Für vier Wochen war Michelle in Israel und verbrachte ihr Praktikum in der „heiligsten Stadt der Welt“, zwischen Wahlkampf, Cocktails am Strand und Raketen aus dem Gaza-Streifen. Noch ahnte sie nicht, dass gerade diese Raketen ihren Aufenthalt und ihre Weltsicht komplett verändern würden.
Am 01. März begann für mich das Abenteuer Israel. Während alle anderen Karnevalswütigen noch die Strapazen von Weiberfastnacht verarbeiteten, machte ich mich sehr früh auf nach Frankfurt für meinen Flug nach Israel. Geplant waren sieben Wochen Praktikum, anschließend eine Woche den Süden Israels und Jordanien erkunden und Ende April wieder zurück nach Deutschland fliegen. Dass diese Pläne leider von Raketen aus dem Gaza-Streifen durchkreuzt werden würden, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Am Shabbat stehen Bus und Bahnen still
So stand für mich nach einer umfassenden Sicherheitskontrolle am Flughafen ein vierstündiger Flug nach Tel Aviv an, um von dort aus weiter nach Jerusalem zu fahren, wo ich die nächsten zwei Monate verbringen würde. Angekommen in Israel wurde ich direkt mit der jüdischen Kultur konfrontiert: Es war Samstagnachmittag, also Shabbat. Sprich: kein Geschäft geöffnet, kein Zug oder Bus fährt und einfach alles hat geschlossen. Die Taxifahrer waren natürlich trotzdem im Einsatz und so ging es für eine 45-minütige Taxifahrt von Tel Aviv ins Landesinnere nach Jerusalem. Dort angekommen wurde das Zimmer bezogen, die Koffer ausgepackt, der erste Kaffee auf dem kleinen Balkon genossen und erst dann wirklich realisiert: Ich bin in Israel.
Die Informationen, die man über Israel mitteilen könnte, würden den Umfang dieses Beitrages um ein Vielfaches sprengen. Jedoch ist eine Aussage definitiv wahr, die ich auch vor meiner Anreise schon oft gehört habe: „Man verlässt Israel mit mehr Fragen als man vor der Ankunft hatte“ und das hat sich definitiv bewahrheitet. Israel ist vor allem anders und kompliziert: Es prallen so viele Religionen, Geschichte und nicht verarbeitete Konflikte aufeinander, dass es nicht möglich ist, alles aufzusaugen und erst recht nicht, sich darüber eine Meinung zu bilden. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, es gibt unzählige Meinungen und Ansichten. Alle prägen das alltägliche Leben und entladen sich regelmäßig an der Grenze zum Gazastreifen, wie erst vor einigen Wochen. Daher war für mich schon vor meiner Reise nach Israel klar: viel zuhören, viel anschauen, viel versuchen, zu verarbeiten, aber nicht be- oder verurteilen.
Die Klagemauer: So etwas hatte ich zuvor noch nie gesehen
Doch unabhängig von Politik und Konflikten gibt es vor allem in Jerusalem viel zu sehen. Sobald man sich durch die Gassen in der Altstadt zwischen Basartischen, Gläubigen und Touristenmassen gedrängt und die Sicherheitskontrolle passiert hat, steht man auch schon vor dem Wahrzeichen Jerusalems: der Klagemauer. Aufgeteilt in eine männliche und weibliche Seite besuchen jeden Tag unzählige Juden diese Mauer, singen, beten oder stecken kleine Zettel mit Gebeten zwischen die Steine der Klagemauer. Ein Schauspiel, das ich zunächst auf mich wirken lassen musste, weil ich so etwas Vergleichbares vorher noch nie gesehen habe.
Auch Touristen ist es gestattet, an der Mauer zu beten und diese zu berühren, jedoch sollte man aufpassen, dass man die Gläubigen dabei nicht stört. Ein weiteres Highlight in der Altstadt ist vor allem für Christen die Grabeskirche, mit dem Grab Jesu. Auch hier strömen zahlreiche Besucher und Touristen jeden Tag hin, um das Grab zu besuchen. Ebenso lohnen sich Touren durch die Altstadt, eine Fahrt zum Olivenberg, den Tempelberg und der Mechane Yehuda, den Markt, wo die meisten Einheimischen ihre Lebensmittel kaufen. Genauso wie ein Besuch in Yad Vashem für jeden Besucher Jerusalems ein Muss ist.
