Der Untergang der Titanic im Jahr 1912 war eine der größten Schiffsunglücke der Welt. Die meisten verbinden wohl die tragische Liebesgeschichte aus dem gleichnamigen Film mit dem Schiff. Über hundert Jahre später versucht sich der Künstler Yadegar Asisi der Titanic zu nähern. Für ihn stehen jedoch nicht die Einzelschicksale im Vordergrund seiner künstlerischen Auseinandersetzung, sondern vielmehr die Technik und Entstehung des Dampfschiffes. Eine Ausstellung zum Thema „Titanic – Die Versprechen der Moderne“ im Leipziger Panometer illustriert seine Gedanken.
Es war 23:40 Uhr an jenem 14. April, als die Titanic an einen Eisberg stieß. Die Passagiere wurden angehalten, auf die Rettungsboote zu flüchten. Die Kapitäne wussten bereits, dass jede Hilfe zu spät kommen würde. Etwas mehr als 700 Menschen haben diese große Katastrophe überlebt. Sicherlich hätten es aber viel mehr Überlebende sein können, wenn es mehr Rettungsboote gegeben hätte. Und es gab einen weiteren ausschlaggebenden Grund, weswegen viele Passagiere dem Rat der Kapitäne nicht gefolgt sind: Der unerschütterliche Glaube an den unüberwindbaren Fortschritt. Ob es diesen damals genauso wie heute gibt? Asisi lässt diese Frage mit seinem Panorama offen.
Das Schiffwrack als Überbleibsel des Unglücks
81 Treppenstufen steige ich auf die höchste Ebene des Besichtigungsturms hinauf – und befinde mich zugleich 3.800 Meter unter dem Meeresspiegel im Nordatlantik. Von hier aus kann ich das Wrack der Titanic betrachten. Noch ist es verhältnismäßig hell. Es ist Tag. Das Licht ist der Beleuchtung unter Wasser nachempfunden. Eine ruhige Klaviermusik begleitet meinen Besuch. Ich stelle mich an das Geländer und halte einen kurzen Augenblick inne. Wie hätte ich wohl reagiert, wenn ich an jenem Apriltag Gast auf der Titanic gewesen wäre? Hätte ich mich den leichtgläubigen Menschenströmen angeschlossen oder mich auf das nächste Rettungsboot geflüchtet?
Die Titanic steht symbolisch für die Industrialisierung um 1900. Die neue Errungenschaft – das Stahl – sorgte für Modernisierungen in den Bereichen Verkehr, Industrie und Architektur. Die einst ländlich geprägte Gesellschaft wurde damit weitestgehend verändert. Mit einer Länge von etwa drei Fußballfeldern bildete die Titanic damit ein technisches Wunder.
Die Werke der Natur als Grund des menschlichen Strebens
Doch gerade das ist es, was der Künstler kritisch beleuchtet: Die Überheblichkeit des Menschen, der danach strebt, die Natur übertreffen zu wollen – und damit andauernd scheitert. Die Titanic galt vor ihrem Untergang als das unsinkbare Schiff, auch wenn es die Ingenieure schon vor dem Unglück besser wussten. Asisi sagt selber zu der Titanic: „Die Titanic steht für mich einerseits für eine außergewöhnliche Ingenieursleistung, andererseits ist ihr Schicksal ein Sinnbild für die Hybris des Menschen.“
Plötzlich wird der Raum dunkler. Aus der leisen Musik ist plötzlich Tanzmusik und Gelächter herauszuhören. Mein Blick fällt auf die Kajüten. So fröhlich klang es bestimmt an den Abenden vor dem Unglück. Wie es wohl den Menschen erging, die die Katastrophe miterlebt haben? Asisi stellt die Einzelschicksale bewusst in den Hintergrund. Aus dem Kopf geht mir die Frage dennoch nicht. Es wird dunkel und die sanfte Klaviermusik setzt wieder ein. Von der freudigen Feier keine Spur mehr. Einsam und verlassen liegt das Schiffswrack auf dem Grund.
Der Bildbetrachter wird zum Regisseur
Yadegar Asisi möchte mit seinen Panoramabildern möglichst viele Geschichten zeichnen. Eine Deutung soll dem Betrachter allerdings nicht vorgegeben werden. „Der Betrachter des Bildes ist der Regisseur“, so der Künstler. Er lässt dem Betrachter den Freiraum, seine eigene Geschichte zu kreieren. Neben dem Ausflug in den Nordatlantik entführt Asisi mit seinen Panoramen in das Wittenberg zur Zeit der Reformation, zeigt das zerbombte Dresden um 1945 und das zerteilte Deutschland zu DDR-Zeiten in Berlin. Während ich ein letztes Mal um das große 360-Grad-Panorama schlendere, frage ich mich: Wo stehe ich wohl selber auf dem Bild?
Schreibe einen Kommentar