„Komm, wir gehen für unser Volk“, soll sie vor ihrer Deportation nach Auschwitz zu ihrer Schwester gesagt haben. Die Karmelitin ist damit für ihren Glauben 1942 ermordet worden. Warum sie zum Katholizismus konvertierte, in einen Orden eintrat und ein Vorbild für Frieden und Freiheit sein kann.
Dieser Beitrag entstand zuerst für das Bistum Regensburg: https://bistum-regensburg.de/
„Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit“, hat der heilige Papst Johannes Paul II. 2003 gesagt. Er war es auch, der seine Landsfrau Edith Stein selig- und heiliggesprochen sowie zur Mitpatronin Europas erhoben hat. Doch dieser Ehrung durch die Kirche ging ein Leben mit dem Kreuz voraus. Zwei Kriege und persönliche Schlachten musste Edith Stein erleben und hat „Sühne und Stellvertretung“ zu ihrem Lebensprogramm gemacht.
Edith Stein wird im jüdischen Glauben erzogen
Edith Stein wird am 12. Oktober 1891 als elftes Kind jüdischer Eltern in Breslau in Polen geboren. In der Schule ist sie Klassenbeste und gilt als intelligent und aufgeschlossen. Als Teenager distanziert sie sich bewusst vom jüdischen Glauben und nennt sich selbst „Atheistin“. 1911 bis 1913 studiert sie in Breslau Germanistik, Geschichte, Psychologie und Philosophie. Ihre Sehnsucht nach Wahrheit führt Edith Stein bis 1915 nach Göttingen, wo sie Edmund Husserl hört. Sie schließt das Studium mit dem Staatsexamen ab und promoviert 1917 bei Edmund Husserl.
Das Kreuz hält Einzug in das Leben von Edith Stein
Vier Mal bewirbt sie sich um eine Habilitation, vergebens. Ihr Plan, die erste Professorin für Philosophie in Deutschland werden, wird aber auch durch den Tod eines guten Freundes durchkreuzt. Als sie seine Witwe trösten möchte, sieht sie deren unerschütterlichen Glauben und bleibt getrösteter zurück als die Frau. In diesem Augenblick, so schreibt sie, „fällt mein Unglaube zusammen“ und Jesus erstrahlt ihr im Geheimnis des Kreuzes. Pater Dominikus Kraschl OFM, der beim geistlichen Symposium Würzburg im Jahr 2022 über das Leben Edith Steins sprach, führt hier die Begriffe „Sühne“ und „Stellvertretung“ an, die in ihrem Leben immer spürbarer werden.
Edith Stein konvertiert und tritt ins Kölner Karmelitinnenkloster ein
Durch die Begegnung mit der Witwe lernt Stein den Glauben und Jesus kennen. Sie beginnt, sich für die Heilige Messe zu interessieren und besucht sie täglich. Ihr Leben beginnt, sich radikal zu verändern. 1922 wurde sie getauft, empfing die erste heilige Kommunion und wurde gefirmt.
In dieser Zeit befindet sich das Deutsche Reich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in der Krise: Die Weimarer Republik besteht noch, scheitert aber 1933. Auch in Edith Steins Leben nimmt dieses Jahr eine Vorrangstellung ein, denn im Alter von 42 Jahren tritt sie in das Kölner Karmelitinnenkloster „Maria vom Frieden“ ein und erhält den Namen Teresia Benedicta vom Kreuz.
Sühne und Stellvertretung als Programm von Edith Stein
Für Pater Dominikus Kraschl OFM ist klar, dass Edith Stein die Themen Sühne und Stellvertretung nicht vordergründig intellektuell definiert, sondern durch die Geschehnisse in ihrem Leben dazu gedrängt wird. Sie habe die Sehnsucht – und diese lebt sie auch im Orden –, „dass unser Leben für andere und aus der Haltung der Hingabe fruchtbar und gespeist wird.“ Sie empfinde das Leben im Orden nicht als „Weltflucht“, sondern als „Beruf, für alle vor Gott zu stehen und für die Menschen einzustehen.“ Sie lebt in der Haltung, in sich selbst die Macht des Bösen zu überwinden, weil sie erkennt, dass vor allem Feindesliebe einen Menschen vollkommen macht – scheinbar aussichtslos in der Zeit, in der die Nationalsozialisten an der Macht und auf dem Weg zu einem neuen Krieg sind.
Auch heute scheint die Kluft zwischen Ländern und Regierenden unüberbrückbar – denke man nur an den Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Aufeinander zugehen und andere Lösungen als Gewalt zu suchen – Fehlanzeige. In dieser Situation soll man seinen Feind lieben? Den, der Städte bombardiert und Häuser zerstört, soll man lieben? Menschlich unmöglich, doch mit Gottes Gnade und seinem Blick kann es gelingen.
