Ein lautes, schnelles Rattern erfüllt den Raum. Die Nadel der Nähmaschine schießt auf und ab durch einen marineblauen Stoff hindurch. Auf den Tischen liegen feine Stoffe, Fadenrollen, Nadelkissen und fransige Stoffreste herum. Rechts neben dem Eingang befindet sich eine riesige Konstruktion, an welcher bestimmt 500 verschiedenste Kleidungsstücke hängen. Eine kleine Änderungsschneiderei in einem Vorort von Bonn. Die Schneiderei gehört dem Syrer Idris Suleiman, der konzentriert Abstecknadeln in den Saum eines Rocks steckt. „Ich habe meine Ausbildung zum Schneider in meinem Heimatort in Syrien gemacht. Dort dauert die Lehrzeit nur ein halbes Jahr und dann muss man noch ein halbes als Praktikant arbeiten”, sagt er, ohne von dem Stoff in seinen Händen hinauf zu schauen. In Deutschland ist das Schneiderhandwerk auch ein Ausbildungsberuf. Es gibt zwei verschiedene Arten, sich zum Schneider ausbilden zu lassen. Zum einen gibt es die Maßschneiderei, bei welcher die Ausbildung drei Jahre dauert und zum anderen die Änderungsschneiderei, welche eine Ausbildungsdauer von zwei Jahren hat.
Idris Suleiman ist ausschließlich Änderungsschneider. Er näht Kleidungsstücke auf Wunsch größer oder kleiner und repariert sie. Maßschneiderei würde ihm auch viel Freude machen, sagt er, während er den fertig abgesteckten Rock behutsam auf einen Kleiderbügel hängt, jedoch verdient er mit Änderungen und Reparaturen mehr. Etwa 20-30 Kleidungsstücke bearbeitet er an einem Tag. Wenn einer seiner Stammkunden den Wunsch hat, dass Idris ihm ein neues Kleidungsstück anfertigt, tut er das auch gerne. „Aber nur bei Stammkunden“, fügt er hinzu und lacht herzlich.
Seit einigen Jahren kann sich jeder auch ohne Meisterbrief und Ausbildung Schneider nennen
Die Beschreibung des Berufs eines Schneiders lautet offiziell „handwerklicher Lehrberuf der Textilverarbeitung“. Textilverarbeitung beschreibt jedoch vielerlei. So unterscheidet man in Damen- und Herrenschneider, Änderungsschneider, Modeschneider, Maßschneider, Kürschner (Pelzschneider) und Lederschneider. Da sich jedoch heutzutage jeder, auch ohne Ausbildung und Meisterbrief, Schneider nennen darf, gibt es keine aktuelle Zahl, wie viele Schneider es in Deutschland gibt. Derzeit gibt es ca. 9.000 ausgebildete und unausgebildete „Schneider“ in Deutschland. Die meisten Leute kaufen ihre Kleider zunehmend in Boutiquen oder Markenketten wie beispielsweise Esprit, H&M oder Abercrombie & Fitch. Nur noch wenige, vor allem weibliche Personen, lassen sich Kleidungsstücke auf ihren individuellen Wunsch anfertigen. Einige aber von denen, die noch übrig geblieben sind, macht Katharina Malis (Name geändert) glücklich. Sie besitzt ein Modeatelier in Bonn. Katharina Malis ist Anfang Dreißig. Sie ist eine große und schlanke, hübsche Frau, die ein ausgefallenes graues Kleid mit Rüschen und ein vertrauenerweckendes Lächeln auf den rot geschminkten Lippen trägt.
Direkt, wenn man zur Tür des eigentlich normalen Wohnhauses hineinkommt, erwarten einen elegante Abendkleider aus feinsten Stoffen. Im Flur des zweistöckigen Hauses steht ein Kleiderständer mit einem Kleid, welches sofort auffällt. Es ist aus weißem Samt gemacht und erinnert mit den Blumen– und Perlenverziehrungen an ein Hochzeitskleid. Allerdings ist es durch seinen leicht schrägen Schnitt, wie die meisten von Frau Malis Kleidern, ausgefallener als ein normales Hochzeitskleid. Wenn man sich weiter in die eigentlichen Atelierräume der Modeschneiderei von Katharina Malis begibt, erwarten einen noch viel mehr solcher Kleider. An mehreren Kleiderstangen hängen majestätische Kleider mit Tüllröcken, Rüschen und Spitze in jeglichen Farben. Aber auch Blusen, Hüte und Schmuckstücke zieren die Räumlichkeiten. Alles Einzelstücke und Maßanfertigungen für Kunden. Katharina Malis Kundenkreis besteht aus den verschiedensten Frauen. Teilweise sind es wohlhabende Frauen, die etwas Ausgefallenes tragen wollen. Teilweise sind es korpulentere Frauen, die trotz ihres Gewichts schicke Kleider tragen möchten. Und oft sind es Frauen, die zu einem bestimmten Anlass dieses eine Kleid, das bereits in ihren Köpfen existiert, geschneidert kriegen wollen.
Wann und warum gab es die ersten Schneider?
Mit Maßanfertigungen und Einzelstücken entstand die Schneiderei auch im 12. Jahrhundert. Zuvor haben ausschließlich Mütter und Großmütter die Kleider für ihre Familien hergestellt. Die ersten richtigen Schneidereien entstanden auf den Höfen und Schlössern reicher Adelsfamilien. Der Adel ließ seine Kleidung von Angestellten anfertigen und so entstanden richtige Schneider, die dann später nur noch für Kleider zuständig waren. Der Beruf verbreitete sich schnell und es gab bald auch Schneidereien in den Dörfern. Jedoch war der Beruf des Schneiders lange Zeit verspottet, da die meist männlichen Handwerker einen ursprünglich typischen Frauenberuf ausübten. „Es ist schade, dass unser schöner Beruf nur noch so wenig Beachtung bekommt. Natürlich gibt es die großen Modedesigner, wie Karl Lagerfeld oder Christian Dior, die sehr beliebt sind. Aber das sind ja keine richtigen Schneider, die fertigen ja kein einziges Kleidungsstück mehr selbst an“, erzählt Katharina Malis mit einem enttäuschten Blick und fährt langsam mit ihrer Hand an einem schwarzen Spitzenstoff entlang.
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