Mitte August ist unsere Autorin in das Land gezogen, das vor allem für die Band ABBA, preiswerte Inneneinrichtung von IKEA und einen unkonventionellen Umgang mit COVID-19 bekannt ist: “Seit fast vier Monaten lebe und studiere ich nun in Jönköping in Südschweden, und es gibt ein paar Dinge, die mich verwirrt, amüsiert oder überrascht haben.”

Man kann jede Person googeln (ja, auch mich)
Wer in Schweden lebt und das eigene Alter oder den Wohnort geheim halten möchte, ist hier wortwörtlich an der falschen Adresse. Sobald man meinen Namen oder den anderer Personen googelt, werden einem mit einem Klick alle persönlichen Informationen angezeigt – vorausgesetzt, die Person lebt länger als ein Jahr in Schweden oder hat die schwedische Staatsbürgerschaft. Das bedeutet nämlich, dass man eine schwedische Personennummer hat und im System registriert ist. Ich finde das ein bisschen unheimlich, muss aber zugeben, dass ich gern aus reiner Neugier das Alter meiner Uni-Profs im Internet nachschaue.

Einige automatisch erstellte Profile geben nicht nur den Namen, das Geburtsdatum, das Alter, die Adresse und die Quadratmeterzahl der eigenen Wohnung an, sondern auch, ob die Person verheiratet ist, wann ihr Namenstag ist und wer die Mitbewohner*innen und Nachbar*innen sind… Wenn man bedenkt, dass eine so große Menge an Informationen über jede*n Einzelne*n offengelegt wird, finde ich das schwedische Bedürfnis nach Privatsphäre (es gibt mehr Einzelhaushalte als in jedem anderen Land der Welt) recht widersprüchlich.
Geschlechtsneutrale Toiletten
Die Schwed*innen tun eine Menge, wenn es um die Einbeziehung von Menschen geht, die sich nicht binär mit dem männlichen oder weiblichen Geschlecht identifizieren. Das dritte, geschlechtsneutrale Pronomen hen (neben dem weiblichen hon und dem männlichen han) kam 2010 in Gebrauch. Angesichts dessen erscheint es nur logisch, dass öffentliche Toiletten unisex sind, sei es in Bahnhöfen, Universitätsgebäuden oder Bibliotheken. Ich denke nicht viel darüber nach, aber ein positiver Nebeneffekt ist, dass auf diese Weise lange Schlangen vor den Damentoiletten vermieden werden.
Die Nachttischlampe auf der Fensterbank

Wer an einem schwedischen Wohnhaus oder Wohnungen vorbeigeht und dabei (wie ich) gern die Fenster beäugt, wird feststellen: Die Schwed*innen besitzen viele kleine Lampen – die sie auf ihr Fensterbrett stellen, um sie abends einzuschalten. Das schafft eine gemütliche (mysig) Atmosphäre in Städten, besonders wenn der Winter naht und es am frühen Nachmittag dunkel wird. Ich bin jedoch froh, dass ich nicht in Nordschweden wohne, wo es im Winter mehrere Wochen lang fast gar kein Tageslicht gibt.
Nicht alle sprechen Englisch
Schweden belegt im weltweiten „English Proficiency Index“ unter den Ländern, in denen Englisch keine offizielle Sprache ist, immer wieder einen der ersten Plätze. Trotzdem beherrschen nicht alle die englische Sprache. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man im Urlaub ist oder sogar nach Schweden zieht. Ich rate dazu, nicht davon auszugehen, dass Englisch so weit verbreitet ist wie Schwedisch. Die wenigen Schwed*innen, die ich getroffen habe und die kein Englisch zu verstehen schienen, waren Erwachsene über sechzig . Gut für mich; so konnte ich mein Schwedisch üben.
Vermutlich kann man mit den meisten jüngeren Menschen und Servicemitarbeitenden überall Englisch sprechen, aber die Frage „Do you speak English?“ oder „Pratar du engelska?“ schadet nicht, zum Beispiel wenn man Fremde nach Auskunft oder dem Weg fragt.
Es gibt kein schlechtes Wetter (angeblich)
Ein schwedisches Sprichwort besagt: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“ (Det finns inget dåligt väder, bara dåliga kläder). Das wird tatsächlich wörtlich genommen: Auch wenn es mal den ganzen Tag regnet, schneit oder friert, gibt es immer noch genug Schwed*innen, die eine Wanderung machen – oft ausgestattet mit funktioneller Outdoor-Bekleidung, die auch wir Deutschen zu Genüge tragen.
Draußen zu sein, ist ein großer Bestandteil des schwedischen Lebensstils: Sei es zum Wandern, Radfahren, Ski fahren, Rudern oder Spazierengehen. Wer sich stets auf ausgezeichnetes Wetter verlässt, würde wahrscheinlich von Oktober bis März zu Hause bleiben, da Regen, Wind, Schnee, Frost und kalte Temperaturen in diesen Monaten eine Selbstverständlichkeit sind. Ich war anfangs noch recht wählerisch, wenn es um „schönes Wetter, um draußen zu sein“ ging, aber habe mich inzwischen mehr angepasst.
Unzählige Angebote zum Schwedischlernen
Ich kam mit guten Grundlagen der schwedischen Sprache nach Jönköping und war gespannt darauf, viele Ressourcen und Möglichkeiten zu finden, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. In der Stadtbibliothek wurde mir sofort ein ganzes Regal mit nichts als lättlästa böcker gezeigt, Büchern in einfachem Schwedisch. Dabei handelt es um Literatur für Erwachsene, die Anfänger*innen im Lernen der schwedischen Sprache sind – wie ich. Die Bücher sind dünn, die Wörter groß gedruckt, und der Wortschatz relativ einfach, auch wenn es verschiedene Stufen gibt („supereinfach“ bis „mitteleinfach“, Buchlänge XS bis XL). Die Geschichten können von einer Familie handeln, die in den Urlaub fährt, von Astrid Lindgrens Leben oder von einem Immigranten, der mit rassistischen Übergriffen zu kämpfen hat – ja, ich war überrascht von diesem ernsten Thema, fand es aber sehr gut, dass es auch zu solchen Themen Bücher gibt.

