Die Zahl der Jugendlichen, die ein Studium beginnen, steigt seit Jahren regelmäßig. Man sollte meinen, diese Generation an Akademikern, denen vermeintlich glänzende Zukunftsaussichten bevorstehen, würde voller Selbstbewusstsein dem Abschluss entgegenfiebern. Doch viele sehen sich mit Unsicherheiten und Ängsten konfrontiert.
Wie verbreitet diese Sorgen sind, habe ich erst kürzlich am eigenen Leib erfahren. Ein Seminar, das ursprünglich Berufschancen in der PR-Branche behandeln sollte, verwandelte sich nach kurzer Zeit in eine Art Selbsthilfegruppe für besorgte StudentInnen. Ich war überrascht, wie viele meiner KommilitonInnen mein eigenes Unbehagen teilten. Fast alle TeilnehmerInnen berichteten von Ängsten und Unsicherheiten hinsichtlich der eigenen Zukunft. Dabei gingen die Sorgen quer durch jede Studienrichtung.
Eine Studentin der Ernährungswissenschaften erklärte, dass sie im nächsten Semester ihre Bachelorarbeit schreibe und immer noch nicht wisse, in welche Richtung sie danach beruflich gehen wolle. Eine Geisteswissenschaftlerin, die ihren Abschluss seit ein paar Monaten bereits in der Tasche hatte, erzählte, wie ehemalige KommilitonInnen sich scheinbar wahllos auf jede freie Stelle bewarben, so unpassend sie auch war. Sie selbst wollte erst einmal abwarten und sich dann bewerben, wenn die Stelle auch wirklich zu ihr passte. Dennoch fühlte sie sich von ihrer Umgebung unter Druck gesetzt, weil sie noch immer nicht angestellt war.
Die breite Mehrheit gab zu, einen starken Konkurrenzdruck zu spüren. „Ich habe permanent das Gefühl diesen und jenen Kurs besuchen zu müssen, um mich ja von der breiten Masse abheben zu können“, sagte ein Jurist.
Das Bildnis des perfekten Absolventen
Auch ich verspüre dieses Gefühl, je näher mein Abschluss rückt. Hohe Erwartungen an uns selbst, aber auch von Seiten der potenziellen Arbeitgeber machen es uns schwer. Kaum ein unbezahltes Praktikum, das keine breiten Vorkenntnisse voraussetzt. Es reicht nicht mehr, nur gute Noten zu haben. Will man wirklich überzeugen, legt man zwei oder drei freiwillige Praktika, mindestens ein ehrenamtliches Engagement und selbstverständlich genügend Auslandserfahrung drauf. Alles während man natürlich auch noch überdurchschnittliche Noten schreibt, ein intaktes Sozialleben führt und einem interessanten Hobby nachgeht.
Wir erwarten nicht mehr aus der Uni zu kommen, Bachelorurkunde in der Hand, und von den Unternehmen sofort mit Handkuss empfangen zu werden. Wir zweifeln, ob wir überhaupt qualifiziert genug sind. Ob wir genug praktische Erfahrungen gesammelt haben. Ob wir nicht doch noch eine Fremdsprache mehr hätten lernen sollen, um Eindruck zu schinden. Wer übertrumpft wen?
Die Angst des Scheiterns
Uns stehen eine Million Türen offen – und wir können uns nicht entscheiden. Vor allem aber haben wir Angst, uns falsch zu entscheiden. Lieber den gutbezahlten aber langweiligen Bürojob? Oder das spannende, internationale Unternehmen, das vergleichsweise weniger gut bezahlt. Nach der Uni sofort Vollzeit arbeiten oder um die Welt reisen und die sagenumwobene, lang gefürchtete Lücke riskieren?
Viele unserer Ängste haben auch mit unserem Selbstbild zu tun. Nachdem wir uns bewusst für das in der Gesellschaft positiv gewertete Studium entschieden haben, soll sich die Schufterei auch gelohnt haben und in entsprechend prestigeträchtige Positionen führen. Etwas Neues ausprobieren und womöglich scheitern? Das widersetzt sich unserem Sicherheitsbedürfnis. Nach dem Studium für einige Zeit in die Arbeitslosigkeit zu rutschen, ist ein weit verbreitetes Horrorszenario. Wir sind noch nie gescheitert; haben uns noch nie Sorgen machen müssen. Umso größer ist unsere Angst davor.
Die Folge ist nicht allzu selten, dass sich Einige unter Wert verkaufen. Um der Lücke im Lebenslauf zu umgehen, absolvieren wir unbezahlte Praktika, entscheiden uns häufig für den besser bezahlten Job und enden nicht allzu selten in unerfüllten, uninspirierten Karrieren.
Life is a Rollercoaster
Was also tun? In meinen Momenten des Zweifelns nehme ich mir vor, mich auf meine Stärken zu besinnen. Wer genau weiß, wer er ist und was er kann, schafft es auch zu überzeugen. Und das im Zweifelsfall auch ohne ein Jahr auf einer Biofarm in Paraguay gearbeitet oder ein Praktikum bei Mercedes absolviert zu haben.
Angst ist normal. Angst ist menschlich. Und oft spornt uns unsere Angst dazu an, noch Größeres zu erreichen. Im Grunde sind wir alle uns unserer Intelligenz bewusst. Wir wissen, zu was wir in der Lage sind und die meisten sind unterbewusst auch zuversichtlich, dass diese Fähigkeiten eines Tages schon anerkannt werden. Ja, die Konkurrenz wird größer, aber minimiert das unsere Leistungsfähigkeit und unsere Erfahrung? Nicht im Geringsten.
Ich habe gelernt mich zurückzulehnen. Keiner von uns kann sein Schicksal beschleunigen, geschweige denn es kontrollieren. Doch anstatt in Panik zu verfallen, gilt es sich ins Gedächtnis zu rufen, wie wenig wir vor ein paar Jahren geahnt hätten, dort zu stehen, wo wir jetzt sind. Life is a Rollercoaster. Also lehn dich zurück und enjoy the ride.
Nicolas
Da spricht die Autorin aus meiner Sicht ein zentrales Thema an: Den Jobeinstieg mit Handkuss und in Chefetage hat es nie gegeben (absolute Überflieger und Vetternwirtschaft vielleicht einmal ausgenommen). Dass manche Abschlüsse im Schnitt höhere Gehaltseinstiege ermöglichen muss ja auch wieder im Verhältnis zur ganzen Zunft betrachtet werden. Ich verstehe allerdings auch nicht, welcher nicht völlig auf den Kopf gefallenene Absolvent diese Erwartungshaltung sich (sinngemäß) „nach dem Abschluss die Karriere in der Berufswelt nicht schrittweise und lang erarbeiten zu müssen“ vor unserer Generation gehabt haben sollte?