Leiden und Sterben Jesu gehören fest zum christlichen Glauben. An Karfreitag erinnert sich die Christenheit an seinen Tod am Kreuz. Aber wieso war das nötig? Unser Autor Benedikt Bögle macht sich auf Spurensuche.
„Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Diese Worte aus dem Glaubensbekenntnis beten Christen an jedem Sonntag. Ohne den Tod Jesu kommt die Christenheit nicht aus. Das Leiden des geschundenen Mannes am Kreuz ist für das Christentum konstitutiv. Ohne diesen Tod kein Christentum. Denn durch sein Leiden, so der christliche Glaube, hat Jesus die Welt erlöst. Aber warum denn eigentlich? Wieso war es nötig, dass Jesus überhaupt Mensch wurde, dann auf eine der grausamsten Weisen litt und starb? Hätte er nicht auch im hohen Alter sterben und dann auferstehen können?
Ein Weizenkorn muss sterben
Diese Fragen bleiben für das Christentum drängend. Weshalb ist der Tod Jesu so wichtig? Auch für die Evangelisten stellte sich diese Frage. Auch sie wollten vor 2.000 Jahren eine Antwort auf die Frage geben, wieso dieser Tod nötig war. So auch das Evangelium des fünften Fastensonntags (Johannes 12,20-33). Dort wird von Griechen – also Nichtjuden – berichtet, die zu Jesus kommen. Jesus spricht in Bildern, er sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Johannes 12,24). Wer sein Leben um jeden Preis behalten wolle, der werde es verlieren. Plötzlich wird Jesus erschüttert. All das spielt sich sehr kurz vor seinem Tod ab. Da scheint ihm klarzuwerden, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Die Stunde ist da, in der er leiden und sterben soll.
In diese Erschütterung Jesu spricht nach der biblischen Geschichte eine Stimme vom Himmel, Gottes Stimme: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen“ (Johannes 12,28). Die Menge freilich wundert sich, was das soll – Jesus aber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er spricht wieder zu den Menschen: „Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Johannes 12,31-33).
Wer sein Leben bewahrt, verliert es
Ein seltsamer Abschnitt ist das. So vieles kommt zusammen. Das Weizenkorn, das sterben muss; die Tatsache, dass man sein Leben verliert, wenn man es bewahren will. Die Erschütterung Jesu, die Stimme vom Himmel und schließlich die gerade genannten Schlussworte. Das ganze steht aber sehr knapp vor dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern und der folgenden Verhaftung. Das ist eine Interpretation des Kreuzestodes. Der Evangelist Johannes reagiert auf die Frage, weshalb Christus am Kreuz sterben musste.
Diese Frage hat auch in der Theologie eine lange Geschichte. Wichtig etwa ist der Ansatz von Anselm von Canterbury aus dem Mittelalter. Er vergleicht Gott mit einem Gutsherrn, der unterschiedliche Pächter hat. Die schulden ihm jetzt natürlich die Pacht. Was ist, wenn sie nicht zahlen? Ein Ungleichgewicht entsteht, das wieder ausgewogen werden muss. Genauso sei das zwischen Gott und Mensch: Der Mensch schuldet Gott Verehrung, die er ihm aber immer wieder verweigert. Die Folge: ein Ungleichgewicht. Der Mensch muss seine Schulden begleichen. Aber der Mensch schuldet Gott so viel, dass er das alles niemals „zurückzahlen“ kann. Deswegen bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Gott selbst muss Mensch werden. Denn er kann – als „Gottmensch“ – die Schulden der Menschheit begleichen.
Jesus macht sich den Menschen gleich
Dieser Ansatz aus dem Mittelalter erfreute sich in der Theologie großer Beliebtheit, dürfte aber mittlerweile als überholt angesehen werden. Er ist zu ökonomisch gedacht. Wieso wird denn Gott Mensch, um sich selbst die Schulden zurückzuzahlen? Im Lauf der Zeit haben sich neue Theorien entwickelt: Jesus heilt die unreine Welt durch seinen Tod. Durch den grausamen Tod am Kreuz macht sich Jesus den Menschen ganz gleich. Er verzichtet auf jegliches Privileg, das ihm vielleicht zukommen könnte, da er doch der Sohn Gottes ist. Und dadurch geschieht dann Erlösung, dass Gott das Leid der Welt selbst annimmt.
Egal, für oder gegen welche Theorie man sich entscheiden mag, eines darf nicht ignoriert werden: Jesus will am Kreuz die ganze Welt umarmen: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Johannes 12,32). Jesus will zum Zielpunkt der ganzen Welt werden. Er sieht schon vor seinem Tod, was am Kreuz geschehen wird. Er sagt schon voraus, was am Kreuz gezeigt wird: ein Zeichen grenzenloser Liebe.
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