Wer Father Anselmo anschaut, sieht in sein vernarbtes, sein völlig entstelltes Gesicht. Dort, wo Touristen aus der ganzen Welt an endlos langen Sandstränden ihr Urlaubsglück genießen, wurde Anselmo ausspioniert, bedroht und kam bei einem Säureattentat fast ums Leben. Warum er angegriffen wurde? Weil er Christ, weil er katholischer Priester ist. Islamistische Fanatiker wollen Sansibar zu einem Kalifat machen, in dem kein Platz für Andersgläubige ist. Father Anselmo wurde in Soest/NRW behandelt und hat den f1rstlife-Redakteuren Lukas Schröder und Tobias Schulte seine Geschichte erzählt.
Father Anselmo, Sie wurden als katholischer Priester Opfer eines brutalen Säureattentates in Ihrer Heimat Sansibar. Zunächst: Was waren dort Ihre Aufgaben?
Father Anselmo*: Seit 1976 lebe ich auf Sansibar und war als Priester tätig. Neben den Aufgaben in der Pfarrei war ich für die Seelsorge in den Bereichen Krankenhaus, Gefängnis, Militär und Tourismus zuständig.
Erst wurden Sie bedroht, bis schließlich der 13. September 2013 Ihr Leben völlig verändert hat. Was genau ist passiert?
Im Vorfeld wurde ich bereits mehrfach von den Terrorbanden bedroht. Ich sollte Sansibar verlassen, ansonsten würde man mich umbringen. Am 13. September war ich in einem Internetcafé in Stone Town. Als ich das Café verlassen hatte, passiert es: Während ich telefonierte, sah ich, wie jemand von der Seite kam und die Säure über mich kippte. Ich hatte sofort furchtbare Schmerzen und betete zu Gott, dass er mir hilft, die Situation zu überstehen. Dann schrie ich um Hilfe, sank zu Boden und wurde bewusstlos.
Was geschah dann? Wie wurde Ihnen geholfen?
Darüber kann ich nur spekulieren. Erst im Krankenhaus kam ich wieder zu mir. Da die Gesundheitsversorgung in Tansania sehr schlecht ist, ließ man mich zur Behandlung nach Indien ausfliegen. Dort wurde ich operiert und blieb drei Monate zur Genesung. Doch zurück auf Sansibar schmerzten meine Narben so sehr, dass ich ein weiteres Mal in Indien operiert werden musste.
Die Christen sind auf Sansibar deutlich in der Minderheit. Immer wieder hören wir Berichte von Verfolgung und Gewalt gegen die Christen. Wie ist ihre Situation auf Sansibar?
Zwar gibt es eine lange christliche Tradition auf Sansibar, jedoch sind etwa 97 Prozent der Bevölkerung muslimisch und nur 12.000 Menschen katholisch. Viele Jahre hat das Zusammenleben funktioniert. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich die politische Situation stark verändert und Teile der muslimischen Bevölkerung haben sich radikalisiert. Die Gruppierung Uamsho tritt dabei besonders brutal auf. Dieser Terrorismus wird von den arabischen Staaten finanziert. Terror gegen Christen ist zu einem gut bezahlten Business geworden.
Mit welchen Einschränkungen und Unterdrückungen müssen die Christen leben?
Das gesamte Christentum ist zur Zielscheibe geworden: Kirchengebäude werden angegriffen, Gläubige bedroht, in den öffentlichen Schulen müssen sich die christlichen Mädchen verschleiern oder werden mit muslimischen Männern zwangsverheiratet. Ein Priester ist erschossen worden, ein weiterer hat ein Attentat nur knapp überlebt. Alle Christen haben große Angst, viele sind bereits geflüchtet. Große Zelebrationen, wie die Gottesdienste bald zu Weihnachten oder Ostern, müssen durch die Polizei beschützt werden.
Von der Regierung und der Polizei bekommt die christliche Minderheit also Unterstützung?
Davon kann nicht die Rede sein, im Gegenteil. Sansibar leidet unter der großen Korruption. Polizei und Gesetzeshüter wollen nicht Recht oder Ordnung herstellen, sondern nur Geld kassieren. Der Brutalität gegenüber Christen steht die Regierung völlig untätig gegenüber. Wir Christen sind darüber sehr verärgert. Auch an einer konsequenten Strafverfolgung der Attentäter, die mich mit Säure übergossen haben, hat die Regierung keinerlei Interesse.
Sansibar gilt als idyllisches Urlaubsparadies mit langen Sandstränden und hellblauen Meer. Bekommen die Touristen von dem Leid der Christen vor Ort nichts etwas mit?
Sansibar ist wunderschön und lebt größtenteils vom internationalen Tourismus. Da es jedoch bereits Entführungen und Mordanschläge gab, können Touristen nur in Gruppen und in gewissen Bereichen unterwegs sein. Von der großen Schere zwischen Arm und Reich in der Bevölkerung und dem Leid der überwiegend sehr armen Christen bekommen die Gäste kaum etwas mit.
