Wer in Nepal ins Kino geht oder Filme kauft, hat die Wahl: Auf der einen Seite gibt es die aufwendigen Hollywoodproduktionen mit den häufig freizügigen Schauspielerinnen, auf der anderen die meist traditionellen, prüden Hindi-Filme. Zwei Lebensweisen, die aufeinanderprallen.
Wer in Kathmandu in einem der zahlreichen DVD-Läden durch die Auslage kramt, wird bestimmt fündig. Die neusten Filme sind zu haben, gerade frisch aus dem Kino – eingehüllt in dünne Plastikfolien mit selbst gedrucktem Cover. Schwarz gebrannt natürlich, für ein paar Cent. Hollywoodblockbuster wohin das Auge reicht. Doch man wäre nicht in Nepal, wären nicht auch hier die Bollywoodstreifen aus dem Nachbarland Indien angekommen, mit den vielen Tanzeinlagen, den hellen Frauenstimmen und Superstar Shah Rukh Khan. Was in Europa nur ein Spartenpublikum findet, hat hier Unmengen an Fans.
Kontrast zwischen dem prüden Bollywood und den Liebesszenen der westlichen Filme
Auf den ersten Blick mag es nur der Unterschied zwischen amerikanischen und indischen Produktionen sein, doch im Grunde treffen hier zwei Welten aufeinander und damit zwei unterschiedliche Wertesysteme: auf der einen Seite Hollywood mit viel Action, Spannung, knapp bekleideten Frauen und detaillierten Liebesszenen. Auf dem Bildschirm tauchen nicht selten die Wolkenkratzer von New York auf mit geschäftigen Menschen, die von Meeting zu Meeting eilen – Karrieretypen eben. In den Bollywood-Filmen dagegen sieht man in traditionelle Saris gekleidete Frauen mit klirrenden Armreifen, die sich brav in das Familienleben einbringen, kochen können und auf eine prunkvolle Hochzeit hoffen. Mittlerweile sind auch starke, emanzipiertere Frauen in den Hindi-Filmen angekommen, doch prüde sind sie immer noch: Verlieben sich auch hier mal zwei Menschen ineinander – spätestens bei einem Kuss auf den Mund wird schleunigst ausgeblendet. Ausnahmen davon gibt es nur wenige.
Gerade Nepal ist ein Land, das so anders ist als die Welt in den Hollywood-Filmen. Ältere Nepalesen haben ihr Land oft noch nie verlassen, manche Frauen nicht einmal ihr Stadtviertel, geschweige denn andere Kulturen und Kontinente gesehen. Die Bildung in dem armen Land ist längst nicht so gut wie in weiter entwickelten Nationen. Die westliche Welt kennen sie demnach hauptsächlich aus den Filmen.
Westler sind unmoralisch, so das Urteil
Was in den Filmen zu sehen ist, wird deshalb häufig geglaubt – und entspricht nicht selten auch der Realität. Denn in den Touristenregionen von Nepal werden genau diese Klischees oft vorgelebt: Der freizügig gekleidete Europäer oder Amerikaner, der einen zu viel über den Durst trinkt, sein Leben genießt und bei kurzfristigen Bekanntschaften nichts anbrennen lässt. Die Nepalesen sehen dabei nur die Eskapaden der Urlauber, nicht aber die harte Arbeit in der Heimat, um sich den Urlaub leisten zu können. Das Urteil von nicht wenigen: Westler sind unmoralisch, rücksichtslos, vergnügungssüchtig und geldgierig. Ihre Beziehungen halten nur kurz, sie scheinen was die Partnerwahl angeht, nicht sehr wählerisch zu sein und um die Familie kümmern sie sich nicht. Kann die Oma nicht mehr für sich selbst sorgen, wird sie in ein Altersheim abgegeben. Besuchen kommt man sie dann ohnehin nur wenige Male im Jahr.
In Nepal dagegen ist solch ein Verhalten komplett unverständlich: Hier zählen die Familienbande viel, man bleibt auch im Erwachsenenalter noch zu Hause bei seinen Eltern, hilft ihnen und kümmert sich um Oma und Opa – bis sie sterben. Man hält zusammen. Der Ehemann und die Ehefrau werden oft noch von der Familie ausgesucht, Scheidungen gibt es hier so gut wie keine. Selbstständigkeit, auf eigenen Beinen stehen, bedeutet etwas anderes als in der westlichen Welt.
So reich der Westen mit seinen materiellen Dingen ist, so arm erscheint er in den Augen der Einheimischen, was den sozialen Zusammenhalt betrifft. Doch nicht nur in Asien ist die Familie wichtig, sondern auch in den westlichen Ländern – nur eben in einer etwas anderen Form. Es sind unterschiedliche Lebensentwürfe, in die die Menschen hineinwachsen. Wer gereist ist, weiß das und versteht auch, dass die Welt in den Filmen da draußen nicht immer genauso existiert.
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