Frau Schmidt, wie sind Sie zum Synchronsprechen gekommen?
Das Synchronsprechen ist ein klassischer Berufszweig. Ich habe vier Jahre lang Schauspiel studiert und in Städten wie Freiburg, Zürich, Reutlingen und Tübingen gelebt. Die Synchronarbeit begann ich aber erst Ende der 90er Jahre, als ich nach München kam, eine der vier großen Medienstädte. Ich habe mich als Schauspieler vorgestellt, der gern Synchronsprecher werden möchte. Heute gibt es den Begriff „Synchronsprecher“ gar nicht mehr. Wir sind mittlerweile „Synchronschauspieler“, da man das Synchronsprechen eben nicht mit einer klassischen Sprechertätigkeit vergleichen kann. Es gibt Sprecherjobs, da musst du anders agieren und auch anders arbeiten mit deiner Stimme, aber Synchronsprechen ist Schauspiel, wenn auch meist in dunklen Studioräumen.
Was kann „Sprechen“ besser als „Gestik“?
Die Sprache und vor allem die Stimme sind höchst lesbar für den Zuhörer. Unterbewusst. Die Stimme verrät alles. Im Theater kannst du das, was emotional in dir drin passiert natürlich noch mit Körpersprache und Gesten verstärken. Aber du kannst jede Emotion, jeden Zustand, selbst Kleinigkeiten auch nur mit der Stimme transportieren, wenn du es in dem Moment auch wirklich denkst und fühlst.
Ist es schwierig, sich immer an die vorgegebenen Richtlinien zu halten?
Im technischen Ablauf ist die Synchronarbeit anfänglich ziemlich stressig, weil du neben dem Rollenspiel auch noch viele andere Dinge berücksichtigen musst. Und es gibt auch manchmal Rollen, die nicht so leicht zu bedienen sind. Man schaut sich eine kurze Sequenz an und versucht dann möglichst schnell, die Gefühlslage sowie den Sprachrhythmus und die Pausen des Originalschauspielers zu übernehmen. Das ist teilweise Präzisionsarbeit. Und dabei muss man immer versuchen, der Figur gerecht zu werden. Es gibt aber auch manchmal Produktionen, der die deutsche Synchronisation gut getan hat, da es im Original z.B. ein paar schauspielerische Schwächen gab. Doch das kommt eher selten vor.
In der Serie „Ben 10“ haben Sie den großspurigen und angeberischen Jungen Ben synchronisiert. Ist es denn wichtig, sich in gewisser Weise mit der Figur identifizieren zu können und sie zu mögen?
Auf jeden Fall! Obwohl… man muss eine Figur nicht unbedingt mögen und kann sich als Schauspieler trotzdem mit ihr identifizieren. Außerdem habe ich ja nicht nur Ben gesprochen. Fast parallel dazu hatte ich in der Zeit auch noch eine andere große Jungenrolle, den Adam in „Mein Schulfreund ist ein Affe“. Das war für mich ein toller Erfolg. Und vor Ben war ich ja auch schon Pepito aus "Madeleines neue Abenteuer". All diese unterschiedlichen Figuren haben mir großen Spaß gemacht. Bei Ben mochte ich am meisten seine Frechheit und dass er immer so cool sein wollte.
Sie haben nicht nur Trickfiguren, sondern auch richtigen Schauspielern Ihre Stimme geliehen, wie zum Beispiel einer schrägen Mutter aus der Kinderserie „Meine peinlichen Eltern“. Macht es einen Unterschied, ob Sie richtige Menschen oder Zeichentrickfiguren synchronisieren?
Ja, es gibt schon einen kleinen Unterschied. Wenn du eine Trickfigur sprichst, machst du ja auch stimmlich oft eine Charge. Die musst du auch durchhalten können. Aber das Lippensynchron ist meist ein bisschen einfacher. Natürlich musst Du trotzdem auf die Labiale achten, das sind die Lippenverschlusslaute, auf Anfang und Ende, Timing und solche Geschichten.
Welche Möglichkeiten gibt es für Jugendliche, die sich professionell als Synchronschauspieler bewerben möchten?
Ich weiß, dass das bei einigen großes Interesse weckt. Normalerweise kommst du über eine Schauspielausbildung an so eine Möglichkeit, was man von jungen Leuten natürlich nicht erwarten kann. In dieses Metier rutschen auch viele „Insiderkinder“ rein, deren Eltern ebenfalls Sprecher, Regisseure oder Cutter sind, und die sich auch schon mal als Kind ausprobieren dürfen. Dabei werden immer wieder viele Talente entdeckt. Wichtig ist aber vor allem die eigene Reflektion: Habe ich einen Aussprachefehler? Nuschele ich? Wie hören sich meine Vokale an? Wie hört sich mein S und R an? Habe ich einen Akzent? Kann ich mich schnell in eine emotionale Situation hineinversetzen? Das sind alles wichtige Voraussetzungen. Es gibt auch immer mal wieder Synchron-Workshops. Und natürlich haben auch die Firmen Interesse an Nachwuchs, da besteht von unten immer wieder Bedarf. Du solltest Deine Lust daran zeigen, Deine Bereitschaft, und im Internet recherchieren, dort findest du auch Synchronfirmen. Neben deiner persönlichen Vita kannst du auch kurze Hörbeispiel im mp3-Format verschicken. Die sollten zeigen, was dich ausmacht, deine Stimme und deine spielerischen Fähigkeiten. Hier reichen zwei bis drei Files á 30 Sekunden, länger nicht. Such dir eine Rolle aus einer Jugendserie aus, ein Gedicht, eine Erzählung. Du kannst auch vorher mal anrufen und fragen, wie es die Firmen handhaben.
