Aus den Evangelien nach Lukas und Matthäus wurde durch die Kirche eine Weihnachtsgeschichte gebildet. Dabei erzählen die beiden Werke eigentlich zweiunterschiedliche Geschichten. Und was sagen die übrigen Evangelisten über die Geburt Jesu? Das erklärt unser Autor Benedikt Bögle.
Die Weihnachtsgeschichte kennt jedes Kind. Maria weiß von einem Engel, dass sie ein Kind bekommen wird, ihr Mann Josef will sich von ihr trennen. Er denkt, das Kind sei von einem anderen Mann. Dann aber erfährt er: Durch „das Wirken des Heiligen Geistes“ ist dieses Kind entstanden. Er trennt sich doch nicht. Die beiden ziehen aus ihrer Heimatstadt Nazareth nach Bethlehem, dort bekommt Maria ihr Kind – Hirten und Könige kommen. Dann muss die Familie vor dem bösen König Herodes fliehen, kommt nach Ägypten und kann ein paar Jahre später zurückkehren. Nur – diese Geschichte steht so nirgends.
Jesus ist der „Logos“
Die Erzählungen von der Geburt Jesu finden sich im Neuen Testament bei nur zwei Evangelisten: Bei Matthäus und bei Lukas. Markus erzählt über die Geburt Jesu gar nichts. Das Johannesevangelium tut das schon – aber auf eine etwas ungewöhnliche Art. Allen Evangelisten geht es eigentlich darum zu sagen, wer dieser Jesus ist. Und vor allem: Wo er herkommt. Matthäus und Lukas tun das, indem sie erzählen, wie er auf die Welt kommt. Johannes auf eine etwas indirektere Art. Er beginnt sein Evangelium mit einem „Prolog“, der vermutlich zu den berühmtesten Texten der Weltliteratur gehört: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Dieses Wort sei das Licht der Menschen. Welches Wort denn nun? Im griechischen Original steht hier „logos“. Das kann „Wort“ bedeuten, aber auch „Sinn“, „Rede“, sogar „Weisheit“.
Gott und Christus werden unterschieden
Dieser Text spielt wohl ganz bewusst auf den Beginn des Alten Testaments an: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.“ Das meint weniger einen zeitlichen Termin, also einen ganz bestimmten Tag oder ein besonderes Jahr. Vielmehr geht es um den Beginn, der bis heute von Bedeutung ist: Der Ursprung.
Jesus wohnt bei den Menschen
Im Anschluss an diese Feststellung berichtet Johannes dann vom Täufer, der Jesus vorangeht. Und schließlich: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Die Botschaft: Gott ist bei den Menschen. Und das nicht nur irgendwie, sondern wirklich und tatsächlich. Er ist da. Im Griechischen wird das ganz bildlich ausgedrückt: „er hat sein Zelt aufgeschlagen unter uns.“ Johannes also erzählt nicht wirklich eine Weihnachtsgeschichte – schön, mit Sternen und Licht. Aber er sagt trotzdem, wer Jesus ist: Von Anfang an da, Fleisch geworden, bei den Menschen.
Wer waren die Sterndeuter
Matthäus dagegen erzählt eine Geschichte. Maria wird durch das Wirken des Heiligen Geistes schwanger – ihrem Mann Josef wird das durch einen Engel berichtet. Und dann sagt der Erzähler ganz nüchtern: „Sie gebar ihren Sohn.“ Keine Ausschmückung, keine Details. Nach der Geburt Jesu tauchen aber „Sterndeuter“ auf. Was damit gemeint ist, ist seit jeher umstritten. Das griechische „magoi“ kann ziemlich viel heißen und meint vielleicht einfach sehr gebildete Männer.
Jesus bringt Heil für alle
Diese Sterndeuter stammen aus dem „Osten“. Matthäus erzählt das vermutlich, um eines klar zu machen: Jesus und sein Heil beschränken sich nicht nur auf das Volk Israel. Diese Begrenzung wird aufgebrochen, wenn mit den Sterndeutern fremde Völker zu Jesus kommen. Zugleich erinnert das an ein wichtiges Motiv aus dem Alten Testament. Der Prophet Jesaja berichtet von einer „Völkerwanderung“ am Ende der Zeiten. Dann werden alle Völker zum Gott Israels nach Jerusalem kommen, um ihn anzubeten. Und irgendwie hat das mit Jesus in den Augen von Matthäus schon begonnen.