Edith Stein emigriert in die Niederlande und wird deportiert
Am 21. April 1938 legt Edith Stein ihre ewigen Gelübde ab. Ende 1938 emigriert sie in den Karmel nach Echt in den Niederlanden. Auch in dieser Zeit der Vertreibung hält sie daran fest, Zeugin Gottes an Orten und in Situationen zu sein, in denen er scheinbar abwesend ist. Ihre Haltung hat damit zu tun, als Sühnende teilzuhaben am Erlösungswerk Christi. Stellvertretend für andere zu leiden und sich aufzuopfern, drückt Edith Stein wie folgt aus: „Der Lohn der Sühne ist der Lohn des Sünders“. Jesus Christus leide in und mit seiner Kirche und trete an den Ort des Sünders und bringt ihn so geheimnisvoll in die Nähe Gottes.
Auch im Angesicht des nahenden Todes sieht Edith Stein in der Sühne ein „mühsames Sich-Einfinden in das Weltgeschehen“, das nur gelinge, „wenn man das leidende Haupt Gottes sieht“. So erhalte das Leiden einen Sinn. So wichtig wie in ihrer Zeit ist es auch heute für die Gläubigen. Das Opfer muss nicht blutig sein, sondern kann darin bestehen, Zeit für das Gebet um Frieden zu opfern, die Tradition der Eucharistischen Anbetung zu pflegen und zur Gewohnheit zu machen, Geld zu spenden oder körperliche Leiden für Frieden und Versöhnung aufzuopfern. Die Einsicht dafür wächst laut Stein aber nur langsam, weil es zutiefst menschlich sei, dem Leiden entfliehen zu wollen.
1942 werden Edith Stein und ihre Schwester in Auschwitz ermordet
Fliehen will Edith Stein nicht. Entgegen den Protesten des Erzbischofs von Utrecht, Johannes de Jong werden 244 zum Katholizismus konvertierte ehemalige Juden, darunter auch Rosa und Edith Stein, am 2. August 1942 von der Gestapo verhaftet. In ihren letzten überlieferten Worten „Komm, wir gehen für unser Volk“, sieht die deutsche Religionsphilosophin Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz „keine Verzweiflung oder gar Hass.“ Sowohl das deutsche als auch das jüdische Volk passe zu ihr. Gerl-Falkovitz zitiert aus dem Testament der Heiligen, dass sie ihr Leben als Sühne unter anderem für Deutschland hingeben und ihr Leben stellvertretend für den Frieden anbieten wolle. „So ist Edith Stein auch für Deutschland gestorben. Ihren Lebensweg deutete sie schon beim Eintritt in den Kölner Karmel als Kreuzweg. Daher trug sie auch den Ordensnamen Teresia Benedicta vom Kreuz“, so Gerl-Falkovitz im Interview mit dem katholischen Nachrichtenportal katholisch.de.
Nach einer Zwischenstation im Camp Westerbork folgt der Abtransport “ad orientem”, also „zum Osten hin“ ins Konzentrationslager Auschwitz. Vermutlich direkt nach der Ankunft am 9. August werden beide vergast.
Das Andenken Edith Steins: Einstehen für Frieden und Menschlichkeit
Edith Stein sah ihr Leben als von der Vorsehung Gottes bestimmt und sich selbst, wie sie in ihrem Testament schreibt, als „Königin Ester, die gerade darum aus ihrem Volk genommen wurde, um für das Volk vor dem König zu stehen. Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Ester, aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig“ (Brief vom 31. Oktober 1938, in: ESW. IX, 121.)
Angesichts der gesellschaftlichen Konflikte in Deutschland und den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt lohnt sich ein Blick auf Edith Stein: Ihre intellektuelle Tiefe, ihre spirituelle Hingabe und ihr mutiger Einsatz für Wahrheit und Gerechtigkeit machen sie zu einer inspirierenden Figur des 20. Jahrhunderts. Trotz der Dunkelheiten um sie herum blieb sie ein Beispiel für die Kraft eines Lebens aus dem Glauben. Im wahrsten Sinne ein Leuchtturm kann sie für die heutige Zeit sein: Sich hingeben für andere, nicht hassen, sondern vergeben und darauf vertrauen, dass Gott das letzte Wort sprechen wird. Ihr Leben und Wirken ermutigen dazu, die Werte des Friedens, des Dialogs und der Versöhnung in einer oft gespaltenen Welt zu fördern.
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