Du ertappst Dich selbst manchmal dabei, unbewusst Vorurteile zu entwickeln? Vielleicht bist Du darüber erschrocken oder ärgerst Dich darüber. Wenn Du etwas dagegen tun möchtest, kann ich Dir eines empfehlen: Geh trampen!

Diesen Sommer bin ich mit meinem Freund per Anhalter durch Kroatien gereist. Für uns beide war es das erste Mal trampen und wir waren zwar relativ ahnungslos, hatten dafür aber ordentlich Lust auf Abenteuer. Die Flüge waren schnell gebucht – Ankunft in Dubrovnik, Abreise ab Triest -, die Rucksäcke gepackt, Zelt und Isomatten angeschnallt – und los ging es.
Ungefähr 750km Strecke sollten wir innerhalb von zwei Wochen mithilfe von 35 lieben Autofahren aus 11 verschiedenen Nationen zurücklegen. Wir haben nicht nur das Land Kroatien, sondern auch seine Leute kennen und lieben gelernt. Dankbarkeit und das wohltuende Gefühl von „Es-gibt-so-viele-liebe-Menschen-auf-dieser-Welt“ sollten auf dieser Reise unsere stetigen Begleiter werden. Und verschiedene Vorurteile, die sich ihren Weg in unüberlegte Momente des frustrierenden Wartens in der Hitze bahnten, wurden allesamt widerlegt. Hier ein paar Beispiele…
„Fahrer von Luxusschlitten nehmen keine Anhalter mit.“

Mal ganz ehrlich: Würdest du riskieren, dass die Rucksackschnallen von fremden Reisenden einen Kratzer auf dem hochglänzenden Lack deines edlen Neuwagens hinterlassen? Oder dass ein bisschen Staub deinen frisch geputzten Kofferraum verdreckt? Wahrscheinlich nicht, wenn du jeden Cent und jede freie Minute in die zärtliche Pflege deines ganzen Stolzes steckst. Für Fahrer von BMW, Mercedes und Co. sind Autos eben mehr als nur ein fahrbarer Untersatz – verständlicherweise.
Das dachte ich zumindest und setzte beim Trampen meine ganze Hoffnung in Lkw-Fahrer und Fahrer von Autos, denen man ihr jahrzehntelanges Bestehen als Nutzfahrzeug schon von Weitem ansah. Mein Vorurteil erwies sich jedoch schnell als unbegründet: Wir wurden sowohl von Lkw-Fahrern, als auch von Fahrern älterer Autos und edlerer Gefährte mitgenommen. Spätestens als ein tschechisches Paar in einem Luxus-Camper mit seidenbeiger Lederausstattung und Bodenbelägen in Yachtoptik uns mitnahm und gekühlte Getränke zur Erfrischung anbot, war klar, dass ich mich geirrt hatte.
„Seit der Flüchtlingskrise denken viele Osteuropäer konservativ.“
Wie sich in den letzten Wahlergebnissen gezeigt hat und in den Medien berichtet wurde, gibt es zurzeit in einigen osteuropäischen Staaten einen politischen Rechtsruck. Es werden Zäune an den Grenzen gebaut, Flüchtlinge getreten und nationalkonservative Parteien gewählt. Daraus ergaben sich für mich zwei logische Schlussfolgerungen: Erstens, konservative Osteuropäer sind wenig geneigt, fremde Reisende mitzunehmen. Und zweitens, seit Frau Merkels einladendes „Wir schaffen das“ sind sie nicht unbedingt positiv auf Deutschland zu sprechen.
Gleich unser erste Reisetag sollte mir jedoch zeigen, wie falsch ich lag: An nur einem Tag nahmen uns drei Kroaten, ein Bosnier und ein tschechisches Paar mit. Im weiteren Verlauf unserer Reise sollten uns noch viele Kroaten, eine polnische Familie, ein Slowake mit seinem Sohn, zwei weitere tschechische Paare und ein serbisch-kroatisches Paar mitnehmen. Dass ich seit der letzten Bundespräsidentenwahl auch die Österreicher für konservativ hielt, erwies sich ebenfalls als unbegründet: Auch ein Österreicher nahm uns mit und fuhr sogar einen Umweg, um uns zum nächsten Campingplatz zu bringen.

Insgesamt haben wir auch viel Positives über Deutschland gehört: Die politischen Beziehungen zwischen Kroatien und Deutschland seien gut und die Deutschen können froh sein über die starke Einwanderung – das eigene Land sei schließlich geplagt von der Abwanderung junger, ausgebildeter Arbeitskräfte. Außerdem war ich überrascht davon, wie viele Kroaten deutsch sprachen. Einige der älteren Generation waren als Gastarbeiter in Deutschland gewesen, andere als Flüchtling in den neunziger Jahren und wieder andere haben es während ihres Tourismus-Studiums in Kroatien gelernt. Negative Kommentare zu Deutschland und der deutschen Einwanderungspolitik haben wir während unserer gesamten Reise nicht gehört.
Mein Fazit
Während unserer Reise wurden alle Vorurteile, die sich zwischenzeitlich ihren Weg in meine Gedankenwelt bahnten, ausnahmslos widerlegt. Natürlich gibt es auch hier immer eine Kehrseite der Medaille und für viele Vorurteile wahrscheinlich auch einen Grund. Dennoch: wir haben ausschließlich positive Erfahrungen gemacht, mussten nie lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten und hatten stets sehr liebe, aufgeschlossene Fahrer. Viele von ihnen haben sich gefreut, dass mehr junge Leute heutzutage wieder per Anhalter reisen und nicht wenige nahmen bereitwillig einen Umweg für uns in Kauf.
Das Trampen hatte für uns die Vorteile einer hohen Spontaneität sowie sehr lehrreicher Gespräche. Wir waren sehr flexibel in unseren Reiserouten und –zeiten. Gerade auf Strecken, auf denen nur selten ein Bus fährt, ist das Trampen in Kroatien auch unter Einheimischen gang und gäbe. So hat sich das Warten auf den nächsten Bus schnell erübrigt und wir waren frei von jeglichen Zeitplänen. Ein weiterer Vorteil des Trampens war, wie viel wir über Land und Leute gelernt haben – und zwar ohne ständig die Nase in den Reiseführer zu stecken. In zahlreichen Gesprächen lernten wir über die Geschichte, Vegetation und Kultur Kroatiens, erfuhren die Geschichten unserer Fahrer und den einen oder anderen wertvollen Geheimtipp.
Auf unserer Reise wurde mir in Erinnerung gerufen, dass ein Vorurteil niemals pauschal auf alle Menschen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zutrifft, sondern eben nur auf die wenigen, die ihre Meinung am stärksten zum Ausdruck bringen bzw. von denen am meisten berichtet wird. Die Bestätigung eines Vorurteils wird dadurch eher zum Ausnahme- als zum Regelfall. Mein Glaube an das Gute im Menschen ist trotz der derzeit sehr ernüchternden Nachrichten aus aller Welt wieder hergestellt. Und nach dieser Reise kann ich guten Gewissens behaupten, dass dieser Glaube nicht nur auf einer Ideologie, sondern auch auf Erfahrung beruht.
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