„Glauben“ ist näher an „Vertrauen“ als an „Wissen“ oder „Meinen“. Wer „glaubt“, der glaubt immer an etwas oder an jemanden, an eine Realität, die ihm Sinn, Halt und Orientierung gibt. Und diese Orientierung überschreitet regelmäßig die Grenze des subjektiven „Sinns für mich“ zum objektiven „Sinn an sich“. Was ich als Sinn und Halt in meinem Leben begreife, an was ich glaube, das erlebe ich nicht nur als Sinn meines individuellen Schicksals, sondern als Sinn des Lebens „an sich“ und für alle Menschen.
Die Suche nach dem Sinn im Leben
Einen solch „felsenfesten“ Glauben zu erlernen, wachsen zu lassen und zu behalten, ist heute gar nicht so einfach – gerade für Jugendliche. Junge Menschen wollen in ihrer Kindheit und Jugend die Welt kennenlernen. Sie stellen sich die existenziellen Fragen des Lebens: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was soll ich hier eigentlich? – Manchmal bekommen sie auf diese Fragen eine Antwort – etwa durch ihre Eltern, durch Freunde, durch Lehrer, durch den Pfarrer oder Religionslehrer. Oft werden die Fragen auch vorläufig beantwortet, die Antworten später allerdings wieder hinterfragt und über den Haufen geworfen: Wo ist Gott? Wieso lässt er mich im Leid allein? Wie kann ich mit ihm überhaupt kommunizieren?
Die Beschreibungen und Anreden, die Jugendliche in früherer Zeit für Gott gebraucht haben – Bruder, Freund, Begleiter –, versagen plötzlich. Gott gibt sich nicht wie ein „normaler“ Freund, mit dem man spielen und Unsinn machen kann, der immer für einen da ist. Und darum scheidet er auch als Partner für eine Freundschaft aus – wenn es ihn überhaupt gibt. Bald kommen neue Interessen auf: Freunde und Kumpels, das andere Geschlecht. Schnell ist die erste Freundin oder der erste Freund da – eine Beziehung zum Ausprobieren und Experimentieren, die mehr oder weniger lange hält. Alle diese Entwicklungsschritte sind Teil der Suche nach dem Sinn in unserem Leben: Wir suchen nach Halt, Verbindlichkeit und Geborgenheit. Wir suchen nach einer Person oder Personen, auf die wir uns wirklich verlassen können, die wir lieben können – Familie, echte Freunde, „die“ Freundin oder „der“ Freund.
Doch wenn wir ehrlich sind, werden wir diese Verbindlichkeit und unbedingte Freundschaft bzw. Liebe auch nicht unter unseren besten Freunden oder in unserer Freundin oder unserem Freund finden: Auch diese Beziehung ist nur bedingt, zeitlich, spätestens mit dem Tod beendet. Ein Mensch kann niemals der unbedingte und absolute Sinn im Leben sein, da er niemals Sinn „an sich“ und Sinn „für alle“ ist. Selbst die Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau – so intim und intensiv, so vertrauensvoll und liebevoll sie ist – wird eines Tages enden. Es stellt sich erneut die Frage: Was ist nun der Sinn in meinem Leben?
Vertrauen aus Erfahrung
Gerade bei solchen Schlüsselerlebnissen machen Menschen die Erfahrung, dass es im Leben eine „übergeordnete Instanz“ geben muss, ein transzendentes Wesen, einen Fixpunkt, von dem wir kommen und zu dem wir gehen. Menschen sehnen sich gerade im Angesicht tiefen Leids und tiefer Trauer, allerdings auch bei wichtigen Lebensentscheidungen, bei einer Verabschiedung oder einem anderen einschneidenden Erlebnis nach Sinn. Sie besuchen ein Gotteshaus, denken über etwas nach, erbeten sich Segen und Halt – oft auch von der Kirche. So stehen die Sakramente der Taufe, Firmung und Ehe sowie die Krankensalbung und die kirchliche Begräbnisfeier an zentralen Stellen des menschlichen Lebens. Menschen suchen nach einer Deutung für solche Ereignisse. Zu solchen Zeiten machen Menschen oft prägende Erfahrungen und gewinnen das Vertrauen: Möglicherweise hat es ja doch etwas auf sich mit Gott.
