Die Region ist bereits seit Anfang des Jahres ständig in den Schlagzeilen und bereitet den Zuschauern Bauchschmerzen. Angefangen hat der neuste „Eskalations-Zyklus “ mit der Operation „Protective Edge“ im Frühsommer diesen Jahres. Nach anhaltendem Raketenbeschuss auf mehrere israelische Städte durch die im Gaza-Streifen ansässige Terrororganisation Hamas, schlug die israelische Armee schließlich zurück – doppelt und dreifach. Doch Halt – so kann man eigentlich gar nicht anfangen. Zumindest dann nicht, wenn man es richtig machen will. Angefangen hat alles bereits nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung des Staates Israels. Oder vielleicht doch bereits 1917 als der britische Außenminister Lord Balfour den Zionisten den Teil des Britischen Mandatsgebiet versprach, der sich damals noch Palästina nannte? Oder doch schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem erklärten Ziel der Zionisten, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen? Oder vielleicht gar schon mit der Zerstörung des Herodianischen Tempels in Jerusalem im Jahre 70 nach Christus?
Ohne Anfang – Ohne Ende?
Wenn alles so verworren und komplex geworden ist, dass man nicht einmal einen genauen Anfang des Nahost-Konfliktes definieren kann – zumindest keinen historisch korrekten – wie soll man dann eine Lösung, und damit ein Ende des Konfliktes finden? Als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal am Ben-Gurion-Airport in der Nähe von Tel Aviv landete, machte ich mich innerlich nur lustig über meine bescheuerten Klassenkameraden, die mir vor meiner Reise ins „Heilige Land“ noch Ratschläge wie, „Lass dich bloß nicht von einer Rakete treffen“, mit auf den Weg gegeben hatten. Hier summten keine Raketen herum. Alles war sauber, hyper-modern, ein bisschen wie eine Mischung aus amerikanischer, nahöstlicher und südeuropäischer Kultur. Vor allem schien es ordentlich und ruhig. Erst als wir in den Zug stiegen, der uns in die Metropole Israels Tel Aviv – der „Hügel des Frühlings“ – bringen sollte, bemerkte ich den ersten großen Unterschied zu meiner Heimat (neben der drückenden Hitze). Überall im Zug saßen wie selbstverständlich Soldaten – mit Gewehren bewaffnete Soldaten. Ich erschrak zutiefst, hatte ich doch noch nie zuvor eine richtig echte Waffe gesehen. Doch ich merkte schnell, dass die Soldaten – und die Waffen – hier in diesem seltsam-schönen Land zur Normalität gehören. Gehören müssen, sollte ich wohl besser sagen.
Schönes Israel – Schreckliches Israel
Israel ist ein Land der Paradoxe, ein Land der Extreme. Auf den Straßen Jerusalems laufen streng orthodoxe Juden mit Hut und schwarzem Anzug bei 40 Grad im Schatten neben braun gebrannten Teenagern in kurzen Hosen und schulterfreien Tops auf dem Weg zur nächsten Party. Den einen bedeutet ihre Religion alles, und die anderen – tatsächlich ein sehr großer Teil – bezeichnen sich als Atheisten. Einmal wohnte ich bei einer israelischen Gastfamilie. Am Freitagabend veranstalteten sie ein großes Fest, um den Sabbat – den „jüdischen Sonntag“ – zu feiern. Später gaben sie zu, dass sie das nur für mich gemacht hatten, damit ich mal sehe, wie so etwas aussieht. Eigentlich würden sie den Sabbat nie feiern. Ihre Tochter Nofar fährt Freitagabends lieber mit ihren Freundinnen in die Clubs von Tel Aviv und feiert, dass sie am Leben sind.
Als ich in Israel war, habe ich nie Angst gehabt, dass mir etwas passieren könnte. Das alles – der ganze Nahost-Konflikt – schien so weit weg. Man bekam ihn höchstens im Fernsehen mit, oder eben durch die omnipräsenten Soldaten. Unter den Leuten, mit denen ich dort zusammen war, gab es keine Spur von Araberfeindlichkeit oder fanatischen Ideen über die Wiedervereinigung des biblischen Israels. Doch das bedeutet nicht, dass es diese Menschen dort nicht auch gibt.
Ich wohnte während meiner Aufenthalte dort in der säkularen Party-Metropole Tel Aviv. Fährt man zwei Stunden von Tel Aviv in Richtung Osten nach Jerusalem, kommt es einem beinahe so vor, als wäre man gerade in ein anderes Land gereist. Der Sitz der drei großen monotheistischen Weltreligionen – das Judentum, das Christentum und der Islam, sie alle sind hier zuhause. Die Stadt sprudelt vor intensiver Religiösität, jahrtausendalter Geschichte, verschiedenste Kulturen sieht man hier auf engstem Raum. Der Westen Jerusalems ist israelisches „Territorium“, doch je weiter man in den Osten der Stadt fährt, desto mehr Schlaglöcher und heruntergekommene Häuser begegnen einem – hier beginnt der arabische Teil der Stadt. Fährt man noch etwas weiter, gelangt man in die West-Bank; Palästina. Es kommt einem zuweilen so vor, als sei man innerhalb einer halben Stunde von der Ersten in die Dritte Welt gereist. Ein dazwischen gibt es nicht.
Ein Land – zwei Heimaten
Man kann Israel nicht verallgemeinern. Weder die Haltung der Israelis zu den Arabern, noch die der Palästinenser zu den Juden. Man kann weder sagen: „Die Israelis sind miese Unterdrücker und Land-Diebe“, noch kann man behaupten, alle Palästinenser seien Terroristen. Israel ist nicht nur aus sozio-kultureller Sicht ein wahrer „Melting Pot“. Auch was religiöse, politische, spirituelle, philosophische oder eben konfliktbezogene Ansichten angeht, gibt es so viele unterschiedliche Überzeugungen, Standpunkte und Ziele, dass die israelische Gesellschaft eher wie ein Mosaik aus tausenden gesellschaftlichen Nischen erscheint, als eine homogene Gesellschaft des einzigen jüdischen Staates der Welt. Man kann eben keine Gesellschaft auf nur einen gemeinsamen Nenner reduzieren – bestimmt nicht auf ihre Religion. Das Problem Israels, sowie des Nahost-Konfliktes ist die Extremität, das Denken und Handeln in Schwarz und Weiß; Alles oder Nichts; Krieg oder Frieden. Leben und Tod.
Wo bleibt die Rationalität, der gesunde Menschenverstand? Der Konflikt muss sich von den Extremen lösen, damit eine Lösung gefunden werden kann. Kompromisse anstelle von Gewalt. Verständnis anstelle von Hass.
Man kann nun einmal nicht ändern, dass das biblische Land Kanaan heute die Heimat von zwei Völkern ist; den Palästinensern und den Israelis. Doch im Moment wird Tauziehen gespielt: „Entweder du oder ich!“ Und damit geht es wirklich niemandem gut. Entweder die Beteiligten entscheiden sich, das Tau in zwei Hälften gerecht zu teilen, oder es eben gemeinsam in Besitz zu nehmen: Ein-Staaten- oder Zwei-Staaten-Lösung. Doch dafür müssen sich die Menschen erst einmal gegenseitig als Menschen erkennen; als Menschen die alle im Grunde das Gleiche wollen: Eine Heimat.
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