Das Ende naht für jeden von uns irgendwann. Natürlich rede ich nicht vom apokalyptischen Weltuntergang, sondern vom Lebensende. Ein jeder muss sterben. Wir wissen das und sind dennoch überrascht, wenn es dann so weit ist. Das geht den Sterbenden so, aber auch den Angehörigen. Gedanken unserer Autorin Ramona.
Der Tod als Erlösung
Mein Vater hat insgesamt acht Jahre lang mit dem Krebs gelebt. Im Laufe dieser acht Jahre merkte ich, dass es ihm gesundheitlich immer schlechter ging. Er bereitete sich auf den Tod vor. Es gab auch Momente, da wünschte man sich für den Erkrankten, dass es endlich vorbei wäre und er nicht mehr leiden müsste. Eine Erlösung, ganz ohne Qualen.
All die Jahre sorgte ich mich und versuchte, für ihn da zu sein. Es standen viele Arztbesuche und lange Kliniktage bevor. Operationen wurden durchgeführt und sein gesundheitlicher Zustand schien sich, danach zu verbessern. Bis zum Jahr 2017. Es war kurz nach Weihnachten. Ich war mit meiner Tochter das erste Mal im Kino. „Sing“ haben wir geschaut.
Meine Schwester und ihre Tochter waren auch dabei. Es war schön. Ich glaube, es war kurz vor Ende des Films, als meine Schwester einen Anruf von unserem Bruder bekam, dass unser Vater im Krankhaus sei und notoperiert werde müsse, da er sonst ersticken würde. Der Krebs war wieder da. Sein Kehlkopf musste entfernt werden, ein Luftröhrenschnitt wurde gemacht. Die Sorge war groß.
Der Kampf mit dem Krebs
Vier Jahre hat er sich durchgekämpft. Anfangs hat er noch viel mit seinem Mikrofon gesprochen. Mit der Zeit wurde es aber immer weniger, da er merkte, dass die wenigsten ihn verstanden. Es folgte der soziale Rückzug. Ausgegangen ist er zum Ende hin nur noch selten. Im Juli 2021 fing es dann an. Er konnte nicht mehr allein aufstehen, brauchte Hilfe. Vor allem beim Toilettengang. Meine Mutter konnte auch nicht mehr. Er kam ins Krankenhaus – und da wurde es immer schlimmer.
Jeden Tag stand ich am Krankenbett für zwei lange Wochen. Ich sah den Verfall und hörte das schwere Atmen. Mein Vater verlor immer mehr die Orientierung und wirkte abwesend. Bekam er überhaupt noch mit, dass ich da war? Was dachte und fühlte er? Das Atmen wurde immer lauter. Es folgten Atemaussetzer. Die Augen waren immer offen und schlossen sich nicht. Er starrte mich an. Aber sah er mich überhaupt noch? Ich versuchte, ihn anzusprechen, stellte Fragen.
Manchmal meinte ich, er würde reagieren, aber tat er das wirklich? Er sprach nicht, denn sein Kehlkopf fehlte ihm schon seit vier Jahren. Sein Mikrofon konnte er längst nicht mehr halten. Wir mussten überlegen, wie es weitergehen sollte. Er kam zur Überbrückung in ein Pflegeheim, danach sollte er ins Hospiz. Er war zwei Tage im Pflegeheim. Dort bekam er Morphium gegen die Schmerzen. Dann starb er in der Nacht. Ganz allein.
Zeit der Trauer und der starken Gefühle
Und nun sitze ich hier und frage mich, ob er das so gewollt hat? Hätte er lieber jemanden bei sich gehabt? Ist er einfach eingeschlafen? Oder hatte er Schmerzen? Das Ganze ist etwa drei Monate her. Ich dachte, ich hätte mich darauf emotional schon gut vorbereitet. Aber doch trifft es mich mehr, als ich erwartet habe. Da sind Fragen, die mir niemand beantworten kann. Ich bin überwältigt von Gefühlen und kann sie nicht verarbeiten. Ich weine. Ich höre Lieder – und weine. Ich erinnere mich an vergangene Erlebnisse mit meinem Vater – und weine.
Bei den meisten Menschen geht die Trauer irgendwann vorbei, und das Thema „Sterblichkeit“ rückt wieder in den Hintergrund. Für mich ist meine eigene Sterblichkeit immer präsent. Mir fehlt der Filter, den andere Menschen haben. Je mehr Familienangehörige oder gute Freunde krank sind oder werden, desto mehr wird mir die Sterblichkeit bewusst. Sie verfolgt mich nahezu. Manchmal habe ich das Gefühl, ich weine schon im Vorfeld, bevor jemandem etwas Schlimmes passiert. Geht das nur mir so? Sind da noch andere Menschen in der Welt, denen es ähnlich geht?
Schlussendlich kann man sich noch so gut vorbereitet fühlen für den Ernstfall. Aber wenn es erstmal soweit ist, ist doch alles ganz anders. Es gibt auch den umgekehrten Fall: Man möchte gerne trauern und weinen, kann das aber nicht. Und auch das ist in Ordnung so. Jeder muss seine eigene Art und Weise finden, zu trauern.
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