Sobald Freitagabend die Sonne untergeht, ist Shabbat. Das heißt vor allem in Jerusalem: ab nach Hause, für die nächsten 25 Stunden nicht arbeiten und Zeit mit der Familie verbringen. Wenn dann am Samstagabend die Sonne untergegangen ist, werden die Restaurants wieder geöffnet und es herrscht reges Treiben auf den Straßen, um die neue Woche willkommen zu heißen. So arbeitet man in Israel auch von Sonntag bis Donnerstag und hat am Freitag und Samstag frei, eine Wocheneinteilung, die bei mir vor allem zu Beginn für leichte Verwirrung sorgte.
Tourismus-Jerusalem: Ein Unterschied wie Tag und Nacht
Wenn es in Jerusalem gerade zum Shabbat wie ausgestorben war, empfiehlt sich ein Ausflug nach Tel Aviv. Strand, Shopping und Partys: In nicht einmal einer Stunde Fahrtzeit ist man von einer Stadt, die der Bibel entsprungen sein könnte, an einem Strand mit Cocktail in der Hand, umgeben von Luxushotels, einer Strandpromenade und Outdoor Fitnessgeräten, die auch in Florida stehen könnten. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, denn auch wenn in Tel Aviv am Shabbat die Geschäfte schließen und die Öffentlichen Verkehrsmittel nicht fahren, haben Bars, Restaurants und Discos weiterhin geöffnet, denn dort hat man sich deutlich eher an den Touristen orientiert. Und so saß ich bis zum 23. März noch unbeschwert mit einem Cocktail am Strand von Tel Aviv, mit Sonne im Gesicht und den Füßen im Sand und war mir nicht bewusst, dass dies mein letztes Wochenende in Israel sein würde.
Denn nach diesem Wochenende gab es Ereignisse, die meinem Aufenthalt einen Wendepunkt aufgezwungen haben. Es gab am 14. März bereits eine Rakete aus dem Gazastreifen auf Tel Aviv, wie zuletzt während des Gaza-Krieges 2014. Doch nach einer zweiten Rakete am 25. März gab es regelmäßiger Raketen aus dem Gazastreifen auf die Gebiete in Grenznähe, Aufrufe zu Gewalt seitens der Hamas und am Wochenende, am 30. März, auch noch zum Jahrestag der Demonstrationen ein Großaufgebot mit mehreren Tausend Personen am Gazastreifen. Die Wahlen für die neue Knesset, also das Parlament in Israel, am 09. April, spannten die Lage zusätzlich noch an.
Raketen und der Wunsch, in Sicherheit zu sein
Auf Jerusalem sind keine Raketen geflogen, jedoch war es gerade abends unruhiger als sonst vor meiner Haustür: viel Lärm, die Polizei die ganze Nacht im Einsatz und auch Tote in der Westbank durch Ausschreitungen. Wenn man sich vor Augen führt, dass nicht einmal 60 Kilometer Luftlinie von meinem Bett in Jerusalem entfernt die Hamas gewillt ist, einen erneuten Gaza-Krieg anzufangen, waren dies Erfahrungen, die ich bisher nicht kannte und froh bin, dass ich mich mit solchen Gedanken auch in Deutschland nicht beschäftigen muss.
So entschied ich mich Ende März nach einer schlaflosen Nacht mit Polizei und Gewalt vor meiner Haustür, meine Zeit in Israel vorzeitig zu beenden, buchte meinen Flug um und fing an zu packen. Keine 48 Stunden später landete ich wieder in Deutschland, traurig, viele Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten nicht gemacht zu haben, jedoch deutlich erleichtert, zu wissen, dass ich zu den privilegierten Menschen auf dieser Welt gehöre, die vor Gewalt und Krieg einfach wieder nach Hause fliegen können und wieder deutschen Boden unter den Füßen zu haben. Mit deutlich mehr Bewusstsein dafür, wie glücklich wir uns schätzen können, in Deutschland und Europa ein sicheres Leben führen zu können. Und auch mit der Erkenntnis, dass man manchmal einfach auf sein Bauchgefühl und inneren Instinkt hören sollte. Für mich war es in diesem Moment die richtige Entscheidung, wieder nach Hause zu reisen. Vielleicht werde ich irgendwann noch einmal nach Israel reisen, um die Dinge zu sehen, die ich nicht geschafft habe, denn Israel war anders, kompliziert und doch einzigartig und wunderschön.
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