Das wird auch ganz zu Beginn seines Evangeliums deutlich. Dort bietet er einen „Stammbaum“ Jesu. Das ist nicht biologisch zu verstehen, vielmehr will Matthäus zeigen, dass Jesus ganz im Volk Israel steht. Er kommt nicht irgendwie als fremder Mann ohne Geschichte, sondern er steht ganz im Glauben Israels. An einigen Stellen wird dieser Stammbaum unterbrochen. Normalerweise sind da nur Männer genannt: „Abraham zeugte den Isaak, Isaak zeugte den Jakob“ – und so weiter. Ein paar mal aber sind da Frauen erwähnt, und alle haben einen „heidnischen“ Kontext, sind also nicht Jüdinnen. Das ist für Matthäus also wichtig: Jesus kommt zu seinem Volk Israel und er ist ganz in diesem Volk „daheim“. Aber irgendwie wird das schon aufgebrochen, denn er ist der Erlöser der ganzen Welt.
Von Nazareth nach Bethlehem
Von vielen weiteren Details der Weihnachtsgeschichte hören wir nichts bei Matthäus, dafür aber im Lukasevangelium. Hier verkündet ein Engel Maria: „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben.“ Sie muss mit ihrem Verlobten Josef dann nach von Nazareth nach Bethlehem gehen. Der Grund: Kaiser Augustus hat befohlen, das ganze Land in Steuerlisten einzutragen. Es ist tatsächlich historisch nachweisbar, dass solche Volkszählungen üblich waren. Und weil Josef eigentlich aus Bethlehem stammt, wie Lukas erzählt, müssen die beiden dorthin gehen und sich dort in die Liste eintragen lassen.
Eine Parallele zur Auferstehung
In Bethlehem angekommen, müssen sie jedoch feststellen, dass dort kein Platz mehr in der Herberge ist. Sie bringt ihr Kind zur Welt und legt es in eine Krippe. Auch hier fällt auf: Die eigentliche Geschichte ist schnell erzählt: „Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen.“ Erst im Anschluss wird den Hirten auf dem Feld vom Engel verkündet, was da denn eigentlich geschehen ist: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist Christus der Herr.“ Ganz ähnlich passiert das auch bei der Auferstehung, also am Ende des Lukasevangeliums. Von der Auferstehung selbst wird eigentlich nichts gesagt, man erfährt dadurch nur, weil auch hier „Männer in leuchtenden Gewändern“ den Frauen, die zum Grab gekommen sind, berichten, dass Jesus auferstanden ist.
Jesus ist der eigentliche Herrscher
Entscheidend ist, was die Engel den Hirten verkünden: „Euch ist der Retter geboren.“ Retter heißt auf Griechisch „Soter“. Dieses Wort hört sich zwar sehr religiös an, ist es aber in der Antike nicht unbedingt. „Soter“, Retter, ist auch der Titel von Herrschern. Besucht der Kaiser eine Stadt oder eine Provinz wird er ankündigt, indem man sagt der „Retter“ kommt. Und diesen Herrschern, die sicherlich oft eben keine Retter für ihr Volk waren, wird nun Jesus gegenübergestellt. Das Kind in Windeln, in einer Futterkrippe. Und die ersten, die diesen König verehren, sind nicht Angehörige des Hofstaates, edle Menschen. Nein, es sind Hirten, arme Menschen, die oft genug am Rande der Gesellschaft lebten. Und trotzdem, so Lukas, ist dieses Kind der eigentliche Retter, der eigentliche Herrscher.
Drei Texte – eine Botschaft
Die Weihnachtserzählungen im Neuen Testament sind also sehr unterschiedlich, vor allem wenn man an den Prolog des Johannesevangeliums denkt. Und doch verfolgen sie eigentlich ein gemeinsames Ziel: Sie wollen zeigen und erklären, wer dieser Jesus ist und was er für die Menschen bedeutet. Er ist das ewige Wort Gottes, sagt Johannes. Er ist der Erlöser für alle Menschen, sagt Matthäus. Er ist der Retter, sagt Lukas.
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