Man liebt sich, aber nur platonisch: Kann das überhaupt funktionieren, oder kommen irgendwann automatisch die Gefühle dazwischen? – Ein persönlicher Beitrag unserer Autorin Nadine Kuhnigk.
Ich sage aus voller Überzeugung: „Ja, Freundschaft zwischen Mann und Frau existiert“ und werde dafür regelmäßig schief angeschaut. Eine platonische Freundschaft zwischen Mann und Frau? Das muss doch schief gehen und sich irgendwann mindestens einer der beiden verlieben. Natürlich kann das passieren. Diese Aussage zu verneinen, wäre unglaublich naiv. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat im Rahmen der Jacobs Studie Befragungen zu genau dieser Fragestellung durchgeführt: Glaubt ihr an eine Freundschaft zwischen Mann und Frau? Ergebnis: Über die Hälfte der Befragten bezweifeln, dass platonische Beziehungen zwischen Mann und Frau wirklich auf Dauer möglich sind. Als Hauptgrund wurde angegeben, dass irgendwann der Sex dazwischen kommt.
Ich kann es nicht mehr hören…
„Männer und Frauen können keine Freunde sein, der Sex kommt ihnen immer dazwischen!“ Diesen berühmten Satz aus der Romanze Harry und Sally von 1989, in der zwei Freunde schlussendlich zusammen kommen, hören wir auch im Alltag regelmäßig. Wie oft habe ich genau diese Aussage schon gehört und mich darüber geärgert. Warum müssen wir unsere Mitmenschen gleich als Sexualobjekt betrachten? Vielleicht sollten wir uns eher mit dem Menschen hinter der Fassade befassen und dabei ignorieren, dass der andere vielleicht andere Geschlechtsmerkmale hat wie wir selbst. Wir sollten Menschen ihres Charakters wegen mögen. Wegen der Art, wie sie uns behandeln, der Antwort auf der Frage, ob wir uns auf sie verlassen können und ob sie für uns da sind. Was genau da jetzt zwischen den Beinen ist oder eben nicht, sollte dabei doch keine Rolle spielen.
Natürlich ist eine platonische Freundschaft auf den ersten Blick schwieriger. Das Risiko, dass sich einer in den anderen verliebt, ist natürlich gegeben und nicht zu leugnen und es funktioniert mit Sicherheit auch leichter, sofern wir den anderen nicht attraktiv finden. Anstatt sich aus der Befürchtung heraus, dass es nicht funktionieren könnte, gar nicht erst auf eine Freundschaft mit dem anderen Geschlecht einzulassen, sollten wir es vielleicht aufgrund der vielen positiven Aspekte probieren.
Kein Sex, aber dafür alle Macken auf dem Silbertablett
Ich kann nicht beurteilen, wie es für einen Mann ist, mit einer Frau befreundet zu sein. So schlimm kann es allerdings nicht sein, da meine männlichen Freunde alle noch ziemlich lebendig und glücklich wirken. Wohl kann ich aber darüber schreiben, wie dankbar ich meinen männlichen Freunden bin und was genau ich ihnen zu verdanken habe.
Ich bedanke mich dafür, dass ich neben einem Mann im Bett liegen kann und er für mich da ist, ohne das er mich anfässt und gleichzeitig bedanke ich mich dafür, dass er mir, wenn der Grund für mein Jammern ein anderer Mann ist, mit seinem Handeln beweist, dass Männer auch anständig sein können. Ich bedanke mich dafür, dass er mir selbst in einem pinken, unfassbar unattraktiven Plüschschlafanzug mit irgendwelchen Tieren drauf sagt, dass ich hübsch bin und den besten Kerl verdient habe. Und wir beide wissen, dass dieser “beste Kerl” für mich nicht er ist. Danke aber auch für die offenen Worte, für ein bestimmtes Kleidungsstück zu wenig Oberweite oder Hintern zu haben. Außerdem ist es Zeit, Danke dafür zu sagen, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und mir ganz ehrlich, mit eigenen Geschichten gespickt, zu erzählen, was der ach so toll wirkende Traumkerl wirklich von mir will. Ich bedanke mich sogar dafür, mir widerliche Geschichten anhören zu müssen, bei denen ich mir im Nachhinein fast wünschen würde, sie nicht zu kennen. Dankbar bin ich hierbei einzig und allein, weil sie mich dazu bringen, mehr über Männer zu erfahren und sie zu verstehen. In irgendeiner Weise bin ich sogar dankbar für die betrunkenen Anrufe mitten in der Nacht, um ihn irgendwo im Nichts abzuholen, weil sie mir zeigen, dass er auch an mich denkt, obwohl ich nicht mit ihm schlafe und das gerne und dankend anderen überlasse. Danke dafür, kein Problem damit zu haben, wenn ich darüber jammere, wie schlimm meine Periode mal wieder ist. Kein Mann will das hören und schlussendlich danke für den Beweis, dass Frauen und Männer definitiv Freunde sein können – ganz egal, was andere sagen.
