Nachdem ich mich im Studium mit der Rolle von ‘nationalen Identitäten’ beschäftigt habe, interessierte ich mich zum ersten Mal intensiver für mein historischen Erbe in Bezug auf den Nationalsozialismus. Ich habe mich gefragt, was es eigentlich für mich bedeutet, Deutsche zu sein, und Vorfahren zu haben, die als deutsche Bürger die Kriegsverbrechen (mehr oder weniger tatenlos) miterlebten. Daher habe ich mit einer Frau gesprochen, die acht Jahre alt war, als der Zweite Weltkrieg ausbrach.
Wie war Ihr Leben während der Zeit des Nationalsozialismus gewesen?
In den Volksempfängern hörten wir von den Erfolgen der Deutschen: erst Polen, dann Frankreich. Wenn es etwas zu feiern gab, standen wir draußen, die Arme nach oben und sangen: „Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt“. Wir Frauen strickten Strümpfe für die Soldaten im Russlandkrieg. Uns wurde schnell bekannt, wenn jemand aus unserem Umfeld gefallen war.
Welche Gedanken und Gefühle hatten Sie in dieser Situation?
Natürlich war diese Ungewissheit schrecklich. Aber wir waren so erzogen worden, dass wir uns freuten, wenn die Deutschen vorankamen und siegten. Die Situation im Alltag war dagegen auch schwer: Es gab immer Lebensmittelmarken und eine Kleiderkarte. Meine Mutter kämpfte damit, genug Kleidung für uns zu haben. Nur die Bauern mit ihrer frischen Wurst konnten zum Beispiel bekommen, wenn sie bestachen.
War Ihnen nicht klar, dass Krieg schon im Vornherein schrecklich ist?
Nein, das war irgendwann ganz normal. Bomben gab es ja zuerst noch nicht. Bei Luftangriffen haben wir später nur zusammengesessen und gebetet. Unser Keller lag tiefer als bei anderen Häusern – und war oft voll, weil die Nachbarschaft bei uns Schutz suchte.
Aber Sie wurden offensichtlich Zeuge vom Judenhass und der Ausgrenzung!
Wir konnten als Einzelne wenig dagegen tun. Immer wenn wir Ungerechtigkeiten sahen, kam sofort die Polizei und schickte uns weg. Meinem Vater, der als Polizist tätig war, brach es das Herz, zu sehen, wie jüdische Männer und Frauen am Bahnhof getrennt wurden. Ein 10-jähriges Mädchen fragte einmal ihren Vater: „Wann sehen wir uns wieder?“ und er antwortete: „Vielleicht erst oben im Himmel.“ Das hat ihn nie losgelassen, auch wenn er selbst als Polizist Mitglied der NSDAP sein musste.
Wie war die Situation zu Hause?
Vater erzählte uns Kindern nichts. Ich war zwar neugierig, aber er erzählte nur meiner Mutter etwas, wenn wir schon schliefen.
Wieso haben Sie die Ideologie nicht hinterfragt?
Hitler hatte anfangs viel dafür getan, dass Bauern mehr Geld hatten. Auch das Kindergeld wurde eingeführt. Die ersten fünf Jahre hat Deutschland sehr viel wirtschaftliche Stärke zurückerlangt. Aber erst, als vielen Familien die Söhne genommen und für den Krieg eingezogen wurden, und die Juden abgeholt wurden, öffnet sich die Augen und wir erkannten, was dahintersteckte.
Was zählt heute, wenn Sie auf die schreckliche Zeit zurückschauen?
Nie wieder Krieg! Alles, aber nie wieder Krieg. Selbst schlechte, arme Jahre sind erträglicher als Krieg. Man stelle sich vor, wie schlimm die vielen Waffen heute wären. Sich zu töten ist das Schlimmste.
Kann sich so etwas heute in Deutschland wiederholen?
Davor muss man auf der Hut sein. Es beunruhigt mich, wie viele Menschen die AfD wählen. Gerade die Fremdenfeindlichkeit hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Dabei hat Angela Merkel viele Meinungsverschiedenheiten lösen und gut kommunizieren können. Ich wünsche mir, dass Ihr jungen Menschen in Frieden miteinander lebt, das ist das Wichtigste. Lasst keine Gehässigkeit gegenüber anderen Menschengruppen aufkommen.
Kathleen Kiernan
Liebe Grace,
Du hast einen tollen Artikel verfasst! Es war spannend zu lesen und es freut mich das du dich mit so einem Thema beschäftigst, weiter so!