„Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“, schreibt Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Ecce Homo“. Damit inszeniert er sich als Sprengmeister, der die gesamte philosophische Tradition vor seiner Zeit dem Erdboden gleichmacht. Seine Sprengkraft wirkt bis heute nach, denn auch die postmoderne Philosophie beruft sich auf ihn.
Friedrich Nietzsche wird am 15. Oktober 1844 in Röcken, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt, geboren und dort noch am selben Tag von seinem Vater, einem evangelischen Pfarrer, getauft. Nachdem der Vater verstirbt, als Nietzsche vier Jahre alt ist, setzt die Familie ihre hohen Erwartungen auf den jungen Friedrich, denn auch sein Bruder stirbt noch im Kindesalter. Als einziger männlicher Nachfahre soll nun Friedrich Pfarrer werden wie alle seine männlichen Vorfahren.
Aufeinandertreffen mit Wagner
Es ist bekannt, dass Nietzsche schon in seiner Jugend an der Existenz Gottes zweifelt. Auch die christlichen Moralvorstellungen hinterfragt er kritisch. So verwundert es nicht, dass er kein Geistlicher wird. Im Alter von 25 Jahren wird Nietzsche an die Universität in Basel berufen, wo er eine Professur für Klassische Philologie übernimmt.
Da Nietzsche zwar Altphilologie studiert hat, aber keinerlei akademischen Abschluss besitzt, ist die Berufung zum Professor eine Sensation. Doch Nietzsche geht es schlecht. Die hohen sozialen Anforderungen im mondänen Basel schwächen ihn. Er wird von starken Kopfschmerzen geplagt und leidet unter Angstzuständen.
Dann begegnet Nietzsche dem Komponisten Richard Wagner und besucht ihn häufig in dessen Landhaus Tribschen bei Luzern. Er bewundert Wagner und dessen Kunst. Wagner merkt, dass Nietzsche ihm treu ergeben ist und macht ihn zum Vorkämpfer für sein Projekt, in Bayreuth ein Musiktheater zu errichten. Nietzsche soll dafür Werbung machen.
Schopenhauer und Dionysios
Richard Wagner sieht seine Kunst über jeder Religion. Durch seine Musik will er dem jüngst vereinten Deutschen Reich Substanz geben, weshalb er aus seinem Schweizer Exil zurückkehrt. Nietzsche teilt Wagners Ideen. Zudem sind beide angetan von der Philosophie Schopenhauers. Nietzsche gefällt dessen Angriff auf die philosophische Tradition. Auch Schopenhauers Idee, dass hinter aller Bewusstheit ein ominöser Wille waltet, überzeugt Nietzsche. Die nahezu buddhistische Entsagung, die Schopenhauer lebt, löst dagegen bei Nietzsche Kopfschütteln aus.
Deutlich später, als Wagner seinen „Parsifal“ entwirft und zur Aufführung bringt, geht Nietzsche zu ihm auf Distanz. Richard Wagner nennt das Stück ein „Bühnenweihfestspiel“. Es ist alles andere als unchristlich. Der Traum, Richard Wagners Musik werde die jüdisch-christlich geprägte Kultur überwinden, zerplatzt für Nietzsche.
Zuvor entwirft Nietzsche die Idee des „Dionysischen“, das im Widerstreit mit dem „Apollinischen“ steht. Dionysisch ist in der Antike die Leidenschaft, die Ekstase, der Rausch, die Musik. Mit dem alles hinterfragenden Philosophen Sokrates habe allerdings das Apollinische seinen Siegeszug angetreten: die Nüchternheit, die Rationalität – die Zähmung des unbändigen Lebenswillens.
Die Enthemmungen, die sich in ihrer zerstörerischen Kraft im Krieg Bahn brechen, gelten Nietzsche ebenso als dionysisch. Obwohl er staatenlos ist, meldet er sich deshalb auf deutscher Seite für den Dienst im Deutsch-Französischen Krieg. Lange hält es Nietzsche nicht im umkämpften Elsass, zumal er dort schwer erkrankt.
Nietzsches Evolutionstheorie
Bevor die Universität Basel Nietzsche zum Wintersemester 1876/1877 freistellt, da dieser wahrlich keine Philologie mehr betreibt, widmet er sich in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ der Evolutionstheorie. Er spielt christliche Ethik und animalisches Erbe gegeneinander aus. Die christliche Kultur nimmt hier den Part des Apollinischen ein, das Dionysische die Natur. Nietzsche schreibt von einem „Vorrechte des Stärkeren“, das so in Darwins „Die Abstammung des Menschen“ gar nicht auftaucht. Auch in dessen Werk „Über die Entstehung der Arten“ geht es um Anpassung, nicht um Stärke.
Nietzsche gelingt es nicht, die Kultur aus der Evolution herzuleiten. Der Mensch ist tierisch, was sich immer wieder zeigt: „Schaudernd blicken wir, in jener plötzlichen Helle, um uns und rückwärts: da laufen die verfeinerten Raubthiere und wir mitten unter ihnen. Die ungeheure Bewegtheit des Menschen auf der grossen Erdwüste, ihr Städte- und Staatengründen, ihr Kriegeführen, ihr rastloses Sammeln und Auseinanderstreuen, ihr Durcheinander-Rennen, von einander Ablernen, ihr gegenseitiges Überlisten und Niedertreten, ihr Geschrei in Noth, ihr Lustgeheul im Siege – alles ist Fortsetzung der Thierheit“ (Unzeitgemäße Betrachtungen III).
