Das Thema Geflüchtete in Deutschland ist noch längst nicht abgeschlossen. Noch immer kommen Menschen zu uns, und noch immer werden sie wieder in ihre alte Heimat abgeschoben. Auch wenn sie nun schon einige Jahre bei uns leben und sich gut in ihre neue Heimat integriert haben, ist das kein Garant dafür, dass sie bleiben dürfen. Dies betrifft viele afghanische Menschen, die trotz großer Kritik nach und nach durch Sammelabschiebungen zurückgeschickt werden, in ein Land, das alles andere als sicher für sie ist. Tanha* erzählt warum.
Dem jungen Mann auf dem Bild geben wir den Namen Tanha. Den richtigen nennen wir aus Schutzgründen nicht. Er ist 18 und kommt aus Afghanistan. Ich habe ihn während meiner Studienzeit in Maastricht, den Niederlanden kennen gelernt. Wir waren beide Teil eines Projekts, das geflüchtete Menschen durch eine Vielzahl an Aktionen unterstützt. Tanha kam als minderjähriger Unbegleiteter in die Niederlande und fand in dem Projekt eine unterstützende Gemeinschaft und neue Freunde.
Tanha wurde vor einiger Zeit nach Deutschland vermittelt. Nun lebt er in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen und wartet darauf, dass er die Zulassung zur Schule bekommt, während er Deutsch lernt. Er hat mir erzählt, warum seine Familie Afghanistan damals verlassen hat, warum Afghanistan für die Hazara, denen auch er angehört, so gefährlich ist und warum für ihn eine Rückkehr nach Afghanistan keine Option ist.
Kannst du mir ein bisschen über Dich erzählen?
Ich bin in Afghanistan geboren, aber wegen verschiedener Lebensumstände zogen wir nach Pakistan. Dort hatten wir auch Probleme und so sind wir in den Iran gegangen. Auch dort konnte ich keinen Frieden finden und deshalb bin ich nach Europa gekommen.
Wo ist Deine Familie jetzt?
Ich weiß es nicht.
Wer sind die Hazara?
Hazara kommt von „Hazar“ und bedeutet „Tausend“. Hazara sind eine Ethnie in Afghanistan und wegen ihrer Religion (schiitischer Islam) ein Ziel von Gewalt, weshalb viele Hazara aus dem Land fliehen. Als Hazara selbst kann ich mit Sicherheit behaupten, dass ich keine Familie kenne, in der nicht irgendein Familienmitglied getötet wurde, weil sie Hazara oder shiitische Muslime sind.
Die berühmte Buddha-Bamiyan-Statue wurde von den Hazara im vierten oder fünften Jahrhundert erbaut und inzwischen von den Taliban zerstört. Genauso wie jeden Tag unschuldige Hazara wie Hühner getötet werden und sich niemand um sie kümmert.
Von wem und warum werden die Hazara verfolgt und getötet?
Taliban und IS. Weil wir laut ihrer Ansicht „Kafir“ sind, das bedeutet, wir akzeptierten Gott nicht und es sei eine Schande, dass wir das nicht täten. Und die Geschichte zeigt, dass die Hazara schon seit 1885 bis heute verfolgt werden. Weil wir Hazara sind, sehen unsere Gesichter denen der Chinesen ähnlich und unsere Religion ist der schiitische Islam. Sie denken, dass wir den Islam missachten und töten uns, sodass sie ins Paradies kämen. Sie sagen, dass wir unsere Religion vergessen würden.
Was möchtest Du den Menschen in Deutschland und Europa weitergeben?
Ich will hinzufügen, dass ich es verdiene, glücklich zu sein. Aber die Welt lässt mich nicht und hat alles von mir genommen: mein Land, meine Tradition, meine eigene traditionelle Sprache. Nur weil ich Hazara bin, werde ich wie ein Krimineller behandelt, ohne dass ich Verbrechen begangen habe. Leider hilft niemand den Hazara, nicht einmal die Vereinten Nationen schenken dem Problem Aufmerksamkeit. Ich bin mir sicher, dass es keine Hazara-Familie gibt, die nicht Opfer dieser Brutalität geworden und noch eine komplette Familie sind. Ein Bruder, eine Schwester oder ein Vater wurde getötet, weil sie Hazara sind und ihre Religion der schiitische Islam.
Was hat diese Erfahrung mit Dir gemacht?
Meine einzige Hoffnung liegt in Deutschland. Ich will nicht zurück nach Afghanistan gehen, weil dies das Land der Mörder meines Glücks und meiner Tradition ist, wo man die eigene Meinung nicht frei äußern kann. Wie soll man da leben? Ich weiß, dass, wenn ich zurückginge, es nur zwei Möglichkeiten gibt: sich den Taliban anschließen und unschuldige Menschen töten oder meinen Kopf hinhalten.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Wir haben den Namen verändert.
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