Die Autorin hat erlebt, wie es ist, mit einigen psychischen Störungen in einer Wüstenlandschaft zu vagabundieren, wo sie vergeblich um Hilfe schrie. Welche Stationen sie abklapperte und wo sie letztlich landete, davon berichtet sie nachfolgend.
In diesem Beitrag geht es um psychische Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende findest du mögliche Hilfestellen. Wenn du einen Kommentar schreiben möchtest, freue ich mich riesig.
Schwerer Rucksack auf dem Buckel!?
Schon seit längerer Zeit trottete ich lechzend und stöhnend in meiner Wüste umher. Mich plagten Angststörungen, Panikattacken, Essstörungen, tiefe Depressionen, zeitweise (hypo-) manische Zustände, ein zwanghaftes Verhalten, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, körperliche Schmerzen und der Wunsch, zu sterben. Ich war noch jung und schon so verloren! Wie oft hörte ich: „Ach Mädchen, du hast doch dein Leben noch vor dir!“
Erste Anlaufstellen abklappern
Ja, wohin geht man in Deutschland, wenn man psychische Probleme hat und Freunde, Familie und man selbst auch nicht mehr weiterwissen. Richtig, man ruft mal beim Psychiater an. Mit wummerndem Herzklopfen rief ich dort an. „Erst in zwei Monaten? Aber was mache ich bis dorthin?“, stöhnte ich. „Durchhalten“, war die Antwort. So schleppte ich mich bis zu diesem ausgemachten Termin durch meine Tage.
Mittweile hatte ich große Hoffnungen in mir geschürt: „Hier wird mir bestimmt weitergeholfen!“ Mulmig kauerte ich im Wartezimmer und schließlich vor einem Arzt, der mich angrinste und fragte, warum ich kam. Ich stotterte irgendetwas von Depressionen und Ängsten. „Sie machen sich zu viel Stress! Ihre Messlatte ist ziemlich hoch!“, schleuderte er mir erklärend entgegen. „Ich scheibe Ihnen hier ein Beruhigungsmittel auf. Gehen Sie mal ein Stockwerk höher, da ist ein Psychologe.“
Ein Stockwerk höher: Psychotherapie
„Ja, hallo. Ich komme von unten. Dort wurde mir gesagt, ich solle mal zu Ihnen kommen für eine mögliche Psychotherapie!“, begrüßte ich den etwas älteren Herrn, der mir freundlich die Tür öffnete. Wir vereinbarten einige Gesprächstermine. Dort verbrachte ich das nächste halbe Jahr etwa einmal wöchentlich für 50 Minuten in einer tiefenpsychologischen Therapie.
Nächster Schritt: Klinikaufenthalt
Mittlerweile war der psychologische Psychotherapeut auch am Ende seines Lateins und schlug mir einen Aufenthalt in einer Klinik vor. „Mal stationär sich behandeln lassen. Das wäre bei Ihnen sehr dringend!“, konstatierte er. Ja, gut, ich dachte an eine Rehabilitationsklinik. Bei uns im Dorf wurde öfters mal darüber gesprochen, dass jemand in eine Kur ging. „Dann gehe ich halt auch mal in eine Kur!“, sprach ich zuversichtlich mit mir selbst.
Natürlich brauchte man eine Klinikeinweisung und so teilte ich dem mittlerweile schon wieder gewechselten Psychiater und nach der Umstellung des leichten Beruhigungsmittels zu Antidepressiva, mit, dass ich in eine Reha möchte. „Nein, das geht nicht. Sie müssen dann in eine Klinik!“ Erst als ich den Einweisungsschein in den Händen hielt und dort etwas mit „Psychiatrie“ las, dämmerte es mir, dass das irgendwie etwas Anderes sein müsste. Von klein auf hatte ich Ängste, wenn ich nur das Wort „Psychiatrie“ hörte. Ich wurde nie darüber aufgeklärt, was das war und hörte immer nur Sätze wie: „Im sechsten Stock leben die Verrückten im Krankenhaus. Das ist die Psychiatrie!“
Herrliche Aussichten?!
Nach wiederum einem halben Jahr kam ich in einer Psychiatrie auf einer offenen Station an. Offen meinte, dass man sich freier bewegen und nach Absprache oder Eintrag in ein Stationsbuch die Station verlassen konnte. Ich kam in einer Welt an, in der ich überhaupt nicht klarkam. So viele Reize auf einmal, so viele Patienten, so viel Leid, so viel Verwirrung und ein Schwung an Medikamenten. Dort vollzog sich der Wechsel von Antidepressiva zu Antipsychotika, die ich noch weitere vier Jahre einnehmen sollte. „Wo bin ich denn hier gelandet?“, durchfuhr es mein Inneres. Mein Zustand verschlimmerte sich zusehends und ich kam überhaupt nicht mehr klar.
