Der Klimawandel ist in vollem Gange – die halbe Welt brennt und Westdeutschland versinkt in den Fluten. Wann begreifen wir endlich, dass es im Wahlkampf wichtigere Themen gibt als nicht gekennzeichnete Zitate und aufpolierte Lebensläufe?, fragt sich unser Autor Hannes.

Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft vor Extremwetterlagen im Zuge des Klimawandels. Während wir zuletzt mehr oder weniger bestürzt auf Waldbrände und Flutkatastrophen im Ausland schauten, trifft uns nun selbst ein verheerendes Starkregen-Ereignis. Ganze Städte und Dörfer werden verwüstet. Es gibt Tote und Vermisste. Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen.
Wehret den Anfängen!
Die Unwetter im Westen Deutschlands seien vorhersehbar gewesen, so Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am Freitag im „ZDF-Morgenmagazin“. Zwar habe man Ort und Zeit nicht weit im Voraus bestimmen können, aber über kurz oder lang musste es zu einer solchen Katastrophe kommen. „Dass wir eine Häufung der Ereignisse haben und dass wir damit eben auch solche Ereignisse – vielleicht sogar noch schlimmere – in Zukunft erwarten müssen, das haben unsere Studien gezeigt“, erläutert Hattermann weiter. Auch für das über Westdeutschland festhängende Tiefdruckgebiet hat Hattermann eine Erklärung: „Das hängt tatsächlich mit den steigenden globalen Temperaturen zusammen. Der Motor für unsere Westwinde, die unsere Wetterlagen über Europa treiben, ist der Temperaturunterschied zwischen Äquator und Arktis und der wird im Moment geringer, weil das Arktis-Eis sehr stark schmilzt. Dadurch kommt dieser Motor ein bisschen ins Stocken und die Wetterlagen haben die Möglichkeit, sich zu manifestieren.“ Der Auslöser für das Starkregenereignis in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist also eindeutig der Klimawandel.
Hirschhausen attackiert Laschet
Am Donnerstagabend verweist Armin Laschet bei Maybrit Illner auf die großartigen Leistungen der Bundesregierung in der Bekämpfung des Klimawandels. Die Große Koalition bewege in diesem Bereich deutlich mehr als viele andere Regierungen zuvor. Diese Ansicht darf berechtigterweise ein wenig verwundern, wenn man bedenkt, dass die Bundesrichter in Karlsruhe erst kürzlich das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für verfassungswidrig erklärt haben, da es spätere Generationen benachteilige. Dr. Eckart von Hirschhausen spricht daher deutlich aus, was sich womöglich mancher Fernsehzuschauer im Stillen gedacht hat: Laschets Darstellungen seien schlichtweg „Bullshit“. Das Hochwasser in Westdeutschland sei „eine Katastrophe mit Ankündigung“. Die „Scientists for Future“ hätten eindringlich vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Im August 2020 seien in Deutschland mehr Menschen einen Hitzetod gestorben, als es im gleichen Monat COVID-19-Tote gab.
Schluss mit Ad-hominem-Argumenten
Derzeit beschränkt man sich im Wahlkampf darauf, den politischen Gegner persönlich zu diffamieren. Annalena Baerbock bekommt dies deutlich zu spüren. Ihr Lebenslauf wurde als aufgehübscht kritisiert, ihr Sachbuch sei in Teilen ein Plagiat. Genauso könnte man Olaf Scholz‘ Verbindung zur Wirecard-Affäre oder dem CumEx-Skandal thematisieren. Dass Armin Laschet als Uni-Dozent Noten gewürfelt und Klausuren verschlampt hat, spricht auch nicht gerade für den Kandidaten der CDU. Doch hören wir auf, uns an den persönlichen Verfehlungen der Kanzlerkandidaten aufzuhängen und sprechen wir endlich über Themen! Und hier im Besonderen über die Klimapolitik. Schauen wir uns deshalb genauer an, was die drei Parteien fordern, die jeweils einen Kanzlerkandidaten beziehungsweise eine Kanzlerkandidatin ins Rennen geschickt haben.