Bei Nietzsche ist der Mensch nicht zuvorderst das vernunftbegabte Wesen, sondern das triebgesteuerte Tier. Dennoch begreift er den Menschen als Endziel der Evolution. Im Menschen wird sich die Natur selbst bewusst. Der Mensch soll sich über seine Triebe erheben, sie aber nicht wie bei Schopenhauer abtöten, sondern in freudigem Überschwang leben. Nietzsche predigt also einen radikalen Vitalismus.
Zarathustra
Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ ist sehr umfangreich und zudem entwickelt Nietzsche einen neuen Stil, über philosophische Gedanken zu schreiben. Er bedient sich hymnischer Prosa. Die vier Bände, in denen das Werk erscheint, sind keine Sachbücher.
Nietzsches Hauptfigur und Alter Ego Zarathustra hat sich vom Mitleid losgesagt und erfreut sich dadurch eines freien Geistes und bester Gesundheit. Er ist gefühlskalt und moralfern – oder „moralinfrei“, um eine Wortneuschöpfung Nietzsches zu gebrauchen.
Sichere Erkenntnisse gibt es für Zarathustra nicht – weder in der Religion noch in der Philosophie. In der Züchtung eines „Übermenschen“ soll der Mensch überwunden werden. Dieser Gedanke wird auch das nationalsozialistische Gedankengut des 20. Jahrhunderts mit befeuern. Im ersten Band von „Also sprach Zarathustra“ heißt es: „Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. Möchte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume schüttelt!“
Der Antichrist
Nachdem Nietzsche in seiner „Genealogie der Moral“ bereits zum Rundumschlag gegen die christlichen Moralvorstellungen ausgeholt hat, legt er in seinem Werk „Der Antichrist“ mit dem Untertitel „Fluch auf das Christenthum“ nach. In einer bis dahin nicht gekannten Schärfe greift er das Christentum an.
Nicht nur hätten die Christen und Juden Gut und Böse verkehrt, also die römische Völlerei, die Ausschweifungen, die Stärke und Macht für böse erklärt, obwohl sie den Römern das Gute gewesen sei, sondern zudem habe Paulus auch die Lehre Jesu völlig verfälscht.
Nietzsche zeichnet ein durchaus positives Jesus-Bild. Er benutzt für Jesus zwar den Ausdruck „Idiot“, deutet damit aber vor allem an, dass dieser ein sehr empfindsamer Mensch gewesen sei, etwas weltfremd und in seine innere Gefühlswelt zurückgezogen. Nietzsche zitiert ihn: „Das Reich Gottes ist in euch“! Das Reich Gottes ist also nichts, was im Jenseits auf uns wartet, es ist „eine Erfahrung an einem Herzen“ (Der Antichrist).
Der Kniff ist nun, durch die Behauptung, Paulus habe die Lehre Jesu verfälscht, zu zeigen, dass das gesamte Christentum sich auf eine völlig falsche Lehre gründet. Es ist nicht zu weit hergeholt, Nietzsche hier eine gewisse Taktik zu unterstellen.
Nacht legt sich auf Nietzsches Geist
Sein Werk „Der Wille zur Macht“, indem Nietzsche seinen Willensbegriff prägnant herausarbeiten wollte, kann er nicht mehr fertigstellen. Er fällt in geistige Umnachtung. Seine Schwester wird das Werk dennoch herausbringen und für die Nazis verfälschen. Relativ klar ist aber, dass Nietzsches Wille zur Macht ein Wille zur Steigerung ist, zum Einverleiben von Welt. Auch in den Priestern sieht er den Willen zur Macht, indem sie sich die Gläubigen unterwerfen.
Es zeichnete sich zum Ende von Nietzsches Schaffen ein zunehmender Wahnsinn ab. Briefe unterschreibt er mit „der Antichrist“, „Dionysos“ oder „der Gekreuzigte“. Die Briefe werden auch als Wahnsinnszettel bezeichnet. Tatsächlich ist als letzte Anekdote vor Nietzsches geistigem Zusammenbruch überliefert, dass er sich weinend und voller Mitleid einem Esel um den Hals wirft, der von seinem Besitzer ausgepeitscht wurde.
Auch ansonsten sind Nietzsches Lehre und seine Person widersprüchlich. Er ist der Sohn eines Pfarrers, doch schreibt recht sozialdarwinistisch, dass jeder, der Theologenblut in sich trägt, bereits verdorben sei. Zudem hatte der Schularzt Nietzsche attestiert, erblich vorbelastet zu sein. Die meiste Zeit seines Lebens erfreut er sich keiner guten Gesundheit. Ausgangspunkt für seinen Übermenschen kann Nietzsche selbst nicht sein.
Rezeption von Nietzsches Religionskritik
Am 25. August 1900 stirbt Friedrich Nietzsche in Weimar. Seine Forderungen nach Amoralität und Erbarmungslosigkeit gegenüber den Schwachen und Kranken werden sich später ungut die Nationalsozialisten zu eigen machen, in seinen Ideen zu den unterdrückten Trieben nimmt er aber auch Teile von Freuds Psychoanalyse vorweg und an den Universitäten und einigen Schulen haben Nietzsches Werke einen festen Platz.
Denn vor allem die französischen Existenzialisten haben Nietzsche für sich entdeckt und halten ihn bis heute aktuell In agnostischen und atheistischen Kreisen wird zudem Nietzsches Religionskritik rezipiert. Der Mitherausgeber der kritischen Studienausgabe von Nietzsches Werken, Giorgio Colli, sagte aufgrund der mannigfaltigen Bezugspunkte einst: „Im Bergwerk dieses Denkers ist jedes Metall zu finden. Nietzsche hat alles gesagt – und das Gegenteil von allem!“ Vielleicht gerade deshalb lässt sich Nietzsche vor allem mit einem Wort beschreiben: wirkmächtig!
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