Von einer friedvollen Welt können wir im Jahr 2016 nicht sprechen: Brutaler islamistischer Terror in Teilen Afrikas und der arabischen Welt, spannungsreiche Scharmützel zwischen Ukraine und Russland, Bürgerkriege in Ländern, die seit Jahrzehnten keinen Frieden mehr kennen. Der Terror in Frankreich, Bombendrohungen in Hannover. Auch Deutschland, welches heute scheinbar so friedlich da steht wie nie zuvor, fordern die internationalen Konflikte zunehmend heraus. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob es einen ‘Gerechten Krieg’ geben kann.

Gibt es einen Krieg, der Gerechtigkeit schaffen kann? Kann militärische Intervention ethisch legitim sein? Schwer vorstellbar! Zudem wird deutlich, wie komplex diese Fragestellung ist. Eigentlich könnte man meinen, der Mensch sei geprägt durch eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit. Dennoch bilden Krieg und Gewalt traurige Kapitel seiner Geschichte.
Die unmissverständliche Sprache des Neuen Testaments
Ein Christ müsste im Grunde jede Form von Gewalt und Krieg ablehnen. So heißt es in den Seligpreisungen der Bergpredigt unmissverständlich: „Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben“ (Mt 5,5). Statt des Auge-um-Auge-Prinzips ruft Jesus Christus dazu auf, keinen Widerstand zu leisten, wenn uns einer etwas Böses antut, vielmehr „wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ (Mt 5,38-42). Als die römischen Soldaten ihn gefangen nehmen wollen, weißt er seinen Begleiter an: „Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,51-52). Es lässt sich zusammenfassen: Jesus Christus ist ein Pazifist, der sprichwörtlich keiner Fliege etwas zu leide tun kann.
Spiritualisierung von Krieg und Gewalt
Unter dem Ruf „Deus lo vult“, Gott will es, sammelte sich das christliche Europa 1095 auf Befehl Papst Urban II., um das Heilige Land und die Stadt Jerusalem von der islamischen Herrschaft zu befreien. Mit dem Symbol des Kreuzes auf der Rüstung folgte ein jahrhundertelanges Blutvergießen im Namen Gottes. Nachdem die islamischen Machthaber die christlichen Stätten verwüstet hatten, galt deren Befreiung als oberste christliche Pflicht. Die Kreuzzüge wurden als gottgewollt stilisiert und in der Selbstwahrnehmung zum ‘Gerechten Krieg’. Der einzelne Kreuzfahrer sollte durch den Griff an das Schwert nicht nur Aussicht auf militärischen und finanziellen Ruhm haben, sondern auch die Vergebung seiner Sünden erlangen.
Solche religiösen Motive für Krieg oder Verfolgung sind jedoch kein Einzelfall, vielmehr haben sie die Menschheit immer wieder angetrieben Waffen und Gewalt zu nutzen. Im Alten Orient wurden die Götter im Orakel vor Kriegen befragt, das Alte Testament kennt den „Krieg Jahwes“, der Erste Weltkrieg galt als „heiliger deutscher Krieg“, in dem die Soldaten ihr „heiliges Blut“ vergossen haben und islamistische Terroristen kämpfen heute unter dem Ruf „allāhu akbar”, Gott ist groß, den Dschihad.
Die Lehre vom ‘Gerechten Krieg’
Ausgehend von Platon und Cicero findet die Lehre vom ‘Gerechten Krieg’ über Augustinus bis hin zu Thomas von Aquin Eingang in das Christentum. Sie gilt bis heute als die maßgebliche ethische Theorie, wenn es um die normative Beurteilung von staatlicher Gewaltanwendung geht. Wie verträgt sich aber die Androhung oder Anwendung von körperlicher Gewalt bis hin zur Zerstörung von Eigentum und Leben mit der streng pazifistischen Lehre Christi?
Platon (* 427/428 v. Chr.) stellt in seinem Hauptwerk Politeia die gesellschaftliche Harmonie in den Vordergrund. Wird diese gestört, so gibt es das legitime Recht zur Verteidigung bis hin zur Gewaltanwendung. Für Cicero (* 106 v. Chr.) kommen Formalitäten wie der Versuch von Verhandlungen, die öffentliche Kriegsandrohung und -erklärung, sowie das gerechte Maß als wesentliche Voraussetzungen hinzu. Direkt auf die Bergpredigt nimmt Augustinus (* 354) Bezug. Er sieht den Frieden als gemeinsames Interesse von Kirche und Staat. Um die gesellschaftliche Einheit zu schützen, ist für ihn ein Krieg als Friedensdienst legitim. Ein ‘Gerechter Krieg’ müsse somit als Ziel den Frieden haben, ein Unrecht zur Voraussetzung, den Befehl einer Autorität (Gott oder Fürst) und die Einhaltung der Gebote Gottes. Mit aller Strenge verurteilt er jedoch jene Kriege, die aus Gier, Grausamkeit, Wildheit oder Lust an der Überlegenheit geführt werden. Schließlich stellt auch Thomas von Aquin (* um 1225) die Ausrichtung des ‘Gerechten Krieges’ auf Frieden und Schutz des Gemeinwohls in den Mittelpunkt. Die Entwicklung der Lehre vom ‘Gerechten Krieg’ läuft nach Thomas auf drei wesentliche Grundaspekte hinaus:
1. Ein bevollmächtigter Befehlsführer, nach heutigem Verständnis ein demokratisch gewähltes Parlament,
wie beispielsweise der Deutsche Bundestag
2. Ein gerechter Grund
3. Die rechte Absicht, wie der Schutz des Gemeinwohls und des Friedens
Eine Frage ohne Antwort
Der Humanist Erasmus von Rotterdam (* 1466) prüfte die Kriege der Menschengeschichte auf die Voraussetzungen eines ‘Gerechten Krieges’. Er kam zu dem Ergebnis, dass kein Krieg diese je voll erfüllt hat. Inwiefern das für die Kriege nach Erasmus bis in die heutige Zeit zutrifft, ist jedem zur Beurteilung selbst überlassen. Die Frage, ob es einen ‘Gerechten Krieg’ geben kann, muss eigentlich unbeantwortet bleiben. Viel zu sehr ist in die Beantwortung das Gewissen des Einzelnen involviert. Was ist ein gerechter Grund oder eine rechte Absicht und wer kann das allgemein gültig definieren? Wie lange hätte Nazideutschland seine Schreckensherrschaft weiterführen können, hätte es keine Invasion der Alliierten gegeben? Dienen Waffenlieferungen in Krisenregionen dem Frieden und dem Gemeinwohl? Wie kann in den Brennpunkten der Welt gerecht interveniert werden? Aus diesen Fragen erwächst auch heute noch immer ein Diskussionsbedarf.
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