Im Sommer sollte es anders sein – doch am heutigen Tage fällt die Ernte wortwörtlich ins Wasser. Dunkle, regengesättigte Wolken bilden ein dunkles Konglomerat am furchterregenden Himmel, grobe Tropfen säumen sich ihren Weg in den tiefen Furchen im Boden und beenden ihre Reise in matschigen, verdreckten Pfützen.

Die erste Schulwoche hat begonnen. Im Hintergrund ist das Rauschen der fernen Autobahn gerade wahrzunehmen, die nach der Sonderbelastung der Ferien allmählich in den Normalmodus schaltet. Hier, zwischen braunen und grünen Feldern, trotzt die ländliche Peripherie dem Regenwetter in gewohnter Robustheit. Ein frischer Wind lässt das Schild mit der Aufschrift „BioBauer Palm“ rasseln. Doch wie das Kapital eines ganz normalen Bauernhofes sieht das Feld nicht aus. Dazu ist es zu abwechslungsreich, böse könnte man sagen: zu unordentlich. Bornheim, ein Ort an der Schwelle von Stadtgeist und Landleben, ist eines von achtundzwanzig Standorten des Bonner StartUps „meine ernte“.
Tobias Schmitz ist das unfreundliche Wetter egal. Der 30-Jährige ist ein Macher-Typ – bei Regen und bei Sonnenschein. Der studierte Historiker arbeitet nicht als Landwirt und ist dieser Tätigkeit doch so nah. „meine ernte“ heißt Tobias Arbeitgeber und so ist er eine Art Marketingbeauftragter im Namen des nachhaltigen Eigenanbaus. Mit Enthusiasmus stapft Tobias durch den Matsch und lässt seinen Blick schweifen: „Unser Konzept ist einfach. Wir ermöglichen unseren Kunden den Traum vom eigenen Gemüsegarten. Das bedeutet für den Kunden: überschaubarer Aufwand, umso mehr Freude!“
Standardisiertes Angebot
Das Bonner Startup “meine ernte” besitzt keine eigenen Felder. In Kooperation mit Landwirten vermittelt das vierköpfige Team die von Bauern bewirtschafteten Grünflächen. Wer eine Parzelle erwirbt, kauft die Vorbepflanzung gleich mit. Inklusive ist eine kleine Freifläche, die individuell bepflanzt werden kann. „Die kleine Parzelle hat eine Größe von 45 Quadratmetern. Für Familien bieten wir große Parzellen mit 90 Quadratmetern an.
Unabhängig von der Größe bepflanzen wir die Parzellen mit einem Grundstock von über zwanzig Gemüsesorten. Eigentlich sind die Sorten an allen unserer Standorte gleich, wenn wir auch manchmal regionale Zusatzprodukte einpflanzen“, sagt Tobias Schmitz. Dass längst nicht alle Gemüsesorten Einzug in das Standardrepertoire finden, hat pragmatische Gründe: „Tomaten mögen keinen Regen von oben. Die können wir also nicht anbieten, solange wir nicht mit Profis zusammenarbeiten“, so Schmitz. Vom Hobbygärtner bis zum Botaniker – jedes Klientel ist erwünscht.
Kein Obst, sondern Gemüse
In der Ferne hat ein ehemals grüner Salatkopf die besten Tage hinter sich gelassen. Nicht nur das. Einige Gemüsestauden haben die letzten Regengüsse nicht unbeschadet überstanden, hängen schräg vom stützenden Bambusstab. Der Wechsel zwischen brennender Hitze und Wasserfluten lässt keine Pflanze kalt. „Die Grundausstattung unserer Parzellen besteht nur aus Gemüse. Obst lässt sich schwer anpflanzen, da maximal eine Saison Zeit zwischen Anbau und Ernte verfügbar ist“, erklärt Schmitz. Wenn der Winter anbricht, kommt die Zeit, in der Bauer Palm das Feld umpflügt. Einmal im Jahr werden die Parzellen wieder in ihren Grundzustand versetzt. Wer sein Gemüse dann nicht geerntet hat, der hat umsonst geackert.
„In seltenen Fällen verwenden die Hobbybauern ihre Freifläche trotzdem für den Obstanbau. Die Pflanzen überwintern dann bei den Kunden zu Hause und werden im Frühjahr neu eingepflanzt“, so Tobias Schmitz. Die Gärtnerei ist ein langfristiges Hobby, aber auch ein Erquickliches: „Für den Eigenbedarf reicht die Ernte allemal. Mit einer Doppelparzelle bekommt man allein schon über die Kartoffeln eine ganze Familie satt“, sagt er.
Wählerisch darf man als Kunde von „meine ernte“ nicht sein, wenn es ums Essen geht. Ist der Rettich reif, dann gibt es Rettich. Manchmal müssen die Kartoffelchips zum abendlichen Blockbuster dann eben weichen: „Anders als im Supermarkt bestimmt hier die Natur, was auf den Tisch kommt!“, stellt Schmitz fest. Viele Stadtmenschen hält das nicht davon ab, „meine ernte“ zu schätzen. Denn gerade dort entfaltet das Konzept sein Modell. 28 Standorte umfasst „meine ernte“, Tendenz steigend. Allein zweimal in Düsseldorf ist das junge Startup vertreten, von Frankfurt über Hannover bis Berlin sind nahezu alle deutschen Großstädte abgedeckt.