Nach Ansicht der Großen Koalition sollen die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke noch bis 2038 betrieben werden. Allerdings wird ein Teil von ihnen auch schon früher vom Netz gehen. Der Ausstieg geschieht also schrittweise. Im Wahlprogramm der Grünen heißt es: „Wir setzen uns dafür ein, den Kohleausstieg bis 2030 zu vollenden.“ Dies ist aber nur möglich, wenn der Strom aus der Braunkohle durch erneuerbare Energien ersetzt wird. Hier fordern die Grünen eine Ausrichtung auf Wind und Sonne. Bürokratiehürden für Solardächer sollen abgebaut und die Eigennutzung des Stroms erleichtert werden. Ganz Ähnliches fordert auch die Union: „Mit einem Sonnenpaket werden wir den Ausbau der Photovoltaik fördern. Genehmigungsverfahren für Photovoltaikanlagen wollen wir möglichst einfach über eine Onlineplattform gestalten.“ Auch die SPD sieht in der Solarenergie die Zukunft und formuliert ehrgeizig: „Unser Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und jedem Rathaus.“
Bei der Windenergie sind die Differenzen der Parteien größer. In Bayern gilt derzeit die 10-H-Regelung. Demnach muss der Abstand eines Windrads von Wohnungen mindestens zehn Mal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Die Grünen lehnen pauschale Mindestabstände ab, SPD und Union bleiben hier unklar. Die beiden derzeitigen Regierungsparteien fordern in ihren jeweiligen Wahlprogrammen Klimaneutralität bis 2045. Die Grünen geben ein früheres Ziel an: „Unser Ziel ist es, 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 zu erreichen. So kann Deutschland in 20 Jahren klimaneutral werden.“
Die Mär von der grünen Spritpreiserhöhung
Für einen riesigen Aufschrei sorgte Anfang Juni der Vorstoß Baerbocks, eine Erhöhung der Benzinpreise um 16 Cent anzustreben. Olaf Scholz äußerte sich in der BILD: „Wer jetzt einfach immer weiter an der Spritpreisschraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind.“ Auch Andreas Scheuer (CSU) äußerte sich kritisch. Dabei plant gerade die CDU die Erhöhung des CO2-Preises pro Tonne bis 2023 auf 55 Euro und 2024 auf 65 Euro. Die Grünen wollen einen Preis von 60 Euro pro Tonne CO2 schon 2023, was zu der bereits angesprochen Erhöhung der Benzinpreise um 16 Cent führt. Auffällig ist aber, dass der Benzinpreis 2023 auch beim Vorhaben der CDU nur knapp unter einer Erhöhung um 16 Cent liegen wird, im Jahr 2024 sogar darüber!
Zudem wollen die Grünen die EEG-Umlage senken und ein Energiegeld für Bürgerinnen und Bürger einführen. Das soll folgendermaßen aussehen: „Damit Klimaschutz sozial gerecht ist, wollen wir die Einnahmen aus dem nationalen CO2-Preis direkt an die Bürger*innen zurückgeben. Über das Energiegeld geben wir alle zusätzlichen Einnahmen transparent an die Menschen zurück und
entlasten sie direkt, indem sie eine Rückerstattung pro Kopf bekommen. So wird klimafreundliches Verhalten belohnt und es findet ein sozialer Ausgleich im System statt.“ So federn die Grünen also über das Energiegeld die Erhöhung der Benzinpreise ab.
Die Taktik der Union und der SPD ist klar und wurde von Anton Hofreiter (Grüne) treffend entlarvt. Es handle sich um eine „populistische Benzinwutkampagne“. Den Bürgerinnen und Bürgern soll Angst vor der CO2-Bepreisung durch die Grünen gemacht werden. Dabei haben die Regierungsparteien bereits einen ansteigenden CO2-Preis beschlossen – übrigens ohne Rückerstattung durch ein Energiegeld .
Dass wir deutlich mehr gegen den Klimawandel tun müssen, ist offensichtlich. Daher ist es auch höchste Zeit, dieses Thema im Wahlkampf mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Kein anderes Thema hat eine vergleichbare Dringlichkeit. Oder um es mit einem abgewandelten Zitat von Willy Brandt zu sagen: Die Bekämpfung des Klimawandels ist nicht alles, aber ohne die Bekämpfung des Klimawandels ist alles nichts!
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