Entschuldigung, dass wir euch in den Wahnsinn treiben
Vielleicht sollte ich mich auch im Namen aller Frauen bei ihren männlichen Freunden entschuldigen. Entschuldigen für die Tausende von Screenshots, die wir in Männersprache übersetzt haben wollen, um zu erfahren, was genau der Mann mit der Nachricht sagen möchte. Entschuldigen für die schlaflosen Nächte, in denen wir über Frauenthemen geredet haben, die wahrscheinlich keinen Mann interessieren. Genauso wenig wie die Bilder von tausenden von Outfits, die ihr bewerten musstet. Bei meinen männlichen Freunden entschuldige ich mich am besten auch schon mal dafür, dass sie irgendwann bei meinem Junggesellinnenabschied wie meine Freundinnen im pinken T-Shirt mit peinlichen Aufdruck mitkommen müssen. Ich werde mich aber niemals für unsere Freundschaft entschuldigen, selbst wenn sie aus welchen Gründen auch immer irgendwann scheitern sollte.
Auch für Frauen ist es nicht einfach, mit Männern befreundet zu sein und glaubt mir, würden wir euch nicht platonisch so sehr lieben, könnten wir euch in so mancher Situation den Hals umdrehen. Schon wieder eine neue Frau? Eine neue Saufeskapade? Wieder mal vergessen anzurufen, obwohl es verabredet war oder euch zu wenig Zeit für uns genommen? Glaubt mir, mit euch ist es auch nicht immer einfach. Der Punkt aber ist, dass die Freundschaft all das wert ist.
Angst vorm Aussortiert werden? Ohja!
Vor kurzem wurde ich gefragt, ob ich keine Angst hätte, irgendwann „aussortiert“, zu werden, wenn meine männlichen Freunde die Liebe ihres Lebens finden. Die Wahrheit ist einfach: Ich habe eine Heidenangst davor und ich denke, dass jeder, der Freundschaften mit dem anderen Geschlecht führt, dieses Gefühl kennt. Was, wenn der neue Partner einen als Freund(in) nicht akzeptiert? Nicht glaubt, dass alles nur platonisch ist? Wahrscheinlich kann man hier nur darauf vertrauen, dass man dem anderen so viel bedeutet, dass auch er einen nicht verlieren will und genauso für die Freundschaft kämpfen wird. Und wenn er dazu nicht bereit ist, ist die Freundschaft wohl nicht so tief, wie vorerst gedacht.
Kein Partner wird jemals etwas zwischen uns ändern!