Wird das Christentum auf Sansibar in naher Zukunft völlig verschwinden?
Wegen der gefährlichen Situation sind einige Priester geflüchtet; eine Priesterweihe konnten wir schon seit sieben Jahren nicht mehr feiern. Unsere Lage ist vergleichbar mit der in anderen afrikanischen Ländern, zum Beispiel in Somalia und Nordnigeria. Doch verschwinden wird das Christentum nicht! Trotz der Verfolgung wächst die christliche Gemeinde, wenn auch nur langsam.
Schauen wir nochmal auf Sie und Ihre Zeit in Deutschland. Seit einigen Wochen werden Sie hier medizinisch behandelt – wie ist es dazu gekommen?
Da die Operationen in Indien die Verletzungen nicht ausreichend heilen konnten, musste ich nochmal von Experten operiert werden. Über einen langjährigen Freund und den Vereins FOR-Bangladesh wurde der Kontakt nach Deutschland hergestellt. Mit Unterstützung durch das Hilfswerk missio, das Erzbistum Paderborn, dem Klinikum der Stadt Soest und Pastor André Aßheuer aus Welver, konnte ich am 28. September nach Deutschland kommen. Im Klinikum Soest bin ich bereits mehrfach operiert worden.
Wie sieht diese medizinische Behandlung konkret aus?
Teile des Unterkiefers und der Zähne wurden rekonstruiert, ebenfalls meine Oberlippe und die linke Gesichtshälfte. Inzwischen kann ich auch besser sehen als zuvor. Am Oberkörper wurden Expander eingesetzt, die nun von Woche zu Woche aufgebläht werden, um die Haut zu vergrößern. Die neue Haut wird dann herausoperiert und an die vernarbten Stellen eingesetzt.
In der Nähe von Soest sind Sie in der katholischen Pfarrei St. Maria in Welver untergekommen. Wie wurden Sie dort aufgenommen?
Die Aufnahme in der Pfarrgemeinde sehr herzlich und die Hilfsbereitschaft ist ausgesprochen groß. Bisher gingen Spenden in Höhe von 1.500 Euro ein. Eine Welveranerin bringt mir ehrenamtlich ein wenig die deutsche Sprache bei. Ein Team aus Zahnärztin, Kieferorthopäde und Zahntechniker behandeln kostenlos meinen beschädigten Unterkiefer und haben bereits Implantate eingesetzt. Ich bin sehr dankbar für diese Hilfe hier in Deutschland.
Wie erleben Sie die Kirche in Deutschland?
Die Kirchen sind sehr schön und groß. In Welver gehen viele junge und alte Menschen in die Messen, das freut mich. Sie sollen Gott danken, dass sie ihren Glauben frei ausleben können!
Was denken Sie, wenn Sie heute in den Spiegel blicken?
Wenn ich heute in den Spiegel schaue, erkenne ich, dass ich ein anderer Mensch geworden bin. Ich habe viel Zeit gebraucht, meine Geschichte, die Narben und die Schmerzen zu akzeptieren. Heute danke ich Gott, dass ich den Menschen meine Geschichte erzählen kann.
Wie reagieren die Menschen in der Öffentlichkeit auf Ihr Äußeres?
Ich merke schon, dass ich merkwürdig angeguckt werde. Doch jeder Mensch hat sein eigenes Kreuz zu tragen. Was mein Leben beschwert ist das Attentat, daher will ich mit allen Menschen über mein Leben und meinen Glauben reden. Ich sehe das Attentat wie das Kreuz, es stellt alles auf den Kopf und verkehrt die Dinge.
Was ist Ihr Traum für die Zukunft?
Mein Traum ist, dass die Menschen meine Geschichte kennenlernen. Ich verstehe ich mich als Missionar für den Glauben und die Christenheit auf Sansibar. Ein weiterer Traum wird mir demnächst erfüllt: Der Erzbischof von Paderborn, Hans-Josef Becker, hat Papst Franziskus auf mich aufmerksam gemacht und ich wurde vom Heiligen Vater zu einer Privataudienz am 21. Januar eingeladen. Da ich voraussichtlich im März nach Sansibar zurückkehren werde, erhoffe ich mir aus dieser Begegnung viel Kraft und Segen.
Trotz des Säureattentates wollen Sie also nach Sansibar zurückkehren? Haben Sie keine Angst?
Ich habe keine Angst. Natürlich weiß ich, dass ich auf Sansibar nicht frei leben oder mich frei bewegen kann. Jedoch möchte ich ein Zeichen gegen die fanatischen Islamisten und die Unterdrückungen meiner Mitchristen setzen. Es wäre falsch im sicheren Deutschland zu bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Durch die Redakteure übersetzt aus dem Englischen.
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