Hinter Kunst, Geschmack, Manieren und Mode steht ein Begriff, der in bester Weise all dies vereint und etwas erschafft, was ohne Bildung nur schwer zu fassen ist. Neugierig?! Hier geht es zu deiner Portion Kultur für den Alltag.
Einst sagte eine der größten französischen Modeschöpferinnen und Visionärinnen Coco Chanel:„fashion fades, only style remains the same.“ Wenn nun also Mode vergeht und nur der Stil ein Bleiberecht hat – wie können wir ihn uns zu eigen machen? Was macht ihn überhaupt aus? Wann ist oder wird Stil stilecht und gut?
„Ihre Frage ist nicht Sein oder Nichtsein, sondern ist zugleich Sein und Nichtsein. Sie steht immer auf der Wasserscheide von Vergangenheit und Zukunft und gibt uns, solange sie auf der Höhe ist, ein so starkes Gegenwartsgefühl, wie wenige andere Erscheinungen“ (Simmel).
Die Beschäftigung mit Mode war schon immer kontrovers und bleibt es. Die Begeisterung für das oftmals nur als oberflächlich geschimpfte Phänomen ist eine ständige Gradwanderung zwischen dem Anspruch, sie sei eine Kunstform oder gar Kunst, und der völligen Ignoranz ihrer Bedeutung für die Kultur und das postmoderne Selfie-Individuum. Keine Frage, sie ist wohl das schnelllebigste Phänomen unserer Zeit und doch ist sie – und war es schon immer – ein Ausdruck und Indikator, ein sensibler Seismograph sozikultureller Strömungen und aktueller Zeitgeschehnisse.
Die Schnelllebigkeit und die daraus resultierende Kurzlebigkeit der Mode stehen oft in der Kritik, denn die Forderung nach immer neuem „Content“ hinterlässt das Gefühl eines künstlichen Verfalls und der Minderwertigkeit von Kleidungstücken in kürzester Zeit. Die mediale Massenverbreitung von Mode und die Möglichkeit der Sichtung im Netz noch vor den offiziellen Mode-Shows, begünstigen diesen Eindruck auch noch um ein Vielfaches.
Die Modemagazine überschlagen sich derzeit mit Bildern neuester Trendteile, die uns den kommenden Frühling/Sommer vordiktieren werden und ich komme nicht drum herum, mich zu fragen: Wo ist der Stil geblieben? Diese Schnelllebigkeit der Mode fördert ihn jedenfalls nicht. Seine Berechtigung ist eine völlig andere und funktioniert nach differenzierteren Regeln. Doch ohne Mode auch kein Stil, denn beide bedingen sich in ihrer Natur und fordern das jeweils andere. Als Stil bezeichnet man die Eigenschaft, bei einer Entscheidung guten Geschmack walten zu lassen, sagt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken, wobei Stil an bestimmten Werten der jeweiligen Kultur gemessen wird. Das Entscheidende dabei ist, das rechte Maß zu finden und gleichzeitig Klischees nicht zu entsprechen, sondern diesen entgegenzuwirken.
Stereotypen Erwartungen zu widersprechen und dennoch konform zu bleiben, erfordert Stilgefühl. Situationsbedingt handeln, bedeutet eben auch, Herr oder Frau der Lage zu sein. Angemessenes Verhalten erfordert Geschick, Fingerspitzengefühl, das richtige Maß an Höflichkeit und damit verbunden eine gewaltige Portion Manieren. Dr. Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, schreibt in seiner Ethnologie der europäischen Lebensart über die historische und kulturelle Bedingtheit unserer Manieren, und fasst darunter auch Begriffe wie Mode, Stil, Geschmack, Sprache, Zeitgeist, Anstand und Sitte zusammen. Begreifen wir Stil also als die Charakterisierung unseres kulturellen und ästhetischen Ideals, so sprechen wir auch von inneren Haltungen, Werten, Normen uns insbesondere von Schönheitsidealen. Gerade in der Mode kommen diese besonders zum Tragen.