Nachbarschaftshilfe ist angesagt
Der Regen hat sich abgeschwächt, die ersten Sonnenstrahlen des Tages spiegeln sich in den Pfützen. Trotzdem bearbeitet kein Gärtner das Feld, trostlos lehnt eine Harke am Gartenschuppen neben einer Reihe einzelner ungeernteter Mohrrüben. Ein regelmäßiger Urlaubsbedarf ist kein Ausschlusskriterium für meine-ernte-Kunden.
Die Solidargemeinschaft hilft: „Wir beobachten einen enormen Zusammenhalt zwischen den Gartennachbarn“, sagt Tobias mit einem stolzen Lächeln im Gesicht. Wer seinen Sommerurlaub doch lieber in der Balearensonne verbringt, als die gestaute Hitze über der verkrusteten Erde zu ertragen, der kann auf die Unterstützung der Gemeinschaft zählen: „Unser Konzept besteht ja gerade darin, dass alle Parzellen bis auf Kleinigkeiten in der Freifläche nahezu identisch angelegt sind“, sagt Schmitz und fügt hinzu: „Wenn jemand mal keine Zeit zum Gärtnern hat, dann hilft man sich gegenseitig.“ Nachbarschaftsstreit kennt man hier nicht.
Interessant für Stadtmenschen
Auf einen Pfahl am Ende einer Parzelle hat jemand Plastikflaschen gesteckt. Nirgends ist eine ähnliche Apparatur zu sehen, offenbar war ein übereifriger Kunde am Werk. Tobias Schmitz lässt seine ganze Fachkenntnis spielen und beweist, dass er hier nicht nur als Marketingbeauftragter unterwegs ist, sondern auch als Gartenexperte: „Das ist eine Düngerhilfe. Rein natürlich, versteht sich.“ Auf den von “meine ernte” vermittelten Feldern herrscht absolutes Chemieverbot. Das bedeutet nicht, dass alles Bio ist. Aber es erhöht den Standard der geernteten Produkte – und vermeidet Ärger zwischen Mietern mit gegensätzlichen Ansichten zum Pflanzen-Doping.
Von Kartoffeln über Rettich bis zu den Zwiebeln. Vieles ist dabei, was der Gelegenheitskoch sonst nur aus dem Supermarkt kennt. Genau das hat „meine ernte“ zum Geschäftsmodell perfektioniert: „Wir holen die Leute dort ab, wo sie jetzt schon stehen. Niemanden möchten wir zum Bauern machen. Es ist aber gerade Otto Normalverbraucher, der seiner Familie zeigen möchte, wie der Rettich in freier Wildbahn ausschaut.“
Auf eine Zielgruppe in seinem Kundenportfolio möchte Tobias Schmitz sich nicht festlegen. Es gibt auch keine. Während immer wieder Altersheime eine Parzelle anmieteten, seien gerade junge Menschen stolz auf die neu gewonnene Naturverbundenheit. „Säen und Ernten. Das hat auch etwas mit Verantwortungsbewusstsein zu tun“, sagt Schmitz. Selten komme es vor, dass meine-ernte-Kunden zu wenig ernten. „Am Ende der Saison beginnt bei vielen der Wettlauf, die Ernte noch rechtzeitig verwenden zu können, bevor sie schlecht wird.“ Selbstanbau erfordert Planung.
Von der Idee zur Umsetzung
Die Idee von „meine ernte“ entspringt der Geschichte zweier Studenten. Ihren Ursprung hat sie in der Auseinandersetzung mit der eigenen Ernährungsweise „Die Idee Gemüsegärten zum Mieten anzubieten, entstand in erster Linie aus Eigenbedarf. Als wir studierten, stand meist noch ein Fertiggericht oder Fast Food auf dem Speiseplan. Ein paar Jahre später kam uns dann die Einsicht, was eigentlich gesund ist und gut tut. Wir haben festgestellt, dass Eigenanbau von Gemüse und Selbstversorgung doch eigentlich das Beste ist und wir fragten uns, wie man als Mieter in der Großstadt ohne eigenes Land durch Eigenanbau von Gemüse zum Selbstversorger werden kann“, erzählt Wanda Ganders, eine der beiden Gründerinnen. Nach Kooperationsgesprächen mit Landwirten sprang der Funke über und die „Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf“.
Wenn es aber um messbaren Erfolg geht, wird Schmitz einsilbig. Ja, das Unternehmen laufe gut, schreibe schwarze Zahlen. Aber bei konkreten Daten verweist er auf seine Chefin. Auch die spricht lieber über Zukunftsvisionen, als über konkrete Zahlen. Kein Wunder – die wenigsten Startups mutieren in den ersten Jahren zur Gelddruckmaschine. In Zukunft möchte „meine ernte“, so die Chefin, verschiedene Serviceangebote ausweiten. Wie das konkret aussieht, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Fest steht, dass das Angebot schon jetzt umfangreich ist: „Schon heute bieten wir unseren Gärtnern eine breite Produktpalette an, zum Beispiel Gartensets und Saatgut.“ Das langfristige Ziel für Wanders und ihr Team ist, immer mehr Städter „ihren Gemüsebedarf in direkter Wohnortnähe“ anbauen zu lassen. Es hat aufgehört zu regnen, erste Sonnenstrahlen durchstechen die graue Wolkendecke: das Wetter meint es gut mit Tobias‘ Kunden. Doch er zieht weiter. Der nächste Großraumgarten wartet!
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