Die Jugend von heute interessiert sich nur für sich selbst und schon gar nicht für Politik? Stimmt nicht, wie ich als Wahlhelferin für die diesjährige Europawahl erfahren konnte. Dabei beschränkt sich die politische Partizipation nicht nur auf die „Fridays-for-Future“-Bewegung, sondern reicht in fast jede soziale Debatte.

Seit 1994 war die Wahlbeteiligung für die Europawahl in Deutschland noch nie so hoch wie in diesem Jahr: Waren es in der vorherigen Europawahl 2014 nur 48 Prozent, so traten gestern etwas mehr als 60 Prozent der wahlberechtigten Deutschen an die Wahlurne, um ihre Stimme abzugeben. Dieser Trend ließ sich auch in anderen EU-Ländern feststellen: Insgesamt lag die Wahlbeteiligung in Europa bei knapp über 50 Prozent – so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Die rege Wahlbeteiligung konnte ich bei meinem Dienst als Wahlhelferin auch in den Wahllokalen spüren – und war überrascht: Zwar waren Wähler*innen über 60 Jahre nach meinem subjektiven Empfinden immer noch in der Überzahl, jedoch nahmen auch deutlich mehr junge Wähler*innen unter 30 Jahren teil, als ich angenommen hatte. Dieses Empfinden wurde auch von unserer Wahlvorsitzenden unterstützt, die nach eigenen Aussagen „die Mitte“, also die Altersgruppe 40 bis 50 Jahre, vermisste.
Die Jugend wird lauter
Keine Frage: Spätestens nach Greta, „Fridays-for-Future“ und den Debatten um das Urheberrecht haben die meisten begriffen, dass sich „die jungen Leute“ deutlich politischer äußern, als dies vor ein paar Jahren der Fall war. Politischer Netzaktivismus wird lauter und auch einflussreicher, wie das virale Video des Youtubers Rezo beweist. Social Media macht es einfacher, Informationen einzuholen, Gleichgesinnte zu treffen und sich zusammen zu schließen. Allen voran die Generation Z, also die von 1997 bis 2012 Geborenen, zeigt sich entschlossen kampfbereit und fordert die herrschenden Parteien dazu auf, endlich gehört zu werden. Sei es der Klimaschutz, der Kampf für mehr Gleichberechtigung oder gegen den Rechtsruck in Europa – eine Jugend, die schweigend erträgt, existiert schon lange nicht mehr.
Das merke ich auch im Wahllokal, denn von dem achtköpfigen Wahlvorstand, sind wir vier Leute unter 30 Jahren. Von den jungen Wählern kamen viele laut eigener Aussage zum ersten Mal. Anfangs schüchtern, war es doch oft ein zufriedener Gesichtsausdruck, den viele nach ihrer allerersten Stimmabgabe hatten.
Politik verändert sich
Ganz offensichtlich wächst eine neue Wählerschaft heran, die sich auf vielfältige Weise informiert, mit dem Internet als wichtigste Quelle. Und sie fordern Veränderungen – und dass am liebsten eher heute als morgen. Das mag die etablierten Parteien verunsichern – sind sie doch gerade gegen einfache Antworten – doch Fakt ist, dass gerade Nichtstun aktuell konsequent mit dem Entzug der Wählerstimme bestraft wird. Anstatt den Aktivismus der „jungen Leute“ zu belächeln, gilt es, die Stimme der jungen Wählerschaft endlich ernst zu nehmen und die Sorgen und Nöte in das politische Programm mit einzubeziehen. Werden die großen Volksparteien dem nicht gerecht, könnte das erhebliche Folgen mit sich tragen, denn eins ist klar: Mit der jungen Generation erreicht eine Gruppe das Wahlalter, dass sich nicht davor scheut, mal eben die politische Parteienlandschaft in Deutschland auf den Kopf zu stellen.
Im Wahllokal sind wir uns nach Auszählung der Stimmen einig, dass dieser Tag ein guter Tag für die europäische Demokratie war. Doch noch ist nicht alles getan. Viele gerade junge Menschen haben zwar eine fundierte politische Meinung, finden jedoch nicht den Willen sich zu engagieren oder wählen zu gehen. Die Gründe sind vielfältig und reichen von schlichter Faulheit bis hin zu dem Gefühl, sowieso nichts ausrichten zu können. Schuld daran ist ein für viele noch immer undurchschaubares Politiksystem, das weit weg vom alltäglichen Leben erscheint. Hier muss seitens der Medien aber auch in der Schule noch mehr getan werden, denn nur wer Demokratie versteht, kann sich damit auch auseinandersetzen.
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