Nach einer Haftstrafe in die Gesellschaft zurückzukehren, ist schwierig. Es gibt viele Berichte darüber. Tom Rostved war für 21 Jahre im dänischen Staatsgefängnis in Kopenhagen inhaftiert, fast sein halbes Leben lang. Nun, nach seiner Entlassung, will er trotz aller Probleme ein geregeltes Leben führen.
Tom Rostved (44) sitzt vor einem rosafarbenen Stück Torte und einem Kaffee Latte. Er erzählt von der Zeit, in der seine tägliche Mahlzeit noch aus Kokain und Wodka bestand. Seine hellblauen Augen schweifen umher und er wischt sich mit etwas Küchenrolle einen Schweißtropfen von der Stirn. „Das ist, was das Leben als Krimineller einem einbringt“, sagt er. In seinem Fall Leber- und Lymphkrebs und ein durch Drogenkonsum zerstörter Körper. „Aber ich will kein Mitleid. Es war meine eigene Wahl.“

Rostved war seit seiner Jugend Mitglied einer Motorrad-Gang. Er will nicht ausführlicher darüber sprechen, erwähnt aber häufig die „Hell´s Angels“ und eine radikale Untergruppe namens „81“. Anfang zwanzig ist er ins Gefängnis gekommen – für 21 Jahre. Im dänischen Rechtssystem ist das ungewöhnlich lang. Laut einem Artikel des „Berkley Center Georgetown“, einem Forschungszentrum der Georgetown University, ist über die Hälfte aller dänischen Haftstrafen kürzer als vier Monate und sogar nur zwei Prozent sind länger als zwei Jahre. In Deutschland dauert Daten des statistischen Bundesamtes zufolge die Hälfte aller Haftstrafen mindestens ein Jahr.
“Mein Leben war eine Verschwendung von Lebenszeit”
Rostveds Verstöße waren jedoch hart und zahlreich. Das Urteil lautete: Drogenschmuggel, Banküberfall, Entführung und Körperverletzung. Ein Verfahren wegen Mords wurde wegen unzureichender Beweise eingestellt. Rostved sagt: „Ich war der Typ, der Geschäftsmänner mit Schulden beim Club entführt hat. Wenn sie nicht zahlen wollten, habe ich ihnen die Finger abgeschnitten. Es ging darum, ihnen größtmöglichen Schmerz zu bereiten. Gefühlt habe ich dabei nichts, ich war so high auf Drogen.“ Er selbst wurde schon angefahren, niedergestochen und am Hals angeschossen. „Ein Leben wie meins wünsche ich nicht einmal mehr meinen Feinden. Ich war böse, ich habe die schlechte Rechnung dafür bekommen. Aber nun ist es Zeit für die guten Rechnungen“.
Im Mai dieses Jahres ist Rostved aus dem Gefängnis entlassen worden. Seitdem arbeitet er als Freiwilliger im „Café Exit“ in Kopenhagen. Das ist ein Treffpunkt für ehemalige Gefängnisinsassen, an dem sie zusammen Zeit verbringen, Ratschläge bekommen oder mit Sozialarbeitern sprechen können. „Exit“ ist eine Initiative, die sich 2006 aus einem Häftlingschor unter der Leitung der Organistin Louise Adrian entwickelt hat. Eine gleichnamige, aber unabhängige Initiative gibt es in Deutschland seit 2000.
Zu den Sozialarbeitern im Kopenhagener Café gehört Linda Christoffersen. Sie koordiniert seit fünf Jahren die Freiwilligenarbeit im Café Exit und arbeitet zusätzlich mit Häftlingen noch während deren Gefängniszeit an ihrer Resozialisierung. Christoffersen hat die Erfahrung gemacht, dass die Arbeit mit ehemaligen Insassen häufig schwierig ist: „Aus meiner Sichtweise heraus sind es höchstens zehn bis fünfzehn Prozent aller Entlassenen, die überhaupt Hilfe bekommen wollen. Deshalb ist auch die Arbeit mit Freiwilligen so wichtig, das schafft einen ganz anderen Zugang.“ Das Café Exit halte sie so für einen wichtigen Anlaufpunkt.