Leichter gesagt als umgesetzt und natürlich verlangt es einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern oftmals viel ab, sollte ein neuer Partner dazu kommen. Wenn die aber Freundschaft stark genug ist, hält sie das aus. Natürlich kann ich nicht für alle Frauen sprechen, aber ich wünsche meinen männlichen Freunden die tollsten Frauen auf Erden. Schlicht und alleine, weil sie tolle Männer sind. Natürlich werde ich die Frauen mit Adlersaugen betrachten, wie ich es auch bei den Partnern meiner Freundinnen machen würde, aber ich werde ihnen auch unsagbar dankbar sein, wenn sie sie glücklich machen. Natürlich versetzt es einem einen kleinen Stich am Anfang, weil man Angst vor der Veränderung hat, aber das ist nichts gegen das Strahlen, wenn er von der Frau erzählt, in die er sich verliebt hat. Wie gesagt, ich werde den Partnerinnen meiner Freunde unglaublich dankbar dafür sein, sie glücklich zu machen und anstatt eifersüchtig zu sein, alles in meiner Macht stehende tun, damit sie glücklich bleiben. Vielleicht gewinne ich sogar so neue Freundinnen. Ich für meinen Teil kann auf jeden Fall ganz ehrlich sagen, dass ich mich darauf freue, die zukünftigen Partnerinnen meiner männlichen Freunde kennen zu lernen.
Was denn nun? Mythos oder machbar?
„Männer und Frauen können keine Freunde sein, der Sex kommt ihnen immer dazwischen!“, mag also teilweise stimmen. Es gibt mit Sicherheit Konstellationen, in denen es nicht klappt und ich habe auch schon so manchen Freund an die Probleme einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern verloren. Es kann aber auch klappen und nicht jede Freundschaft endet wie bei Harry und Sally in den Armen des anderen. Manche klatschen auch Beifall, wenn der beste Freund/die beste Freundin die Liebe seines Lebens heiratet – die man nicht selber ist, aber der man das Glück einer Person verdankt, die man liebt. Tief und innig. Auf platonische Art und Weise.
Für mich gesprochen:
Ich würde für meine männlichen Freunde genauso durch die Hölle gehen, wie für meine weiblichen, aber genau das ist es: Sie sind Freunde, keine potenziellen Partner. Wenn ich an sie denke, denke ich nicht an ihren Körper, oder daran, sie zu küssen, sondern daran, was für tolle Menschen sie sind, vielleicht super Paten für meine Kinder irgendwann, aber niemals Liebespartner. Wenn andere sagen, dass da doch etwas zwischen uns sei und man das förmlich spürt, dann haben sie Recht. Da ist unglaublich viel, aber auf einer ganz anderen Ebene, wie oft vermutet. Bevor ihr also das nächste Mal einfach behauptet, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau nicht existieren kann, überlegt euch, ob ihr dem Ganzen vielleicht nie wirklich eine Chance gegeben habt.
Lucie
Hallo Nadine,
das ist ein sehr interessanter Artikel.
Ist das deine eigene Erfahrung? Wenn ja, kann ich dazu bitte Kontakt zu dir aufnehmen? Es wäre total wichtig für mich.
LG Lucie
Nadine
Du findest mich in Facebook unter meinem hier angegebenen Namen. LG
Hannes Rolfs
“Wir sollten Menschen ihres Charakters wegen mögen. Wegen der Art, wie sie uns behandeln, der Antwort auf der Frage, ob wir uns auf sie verlassen können und ob sie für uns da sind”, heißt es zu Beginn deines Artikels. Diese Eigenschaften würde man sich aber doch auch von einem Partner in einer Liebesbeziehung wünschen. Zuvorderst: Es gibt definitiv platonische Freundschaften zwischen Mann und Frau. Dennoch würde ich gerne deinen Gedanken vom Kopf auf die Füße stellen: Wenn ich als heterosexuelle Frau einen Mann mit den von dir beschriebenen und womöglich noch weiteren positiven Charaktereigenschaften treffe, mich mit ihm anfreunde, mich unglaublich gut mit ihm verstehe und ihn zudem hübsch finde, was fehlt dann zu einer Liebesbeziehung? Fehlt der Nervenkitzel, weil er nicht mehr neu und spannend, sondern bereits eine feste Größe in meinem Leben ist? Habe ich ihn einfach als Freund einsortiert und kann er deshalb nie mein Partner werden? Ich würde ähnlich wie du schließen: Bevor ihr also das nächste Mal einfach behauptet, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau nicht der ideale Ausgangspunkt für wahre Liebe ist, überlegt euch, ob ihr dem Ganzen vielleicht nie wirklich eine Chance gegeben habt.