Die Zehn Gebote bilden einen wichtigen Baustein jüdischen und christlichen Glaubens. Sie stellen die wichtigsten Regeln für das Verhalten der Menschen gegenüber Gott und gegenüber anderen Menschen dar. Muss man sich an die Zehn Gebote halten?
Jede Gesellschaft braucht Regeln. Das galt von der kleinsten Einheit bis zum großen Ganzen: Schon in jeder Familie gibt es bestimmte Regeln, an die sich Eltern und Kinder halten müssen – von der Bettgehzeit über Benimmregeln bei Tisch bis zu der Frage, wie und wann Probleme angesprochen werden.
In der Schule gibt es Regeln, später am Arbeitsplatz auch. In einer modernen, entwickelten, freiheitlichen Grundordnung nimmt der Bedarf an Regeln immer weiter zu. Zur Einschätzung: Allein das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) umfasst 2385 Paragraphen, die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern regeln – vom Kaufvertrag über die Eheschließung bis zum Erbe.
Zehn knappe Regeln
Ganz anders wirken da die Zehn Gebote aus dem Alten Testament. In zehn ganz knappen Regeln versuchen diese Gebote, menschlichem Verhalten einen gewissen Rahmen zu geben: Einerseits wird dort das Verhältnis des Menschen zu Gott geregelt, andererseits sein Verhalten zu anderen Menschen.
Besonders aber ist der Kontext, in dem Gott diese Gebote seinem Volk Israel gibt. Nach einer Hungersnot mussten Jakob und seine Familienmitglieder das Land Kanaan verlassen; sie ziehen nach Ägypten. Dort gibt es reichlich Getreide, genug Nahrung für alle.
Freiheit als Voraussetzung der Gebote
Die Familie wächst in Ägypten; den dortigen Einwohnern erscheint das irgendwann befremdlich. Sie haben Angst vor den unbekannten Menschen und fassen einen grausamen Beschluss: Die Israeliten werden versklavt. Sie müssen Zwangsarbeit leisten, leben als Sklaven in einem fremden Land. Gott ignoriert das Leid seine Volkes aber nicht: Er beruft Mose, um durch ihn Israel zu befreien.
Nach zehn Plagen, die über Ägypten kommen, zieht das Volk durch die Wüste. Gott trennt das Rote Meer, damit die Israeliten vor den nachziehenden Ägyptern trockenen Fußes durch das Meer schreiten können. In der Wüste kommt es immer wieder zu Konfliktsituationen: Das Volk sehnt sich beinahe nach der Sklaverei zurück. In Ägypten hatten sie zwar ein hartes und unfreies Leben; aber sie hatten doch genug zu essen und mussten nicht durch die Wüste irren.
Gebote ermöglichen Freiheit
Gott übergibt Mose die Zehn Gebote. Er beginnt seine Rede: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Exodus 20,1). Noch vor den konkreten Geboten erinnert Gott an das, was er für sein Volk getan hat. Diese Reihenfolge ist entscheidend: Gott befreit sein Volk nicht erst, wenn und nachdem es all seine Gebote gehalten hat.
Umgekehrt: Gott schenkt seinem Volk die Freiheit. Die Befolgung der Gebote ist keine Voraussetzung für die Gnade Gottes, sondern ihre Folge. Gott gibt Israel seine Gebote nicht, um sie zu gängeln. Stattdessen stehen die Zehn Gebote unter der Erfahrung von Freiheit.
Grundgesetz der Bibel
Die Zehn Gebote stehen für einen Lebensentwurf, der das Leben des einzelnen Menschen in der Gemeinschaft anderer ermöglicht. Die Zehn Gebote enthalten gewisse Handlungsanweisungen, die zwingend sind, um ein friedliches und glückliches Leben zu ermöglichen: Dass andere nicht getötet werden dürfen; dass das Hab und Gut anderer nicht weggenommen oder dass die Ehe nicht gebrochen werden darf.
Diese Zehn Gebote ersetzen ja nicht alle weiteren Regelungen. Was etwa heißt es, einen Menschen zu töten? Darf das nicht einmal in Notwehr geschehen? Wann beginnt Leben, wann endet es? Darf ich einen Menschen bei seiner Selbsttötung unterstützen oder fällt auch das unter das biblische Verbot?
Der Mensch steht vor Gott
Die Zehn Gebote machen weitere Gesetze und Ausdifferenzierungen nicht überflüssig. Schon die Thora – die fünf Bücher des Mose – enthalten zahlreiche Gebote, die erklären, welche Regelungen ganz genau gelten sollen. Unser staatliches Recht verfolgt dieses Ziel ebenso. Die Zehn Gebote aber bilden einen Rahmen, eine Richtschnur für das menschliche Leben.
Und doch haben die Zehn Gebote bis heute Geltung. Dabei stellen sie das Zusammenleben der Menschen unter einen bestimmten Horizont. Das erste Gebot lautet: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ (Ex 20,3). Der Mensch soll anerkennen, dass er selbst nicht letzter Richter ist – sondern selbst vor Gott als Richter steht, dem er seine Existenz verdankt.
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