An Gott zu glauben bedeutet dann doch etwas mehr als eine bloße Vermutung, aber ein reifer Glaube kann nur dann entstehen, wenn er wächst. Glaube fällt nicht vom Himmel. Wir erlernen ihn durch Gebet, Gespräch und Gemeinschaft – indem wir uns mit Gott, mit einem guten Bekannten oder in einer Gruppe über die wesentlichen Fragen unseres Lebens unterhalten: Was macht wirklich glücklich? Wie finde ich ein erfülltes Leben? Was ist meine Berufung? Was ist der Sinn im Leben? – Menschen, die sich diese Fragen stellen, kommen schließlich an einen Punkt, an dem sie erkennen: Gott hat mich auf dieser Erde an einen ganz bestimmten Ort gestellt – mit einer ganz bestimmten Berufung. Mein Leben ist nicht einfach sinnlos, sondern hat ein bestimmtes Ziel: Gott. Aus diesem Grundvertrauen heraus kann Glaube erwachsen.
Menschen in Deutschland glauben
Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte emnid-Umfrage ergab, dass 81 Prozent der Deutschen an die Existenz Jesu glauben. 56 Prozent sehen in ihm Gottes Sohn, immerhin 46 Prozent glauben an seine Auferstehung von den Toten, 39 Prozent glauben daran, dass Jesus auch Blinde und Gelähmte heilte – ein ziemlich überraschendes Ergebnis, gehen doch deutlich weniger als zehn Prozent der Deutschen sonntags in die Kirche. Der tiefe Graben zwischen einem erwachsenen Glauben und einem bloßen „Für-möglich-Halten“ ist vermutlich der Grund für diese Divergenz. Ich kann nicht ehrlich behaupten, dass ich an Jesus Christus glaube, wenn ich mein Leben an ganz anderen Maßstäben ausrichte, nicht einmal ab und zu den Gottesdienst besuche und nicht regelmäßig bete. In den Glauben hineinwachsen können wir nur dann, wenn wir uns für den Glauben öffnen, Erfahrungen mit Gott sammeln und gleichsam in eine Freundschaft mit ihm hineinwachsen.
Bei diesem Entwicklungsprozess kommen wir auch an einen Punkt, wo wir Gott zunächst einmal vertrauen müssen – ohne gleich einen Beweis einzufordern: Gott greift auch heute in unsere Welt ein. Er hat sich nach seinem Schöpfungswerk nicht einfach zurückgezogen, sondern wirkt auch heute noch. In eindrucksvoller Weise durfte dieses geheimnisvolle Wirken Gottes das Volk Israel im Auszug aus Ägypten erleben. In Jesus Christus hat Gott noch einmal „einen drauf gesetzt“: Gott wird Mensch. Er nimmt selbst die Natur eines Sterblichen an, stirbt für uns und steht von den Toten wieder auf. Auch die Geistsendung an Pfingsten und die Aufnahme Mariens in den Himmel sind Ereignisse, die wir nicht beweisen oder nachspielen können, aber die wir verstehen werden, wenn wir an sie glauben.
Glaube kann Berge versetzen
„Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.“ (Mt 17, 20) – Es ist ein interessantes Gedankenexperiment, das Jesus uns hier vorführt: Wer daran glaubt, dass Gott eine solch unvorstellbare Tat wie das Wegrücken eines Berges vollbringen kann, für den wird nichts unmöglich sein – eine eigentlich beglückende Vorstellung. Aber stellen wir uns selbst die Frage: Bringen wir den Glauben auf, von dem Jesus berichtet? Glauben wir daran, dass Gott für uns Berge bewegen kann und dass dies geschieht, wenn wir es wollen? – Die Frage führt uns vor Augen, wie schwach unser Glaube eigentlich ist. So recht wollen wir daran nicht glauben. So recht lassen wir uns auf Gott nicht ein.
Würden wir heute oder morgen alles stehen und liegen lassen, wenn wir wüssten, dass Gott etwas ganz Besonderes mit uns vorhat? Oder würden wir doch wieder daran zweifeln und aus Angst vor den großen Plänen Gottes zurückschrecken? Legen wir unser Leben wirklich in Gottes Hand? Oder misstrauen wir ihm? Ich möchte Euch heute dazu einladen, es mit Gott einmal zu „versuchen“, Euch zumindest ein Stückchen weit auf Gott einzulassen. Nur mit diesem Vorschuss an Vertrauen kann Gott in Euch wirken. Wer sich auf Gott einlässt, der kann Berge versetzen. Wer Gott grundsätzlich misstraut, in dem kann auch Gott nicht wirken.
Dieser Beitrag ist Teil einer Kooperation mit der Stabsabteilung Medien im Erzbistum Köln. Jeden ersten Sonntag im Monat schreiben wir exklusiv einen Gastbeitrag für die Facebook-Seite Firmlinge im Gespräch mit Weihbischof Schwaderlapp.
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