Außerdem kann man an kostenlosen staatlichen Schwedisch-Kursen teilnehmen, die „SFI“ heißen (Svenska för invandrare, also „Schwedisch für Einwanderer“). Ich habe mich gleich nach meiner Ankunft in Schweden angemeldet und erhielt einen Brief, um mein Niveau einige Wochen später einstufen zu lassen. Mein Unterricht umfasste wöchentlich zwei Unterrichtseinheiten von je 2,5 Stunden (ohne COVID-19 wäre es öfter), einen Videoanruf und Hausaufgaben. Die meisten meiner Mitschüler*innen dort lernten Schwedisch, um später in Schweden zu arbeiten; und die Nationalitäten waren sehr gemischt. Nach nur einem Monat konnte ich eine nationale Schwedisch-Prüfung ablegen und in die nächste Stufe namens grundläggande aufsteigen – dort werden neben Schwedisch auch Englisch und Mathe angeboten. In meinem Schwedisch-Kurs lesen wir aktuell Märchen und Novellen und müssen eigene Texte schreiben – und meine Grammatik-Lücken muss ich zu Hause nacharbeiten .
Das nationale Alkoholmonopol Systembolaget
In Schweden kann Alkohol ab 20 Jahren gekauft werden – verrückt, wenn man bedenkt, dass man in Deutschland schon mit sechzehn Jahren Bier bekommt. In schwedischen Bars ist das gesetzliche Trinkalter jedoch auf 18 Jahre herabgesetzt. Hinzu kommt, dass der einzige Ort, an dem man Alkohol mit mehr als 3,5 Prozent kaufen kann, Systembolaget ist, eine Kette von Spirituosenläden im Besitz der Regierung. Diese Geschäfte gibt es im gesamten Land. Sie sind sonntags geschlossen und samstags nur bis 15 Uhr geöffnet. Das Trinken muss also sorgfältig im Voraus geplant werden und das ist auch die Intention.
Eine fast bargeldlose Gesellschaft

Wer aus dem bargeldvernarrten Deutschland kommt, könnte in Schweden eine Überraschung erleben: Scheine und Münzen nimmt man hier so gut wie gar nicht in die Hand. Eine große Erleichterung für mich, die es doch sehr nervt, dass Bargeld in Deutschland in vielen Cafés, Restaurants, Bäckereien, kleinen Geschäften, Waschsalons und Bussen noch unerlässlich ist. In Schweden kann man selbst die 50 Kronen (etwa 50 Cent) für öffentliche Toiletten nur per Karte bezahlen. Ich finde das sehr bequem – obwohl man bei Bargeld merkt, wie viel man tatsächlich ausgibt, und es sicher besser ist, um persönliche Daten zu schützen.
Der einzige Grund, warum ich bisher in Schweden Geld abgehoben habe, war der Kauf eines gebrauchten Fahrrads und eines gebrauchten Nachttisches – beide von Personen, die sie bei „blocket.se“ verkauft hatten, dem schwedischen eBay. Hätte ich ein schwedisches Bankkonto gehabt, hätte ich die Verkäufer über „Swish“ bezahlen können. Das ist die schwedische Smartphone-App für schnelle Überweisungen an Privatpersonen, die ein Großteil der Bevölkerung benutzt .
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