche Essensbuden, die von internationaler Küche bis hin zur komplett veganen Speisekarte alles bieten, und kleine Lädchen. Der Kanal lädt zu einem idyllischen Spaziergang oder zum Verweilen am Kanalufer ein oder kann auch per Boot erkundet werden.
Mein Fazit: Leipzig punktet überall
Es fällt definitiv schwer, dem Charme der Stadt zu widerstehen. Die Kombination aus viel Grün, schmucken Altbauten, ein klein wenig Großstadtfeeling und der trotzdem überschaubaren Größe sowie den vielen Freizeitmöglichkeiten und Kulturangeboten hat es auch mir angetan. Wer überlegt, zum Studium nach Leipzig zu ziehen, der wird die Entscheidung also ganz sicher nicht bereuen. Und: wer trotzdem gerne in der pulsierenden Hauptstadt ist – in gerade einmal zwei Stunden ist man auch in Berlin.
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