Glücklich werden ist nicht einfach. Glücklich bleiben noch viel weniger. Zu schnell gewöhnen wir uns doch an das Gute in unserem Leben. Wie es dennoch geht, erforscht die wissenschaftliche Disziplin der Positiven Psychologie. Sie hat in ihrer noch jungen Geschichte schon einige Übungen entwickelt, mit denen sowohl das Wohlbefinden als auch die Prävention psychischer Erkrankungen gesteigert werden können.
Wer kennt es nicht: Man schließt sein Studium mit Bestnote ab, heiratet den Partner oder die Partnerin seiner Träume, baut ein Haus, bekommt das erste Kind, findet endlich den lang ersehnten lukrativen Job und denkt sich: Jetzt endlich werde ich glücklich sein.
Doch das Hochgefühl, das ein erreichtes Ziel beschert, ist schneller wieder vorbei als gedacht. Einige Zeit später fühlt man sich wieder genauso glücklich oder unglücklich wie vorher. Ursache hierfür ist die hedonistische Tretmühle: Wie ein Hamster im Rad strampelt man sich ab, um das große Glück zu erreichen und tritt dabei doch letztlich immer wieder auf der Stelle. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, weshalb das erreichte Glück schnell zum neuen Standard wird. Er kehrt zu seinem Set Point des üblichen, je individuellen Glückslevels zurück. Etwas Besseres, Größeres, wieder ein neues Glücksziel muss her. Strampelt man sich zu oft und zu intensiv vergeblich ab, kann dies zu psychischen Erkrankungen führen. „Burn out“ ist aktuell das prominenteste Beispiel dafür.
Die Positive Psychologie hat in ihrer bisher noch jungen Forschungsgeschichte verschiedene Übungen – psychologisch: Interventionen – entwickelt, die nachweislich das Glückserleben steigern können. Denn es gibt zwar hinreichende empirische Belege aus der Psychologie für das Phänomen der hedonistischen Tretmühle, doch insbesondere der US-amerikanische Psychologe Ed Diener fand auch heraus, dass sich der eigene Set Point durch aktives „Trainieren“ des eigenen Wohlbefindens in positive Richtung verschieben lässt.
Glück einüben
Zahlreiche Interventionen aus der Positiven Psychologie haben sich dabei in Theorie und Praxis weitestgehend bewährt. Die Übungen können nach Daniela Blickhan darin untergliedert werden, was durch sie angezielt wird. Im Folgenden einige Beispiele:
Dankbarkeit: Sie ist eine Eigenschaft, der innerhalb der Disziplin eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Sie hilft dabei, sich die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten im Leben bewusst zu machen und sich an diesen zu erfreuen. Ein Dankbarkeitstagebuch zu führen oder am Abend drei Dinge aufzuzählen, für die man am jeweiligen Tag dankbar ist, sind bereits Klassiker unter den Übungen der Positiven Psychologie. Wer an Gott glaubt, hat auch einen Adressaten für seinen Dank. Nicht von Ungefähr spielt das Dankgebet zum Beispiel in der christlichen Tradition so eine wichtige Rolle.
Genuss: Genießen zu können ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Savouring, das Auskosten und Verlängern eines flüchtigen Genussmoments, kann trainiert werden und der Genuss so nachhaltiger zur eigenen Lebenszufriedenheit beitragen.
Stärken: „Ich kann nichts, ich bin nichts.“ Wer sich das ständig einredet, wird damit wohl kaum sein Glück steigern können. Wer aber seine Stärken erkennt und sich neue Herausforderungen sucht, um diese immer mehr einzuüben, der fühlt sich dadurch besser. Damit einher geht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das auch gut für das eigene Selbstbewusstsein ist.
Vergebung: Vergeben können ist heilsam – auch das ist urchristliche Weisheit. Trauer und Wut über erlittenes Unrecht sind wie Schatten auf der Seele, wie ein Mühlstein, der uns von Hochgefühlen herabzieht oder nie aufsteigen lässt. Vergeben – auch sich selbst – einzuüben, hilft nachweislich dabei, wieder empfänglicher für das Glück zu werden.