Rostved hat sich eigener Aussage nach nie an Sozialarbeiter gewandt. Sie verstünden zu wenig von seinem früheren Leben, meint er. Stattdessen möchte er selbstständig an seinem neuen Lebensstil arbeiten. Neben seiner Arbeit im Café beinhaltet das auch, als Gitarrist und Sänger in einem Chor von ehemaligen Insassen mitzuwirken. Das Gitarrespielen habe er sich selbst beigebracht, die Musik gebe ihm Ruhe. Zudem besucht er Schulen, um seine Geschichte zu erzählen. Er hofft, sie dient den Kindern und Jugendlichen als abschreckendes Beispiel: „Wenn ich auch nur ein oder zwei von denen davon abhalten kann, kriminell zu werden, ist das bereits ein Erfolg für mich.“
Willensstärke bezieht Rostved auch aus der Religion. Er macht allein Gott für die positive Wende in seinem Leben verantwortlich, dankt ihm auf Facebook nach seiner Entlassung und ist Mitarbeitern der Gemeinde zufolge häufig in einer Kirche anzutreffen, die nur wenige Meter vom Café Exit entfernt liegt. Dass er diese Willensstärke aus dem Glauben auch wirklich braucht, weiß Rostved selbst: „Ich kenne mich. Wenn jemand mich schlägt, kann ich mich nicht zurückhalten. Auch, wenn ich weiß, dass ich dann auf unbestimmte Zeit im Gefängnis sitzen werde. Aber ich lerne, mich zu beherrschen und verbanne einfach alle schlechten Leute aus meinem Leben.“ Zur Religion hat Rostved aber nicht erst mit seinem neuen Lebensstil gefunden: „Ich war immer ein versteckter Religiöser. Im Club kommt es nicht gut, wenn man fragt: ‚Bevor wir das Kokain hier ziehen, sollen wir nicht noch schnell ein Gebet sprechen?’“
Doch trotz all seiner Ambitionen hat Rostved es nicht leicht. Als ehemaliger Häftling sieht er sich vielen Problemen gegenüber: „Ich muss lernen, wie Menschen kommunizieren. Als Krimineller habe ich nur meine Faust verwendet oder meine Position in der Gang. Hier draußen im echten Leben kann ich das nicht gebrauchen.“ Als er das erste Mal nicht mehr hinter Gefängnismauern stand, hatte er zudem noch ein anderes Problem: „Ich hatte ein Problem, mich zu fokussieren. Einerseits meine Augen – ich war es gewohnt, nicht weiter als zwanzig Meter sehen zu können. Mein Blick war die ersten Tage wie verrückt umhergeirrt. Andererseits, wenn Probleme auftauchen. Ich konnte nicht mehr nur davonlaufen oder Befehle befolgen.“ Die Zeit im Gefängnis und sein Leben zuvor haben Rostved so auch eine wichtige Lektion erteilt: „Ich musste zwar lernen, dass Dinge für dich ein Problem sein können, die für mich überhaupt keins sind. Aber wenn ich höre, wie sich jemand beschwert, dass es keine fettarme Milch im Supermarkt gibt, denke ich mir: Wenn das ein Problem für dich ist, dann hast du ein gutes Leben.“
Die Sozialarbeiterin Christoffersen kennt die Probleme von Rostved: „Viele Kriminelle sind so sehr in ihrem eigenen, kriminellen Leben gefangen, dass sie es für ganz normal befinden. Man muss sie über einen langen Zeitraum der Zusammenarbeit erst wieder an das andere Leben heranführen. Tom zum Beispiel war da sehr tief drin. Gerade im Alltag ist daher der Umgang mit nicht kriminellen Menschen sehr wichtig.“ Tom Rostved ist bei den Gedanken an seine Wandlung sehr betroffen. Er sagt: „Ich werde immer ein ehemaliger Insasse bleiben. Immer. Aber ich bessere mich von Tag zu Tag. Auf der Straße erkennt niemand mehr den Kriminellen in mir.“
Als Rostved sein rosafarbenes Stück Torte aufgegessen und seinen Kaffee Latte ausgetrunken hat, schlägt er mit entschlossenem Blick ein dünnes Buch auf. Er hat über seine Verbrechen und die Zeit im Gefängnis geschrieben. Auf der ersten Seite stehen als Unterschrift vier Zahlen: 8289. „Das war im Gefängnis 21 Jahre lang mein Name.
Jetzt bin ich Tom.“
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