Das größte Sportereignis des Jahres steht in den Startlöchern. Am Freitagabend wird in Rio das olympische Feuer entzündet und zahlreiche Wettkämpfe finden statt. Bereits am Mittwoch starteten die Spiele mit den ersten Begegnungen im Turnier des Frauenfußballs. Doch die Olympischen Spiele sind nicht mehr das, was sie mal waren. Ein Kommentar.

„Endlich ist es soweit!“ „Mama, Papa, gucken wir heute Abend Olympia?“ – Das war einmal, denn die Frage, die ich mir dieser Tage stelle, lautet: „Hab ich überhaupt Bock auf die Olympischen Spiele?“ Ich habe mir trotz minimaler Euphorie gestern einen Ruck gegeben und die Vorberichte zum Spiel Brasilien-China angesehen. Ein Jammer, denn selbst Sportmoderator Alexander Bommes wirkte so, als hätte er keinen Bock auf die Olympischen Spiele. Auslandskorrespondent Michael Stocks gab Rio und den Spielen eine fünf. Immerhin nicht als Schulnote, sondern auf einer Skala von eins bis zehn, was jedoch auch nicht der Knüller ist. Korruption, erst kürzlich fertiggestellte Sportstätten, die verdreckte Guanabara-Bucht, der finanzielle Notstand, fehlende Gehaltszahlungen, Proteste der brasilianischen Bevölkerung, der Zika-Virus und der Skandal der erloschenen Fackel durch Demonstranten sind jetzt auch nicht gerade Appetizer für das zweitgrößte Sportevent weltweit.
„Die Zukunft macht mir Angst“
Die „Vortraurigkeit“ im ARD-Studio komplettierte die mehrfache Schwimmweltmeisterin und Silbermedaillengewinnerin von Atlanta und Barcelona, Franziska van Almsick, welche sich die Stimmung größtenteils vom russischen Systemdoping vermiesen lässt. Sie beschreibt, dass ihr Leben größtenteils aus Leistungssport bestand und sie sich Gedanken macht, ob sich ihre Kinder überhaupt damit auseinandersetzen sollten, weil dieses Feld mit zu vielen Dopingfällen belastet ist. Derweil kämpfen verschiedene Sportler für die Teilnahme der russischen Whistleblowerin Julia Stepanowa, welche wie viele der russischen Athleten gesperrt wurde. Dass man nicht verstehen müsste, welche russischen Athleten starten dürften und welche nicht, bemerkte auch Bommes, denn zu glauben, dass das aufgedeckte Systemdoping lediglich die Leichtathletik abdeckt, ist ehrlich gesagt naiv. Doch auch nur die russischen Sportler unter Generalverdacht zu stellen, ist gänzlich falsch, denn wie Almsick sagt, ist davon auszugehen, dass Schwimmer, Leichtathleten und andere Olympioniken auch dopen.

All die negativen Faktoren führen in diesem Jahr teilweise zu einer Art Sport- und Olympiaverdrossenheit. Im Rundfunkstaatsvertrag steht geschrieben, dass jeder Einzelwettkampf von Olympia einem Großereignis gleicht, welches übertragen werden soll. Doch schon ein Teil der ersten Ereignisse laufen lediglich auf dem Livestream der Sportschau, anstatt auf nahezu unwichtigen Sendern wie Einsfestival, Einsplus oder in den nächsten Tagen ZDFKultur. Nicht einmal der Gute-Laune-Bär Giovane Élber konnte die Stimmung aufbessern, da die negativen Schlagzeilen den Anflug positiver Dinge verhinderte. Zwar spielten die Brasilianerinnen nur im Olympiastadion in Rio, jedoch sind sie nah am olympischen Dorf, welches auch von Skandalen nicht verschont geblieben ist. Hingegen lebt und spielt die deutsche Frauennationalmannschaft zunächst in São Paulo, die Stadt, welche immerhin nur 435 Kilometer vom Finalstadion, dem legendären Maracanã, und der olympischen Atmosphäre entfernt liegt, was in einem weiteren Bericht die Stimmung drückt.
Woher soll nun die Stimmung aufkommen?
Morgen geht es ja dann offiziell los – Zeit genug also, um noch Lust zu bekommen, aber das Geheimnis liegt im Wie. Die Beantwortung des Wie erfolgte am gestrigen Abend durch den leichten Hoffnungsschimmer Almsicks, der neben dem ganzen Pessimismus drohte unterzugehen. Es sind die Fans von heute, die Sportler von morgen, die Besonnenheit im Sportlerherz. Viele Wettbewerbe, ob Wasserball, Skeetschießen oder auch Rollstuhlbasketball sind Sportarten, die außerhalb der Großereignisse Olympia und Paralympics nahezu verschont bleiben von Kommerz und Doping. Diese Turniere sind für unzählige Sportler das Lebensziel und der Lohn für jahrelange harte Arbeit, jedoch werden die Leistungen von unehrenhaften Themen wie Doping und Korruption überschattet. Eines der Hauptprobleme ist, dass jegliche Leistungen, die etwas Besonderes sind wie beispielsweise ein neuer Olympia – oder sogar Weltrekord, sofort als Dopingstraftat abgestempelt werden und nicht mit sportlichem Kampf, Ehrgeiz und Herzblut in Verbindung gebracht werden. Schuld daran sind der Kommerz und der erhöhte Druck auf Sportler durch Sponsoren, Managern und Verbänden, die ein gesteigertes Interesse am finanziellen Erfolg haben, anstatt an den sportlichen Werten. Olympia, Fußballweltmeisterschaften und ähnliche Ereignisse eignen sich am besten für eine finanzielle Ausschlachtung des Sports. Ein Beispiel sind die kurzen Vita-Malz-Spots, welche natürlich nur die sportlichen Veranstaltungen präsentieren und nicht eine gelungene Einnahmequelle sind, obwohl im regulären Primetime-Programm der öffentlich-rechtlichen Sender keine Werbung läuft.
Olympia sollte wieder das werden, wofür es beliebt war: legendär für sportliche Leistungen
Den wahren und schönen Kern der Spiele repräsentiert das Olympiamuseum in Köln. Eine Sammlung von historischen Sportgeräten, Gegenständen und Unikaten, die alle eine einzigartige Geschichte erzählen. Angefangen bei Pierre de Coubertin über die propagandistischen Spiele 1936 bis hin zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio 2016. Es wäre doch traurig und verwerflich, wenn die nächsten 30 Jahre in solchen Museen durch Spritzen, Blutproben und Tablettenpackungen dargestellt werden, anstatt durch einmalige Boxhandschuhe, „Achter“, unvergessliche Zitate und Erlebnisse, die jedem Sportfan Gänsehaut bereiten. Es bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass, trotz all dem Negativen, der Sport sich mit all seinem positiven Charakter leidenschaftlich entfalten kann und das Trauerspiel beendet. So wie beim ersten Live-Tor der olympischen Spiele, das den ARD-Sportchef Steffen Simon dazu veranlasst hat, 6,5 Sekunden lang mit voller Leidenschaft „Goooooooooooool“ zu brüllen – Etwas, das nur der Sport leisten kann.
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