Sind Menschen, die gut singen können, auch als Synchronschauspieler geeignet?
Vor kurzem gab es einen Abend für Schauspieler, die noch nie in einem Synchronstudio waren. Da hat die Regisseurin gesagt, dass das Singen und ein musikalisches Talent von großem Vorteil sind, weil man das Timing und die Abstände zwischen Pausen intuitiver erfassen kann. Als Schauspielerin habe ich schon sehr viel singen müssen/dürfen, auch im Synchron kommt das immer mal wieder vor. Es ist also schon ein Vorteil, musikalisch zu sein.
Gibt es auch Grundübungen für jedermann, die das Sprechen besser machen?
Jeder kann zu Hause für sich üben, ganz klar. Es gibt auch Sprachübungsbücher. Aber nicht umsonst haben Stimme und Sprache auch einen längeren Part im Schauspielstudium. Du kannst z.B. mal versuchen, mit einem Korken zwischen den Zähnen zu sprechen. Wie hörst sich das an? Kann ich an meiner Artikulation etwas verbessern? Oder du versuchst einmal jemanden zu imitieren oder übst ein paar Zungenbrecher. Sich mit Sprache und Aussprache zu beschäftigen, ist der erste Schritt. Eine Grundbegabung sollte da sein, aber wer mit Leidenschaft und Energie und auch Fleiß an die Sache rangeht und auch ehrlich zu sich ist, der kann das Synchronisieren lernen.
Was braucht man als Synchronschauspieler, um wirklich erfolgreich sein? Reicht da eine gute Vita in der Sprecherkartei aus?
Das ein oder andere passiert auch mal mit “Vitamin B”, durchaus eine Komponente neben Begabung und auch dem Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Du musst auch Chancen erkennen können. Ich war da manchmal nicht so geschickt. Es gibt auch etliche Schauspieler, deren Talent zufällig entdeckt wurde, z.B. Franka Potente, die eine tolle Karriere gemacht hat. Und natürlich schummelt auch mal der ein oder andere Schauspieler in seiner Vita. Das würde ich jedoch nicht empfehlen, denn meist kommt die Unwahrheit irgendwann ans Licht.
Gab es schon Situationen, in denen Sie sich selbst fehlbesetzt vorkamen? Als Sie zum Beispiel im Studio standen und der Meinung waren, ihre Stimme passt im Grunde genommen gar nicht zu der Rolle?
Das ist eine ganz tolle Frage, weil es tatsächlich schon vorkam. Eher bei kleinen Rollen, da muss man sich dann vielleicht ein bisschen hinzwingen und es ist dann auch okay. Aber es kam auch schon mal vor, dass ich eine Rolle einfach nicht so erfüllen konnte, wie die Regie es sich vorgestellt hat. Man landet auch gern mal in einer Schublade, bei Rollenprofilen, die einem eigentlich gar nicht wirklich entsprechen, die man aber gut umsetzen kann. Dennoch, wenn du ins Studio kommst, solltest du versuchen, die Arbeit abzuliefern, die von Dir erwartet wird.
Emotionale Ausbrüche zu synchronisieren ist sicherlich nicht einfach.
Klar, und da kommt leider auch immer noch die technische Komponente dazu. Du musst sehr viel gleichzeitig berücksichtigen. Du hast einen Dialogregisseur, der vielleicht auch das deutsche Buch geschrieben hat, du hast einen Tontechniker. Die sitzen dann beide meistens hinter einer Glasscheibe. Und du hast einen Cutter im Studio. Alle drei können zeitgleich von dir was wollen. Dann muss man den Take wiederholen, obwohl er eigentlich schon super war, nur einen Tick zu lang. Auch die besten Sprecher brauchen manchmal acht Anläufe, damit ein schwieriger Take sitzt. Und wenn du weinen oder schreien und den Take immer wieder wiederholen musst, dann ist das anstrengend und somit auch Fleißarbeit. Es gibt auch viele Schauspieler, die sagen, dass das Synchronisieren nichts für sie ist. Die Zeit ist knapp, es gibt oftmals verschiedene Anweisungen, und dann hast du wieder nur ein paar Sekunden, es nochmals zu probieren. Sich vom technischen Ablauf nicht stressen zu lassen, den Take gegebenenfalls nochmals und nochmals und nochmals zu machen, das kann man lernen, das ist wichtig und gehört dazu, um wirklich gut zu sein. Ich kann von mir sagen, dass ich zwei Jahre gebraucht habe, bis ich den ganzen Ablauf so verinnerlicht hatte, dass ich mich im wesentlichen auf die Rollenumsetzung konzentrieren konnte.
Erhalten Sie im Voraus Infos zum Film oder zu der Serie, die Sie synchronisieren werden?
Die Synchrontermine kommen oft sehr kurzfristig rein, und meistens wissen wir nicht, was uns im Studio erwartet, was für ein Film das ist und welche Rolle man zu sprechen hat. Dann sehen wir im Aufnahmeraum nur einzelne Schnipsel vom Film, sogenannte Takes, und es ist manchmal schwer, einen Zusammenhang zu verstehen. Inhaltlich kann dir dann der Dialogregisseur weiterhelfen. Bei ganz großen Rollen kannst du dir das Material/den Film vielleicht kurz vorher in der Firma anschauen, rausgeben dürfen sie es nicht. Was schon öfters vorkam: Ich sitze im Kino oder vor dem Fernsehen, schaue mir einen Film an und hey, das bin ja ich, also meine Stimme, kam mir eh schon irgendwie bekannt vor, hatte nur schon wieder vergessen, dass ich darin eine Rolle gesprochen habe.
Frau Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!
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