Vielfalt als Chance
Im März war wieder Fashion-Week-Zeit, zu der sich regelmäßig, wie jede Saison, die Elite der Modewelt in den Modestädten versammelt, um für uns Modelaien auszukundschaften, was wir bereits nächsten Winter tragen werden. Diese Tradition ist uns nun seit einem guten Jahrhundert bekannt, deren Anfänge wir dem großen Couturier Paul Poiret verdanken und der Idee mit seinen Kollektionen auf internationale Tourneen zu gehen. Orientalisch inspirierte Hosenröcke, die diese Saison wieder Hochkonjunktur feiern und nun Culotte heißen, gehen ebenfalls auf ihn zurück. Und schon ist Mode wieder Teil eines Politikums geworden, das auch zeitweilig an Aktualität nichts eingebüßt hat. Was machen wir also mit den „orientalischen“ Einflüssen heute? Ich werde mich jetzt sicherlich nicht um die „Political Correctness“ bemühen – die meiner Meinung nach längst überholt ist– und den Terminus „Orientalismus“ in seiner Gänze erörtern. Ja, ich meine den „Orientalismus“ in Form der über eine Million eingewanderten Flüchtlinge. Wie viel „Orientalismus“ durchzieht bereits unsere Kultur? Wovor hat die westliche Gesellschaft solche Angst? Und warum begreift Mode genau diese Angst als Chance? Vielleicht, weil sie in Transformation ihr großes Potenzial entwickelt. Ihre Kraft zieht sie aus allem, was neu ist – anders, ungewöhnlich und fremd. Mode schafft spielend woran Politik scheitert. Dabei macht Mode auch Politik. Ich erinnere nur an lange Haare und die Hippies, an Palästinenser-Tücher, Jeans und den Parka.
Der Hosenrock ist mittlerweile ein Klassiker, anders gesagt, er ist zeitlos. Der arabische Kichererbsen-Hummus an unserer heimischen Frischetheke, für all die Hipsters unter uns, essentiell. Der Döner-Fritze nebenan auch. Der Döner ist aus unserer Esskultur nicht mehr wegzudenken, dabei wurde auch er einst modifiziert und dem deutschen Gaumen angepasst und so schmackhaft gemacht. Solche Dinge geschehen geradezu spielerisch und meist ohne Zwang. Ist es denn so schwer vorstellbar, dass auch der Flüchtling seinen Beitrag leisten wird?
Was für die Politik zur Stunde unmöglich erscheint, macht Mode – Freiheit durch Vielfalt! Nach den Wahlergebnissen der vergangenen Wochen und dem Wählerzugewinn für die AfD, ist die politische Frage in Deutschland zu einer Stilfrage geworden. Die deutsche Politik benötigt einen Stilwechsel, wie es der Modekenner ausdrücken würde. Sich für andere Kulturen, Stilbrüche, Tabubrüche, Provokationen oder das Fremde zu öffnen, bedeutet auch, sich für Ästhetik zu öffnen. Dinge als schön anzusehen, die sich unserem ästhetischen Empfinden zunächst nicht erschließen, heißt, den anderen und seine Kultur verstehen zu wollen und den Zeitgeist, der ihn prägte. Interesse im Gegensatz zu Ignoranz, Offenheit im Gegensatz zur Grenzziehung und Akzeptanz im Gegensatz zu Despektierlichkeit sind demnach die Pfeiler einer Gesellschaft, die nach Fortschritt, Integration und gutem Geschmack strebt. Politik braucht also mehr Mode oder besser gesagt einen ordentlichen Stil. Die AfD ist keine Protestpartei oder gar ein gut gekonnter Stilbruch. Sie ist ein modischer Fauxpas. Als Klamotte wäre sie ein Ed-Hardy-T-Shirt. Zu bunt, zu schrill, zu nichtssagend, einfach nur hässlich und zu Recht erdacht, um letztlich in der Versenkung zu verschwinden. Blau wird nicht die Farbe der Saison. Alle, die darauf gesetzt haben, muss ich leider enttäuschen.
In der Mode ist „Weite“ wieder Mode. Die unvorteilhafte, einengende Skinny-Jeans verschwindet so langsam von der Bildfläche und macht weiten, fließenden, femininen Hosen Platz. Starke, freie und coole Frauen, wie Coco Chanel, machten den Hosenrock berühmt und salonfähig. Es ist an der Zeit, die Skinny-Jeans, das Korsett unserer Zeit abzustreifen und einer modernen, frischeren Saison entgegenzustreben. Befreien wir uns aus der Enge unserer Ängste und Gedanken, auch auf politischer Ebene. Denn wie bereits Tucholsky zu sagen wusste: „Mit dem Stil ist das wie mit so vielen Dingen: man hat ihn oder man hat ihn nicht.“
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