Alltag in der geschlossenen Station
An diesem Tag war ich gleichzeitig euphorisch und lebensmüde gestimmt und einem Arzt kam das zu unsicher vor. Also meinte er: „Sie gehen auf Station 1.“ Als auch noch Pfleger in dieser seltsam angespannten Atmosphäre erschienen, die anderen Patienten auf ihr Zimmer helfen mussten und ich notdürftig ein paar Sachen zusammensuchen sollte, dämmerte es mir: „Moment mal. Station 1? Das ist die Geschlossene!“
Hier erlebte ich einen völlig anderen Alltag. Der Austausch mit meinen Mitpatienten war viel tiefgründiger, da man im gleichen Boot saß und einem nur wenig Ausgang erlaubt war. Ich bekam sämtliche Medikamentennamen mit, wer was hatte und welche Überlebenstricks es gab. Aber wenn ich bisher dachte, mein Leben irgendwie noch im Griff zu haben, war es spätestens zu diesem Zeitpunkt so, dass ich in ein nicht endendes, tiefes Loch fiel. Noch nie kam ich mir derart verloren, wertlos und hoffnungslos vor. Ich erinnere mich an die aufkeimende Panik, als ich in die Geschlossene kam und nur noch raus wollte. Da war aber eine dicke Glastür und mein Herz brach erneut. Ich versuchte, die Ärztin zu überreden rausgehen zu dürfen. Sie lächelte freundlich und meinte: „Heute geht das nicht mehr!“ „Und morgen?“, rief ich panisch. „Das wissen wir noch nicht.“
Ich kam nach einem Monat ungefähr auf die offene Station zurück und wurde nach einem knappen halben Jahr entlassen. Für mich bedeutete das: Wieder bei den Eltern einziehen, keine Perspektive haben und auf einen neuen Klinikaufenthalt warten an einem hoffentlich für mich besseren Ort.
Wechsel zwischen Reha und Psychiatrie
Nun hatte ich die Zusage für eine Reha bekommen und daran nahm ich auch teil. Es gab ein großes Angebot an Gruppensitzungen, Therapien in sämtlichen Formaten und einem gemeinschaftlichen Austausch. Leider ging es mir trotzdem noch zu schlecht, um nachhaltig davon profitieren zu können.
Also ging es erneut zurück in eine Psychiatrie. Nach vollzogenem Medikamentenwechsel wurde ich wieder nach Hause entlassen, um wieder ein halbes Jahr später mich in einer anderen Psychiatrie vorzustellen. Hier bekam ich wertvolle Hilfe in Gesprächen und der Zukunftsperspektive an einer medizinisch-beruflichen Reha teilzunehmen.
Ich stabilisierte mich Schritt für Schritt und konnte meine Belastbarkeit in einer Übungsfirma (ein künstlich eingerichtetes Unternehmen mit dem Zweck, kaufmännische Vorgänge zu simulieren) und in verschiedenen Praktika unter Beweis stellen. Eigentlich kam ich von der Universität und träumte davon, mein Studium weiterzuführen. Aber weit gefehlt, denn durch die psychischen Störungen und die Medikamente war ich nicht mehr in der Lage, studieren zu können.
Ausbildung als Hoffnungsschimmer
Letztlich durfte ich eine Ausbildung in einem geschützten Rahmen machen. Das ist keine duale Ausbildung in einem Betrieb und in einer Fachschule, sondern in einer Rehabilitationseinrichtung, in der man neben der schulischen Ausbildung auch Therapien in Anspruch nehmen kann. Ich war sehr dankbar für meine liebe Schulklasse dort, in der ich mich angenommen fühlte. Folglich konnte ich mich erholen und Selbstvertrauen aufbauen.
Nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung war ich überzeugt, alle meine psychischen Störungen überwunden zu haben. „Irgendwie habe ich das alles noch gar nicht verkraftet, was ich in der Psychiatrie erlebte“, überlegte ich. Ich hatte nun vermehrt Ängste, wenn Türen oder Fenster geschlossen wurden. Das versetzte mich regelrecht in Panik, weil ich das auf der geschlossenen Station als dramatisch und freiheitsberaubend erlebte.
Station 14: So langsam kehrt bei mir Ruhe ein
In den folgenden Monaten und Jahren ging ich langsam auf meinem Lebensweg weiter und stoß dabei auf Wegzeiger und Oasen, die mich Stück für Stück aus meiner trockenen Wüste navigierten. Letztlich verstand ich immer mehr, dass ich verantwortlich für mein Leben bin und lernte mehr, mir selbst passende Unterstützungsangebote zu suchen und in Anspruch zu nehmen. Mehr darüber kannst du in Teil zwei lesen.
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
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