Sinn: Wie würde eigentlich ein Nachruf auf mein bisheriges Leben ausfallen, wenn ich morgen tot umfallen würde? Die eigene Grabrede einmal selber zu schreiben, ist eine der Interventionen, die die Positive Psychologie zum Thema Sinn anbietet. Sie hilft, sich über die eigenen Prioritäten klar zu werden und das Gesamt des eigenen Lebens zu betrachten, das weitaus mehr ist als die verschiedenen Glücks- oder Genussmomente. Sinn macht glücklich im Sinne der allgemeinen Lebenszufriedenheit, unabhängig von der jeweils aktuellen guten oder schlechten Gefühlslage.
Übertriebenen Glücksversprechungen widerstehen
Aus dem Hamsterrad kommen wir nicht raus. Durch gezielte Einübung positiver Haltungen können wir aber unseren Set Point verschieben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer häufiger positive als negative Gefühle erlebt, wird eher dazu neigen, sein Leben insgesamt auch als positiv, glücklich oder erfüllt zu bewerten.
Doch gut Ding will Weile haben: In der Vergangenheit haben Praktiker nicht selten bereits Übungen durchgeführt, die noch gar nicht hinreichend wissenschaftlich belegt waren. Es sind immer mehrere Studien nötig, um eine Intervention als valide einstufen zu können. Und schon gar wird niemand, der in seriöser Weise positiv-psychologisch arbeitet, seine Ergebnisse als wissenschaftliches Heilsversprechen darstellen.
Nicht jede Übung wirkt immer und bei jedem. Es ist gerade der Vorteil der Positiven Psychologie und der von ihr entwickelten Interventionen, dass diese mehrfach kritisch überprüft werden, während mancher Glückscoach, Ratgeber und Teile der boomenden Selbsthilfeliteratur viel zu vollmundig und vorschnell die unterschiedlichsten Glücksrezepte propagieren.
Michael Tomhoff, ein Coach, der dezidiert mit Positiver Psychologie arbeitet, resümiert: „Durch Statistiken und Experimente hilft uns die Positive Psychologie bei der Erforschung der Frage, welches Verhalten in bestimmten Situationen effektiv ist und für einen Großteil der Menschen hilfreich sein könnte. Dass dies in der Praxis dann nicht immer funktioniert, ist ein anderes Thema.“
Psychischen Krankheiten vorbeugen
Der Mensch bleibt Gewohnheitstier. Ganz aus dem Hamsterrad raus kommen wir nicht. Wir können aber etwas dafür tun, dass sich dieses Rad etwas langsamer dreht und an Glücksstationen etwas länger stillsteht. Dann können die kleinen und großen Ziele, die man sich im Leben setzt, bei Erreichen mehr zum eigenen Wohlbefinden beitragen.
Gleichzeitig sollte der Horizont dafür offenbleiben, dass Glück mehr ist als ein gutes Gefühl, dass es auch mit Sinn und mit einem konstruktiven Umgang mit den Schattenseiten des Lebens zu tun hat. Mehr Glück zu erreichen ist das eine. Ein Weniger an oder eine Abwehr von psychischen Leiden das andere. Resilienz, die Widerstands- und Bewältigungsfähigkeit der eigenen Seele, ist dafür nötig. Die Übungen der Positiven Psychologie können diese fördern und damit auch die Prävention psychischer Erkrankungen.
Es geht in der Positiven Psychologie noch einmal grob zusammengefasst darum, offener für Glück im Alltag zu sein und ein Mehr an allgemeiner Lebenszufriedenheit in guten und auch in schlechten Phasen zu gewinnen. Dabei knüpfen die Forscher teilweise auch an philosophischen sowie religiösen Weisheiten – nicht nur der christlichen – an und bauen diese aus.
Auch wenn ein kompletter Ausstieg aus der hedonistischen Tretmühle nicht möglich ist, kann man mithilfe der Erkenntnisse der Positiven Psychologie lernen, in ihr langsamer und ein Stück weit wirksamer zu strampeln. Mehr ist wohl nicht drin. Aber eben auch nicht weniger.
Zum Weiterlesen:
Binswanger, Mathias: Die Tretmühlen des Glücks. Wir haben immer mehr und werden nicht glücklicher. Was können wir tun? Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2006.
Blickhan, Daniela: Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis, Jungfermann Verlag, Paderborn 2015.
Tomoff, Michael: Positive Psychologie. Erfolgsgarant oder Schönmalerei? Springer Verlag, Berlin 2017.
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