Von Ignoranz bis Ausgangssperre – die Maßnahmen der Länder zur Bekämpfung der Corona- Krise sind vielfältig. Doch gibt es wirklich „die beste Lösung“? Und wie tragbar sind die Entscheidungen der Regierungen für die Bevölkerungen eigentlich?
Während Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro sich noch immer dagegen sträubt, Corona anzuerkennen, und beim Nachbarn in Argentinien eine totale Ausgangssperre herrscht, versucht Deutschland einen Mittelweg zu finden. Viele fühlen sich eingeschränkt, auch zu Recht – denn noch nie sind wir in dem, was wir tun oder auch nicht tun, so eingeschränkt gewesen wie momentan. Trotzdem sollte man sich bewusst machen, dass die Situation auch anders aussehen könnte.
Argentiniens Umgang mit Corona
Seit mittlerweile mehr als acht Wochen herrscht in Argentinien eine totale Ausgangssperre, mit hohen Geld- bis Gefängnisstrafen bei Nichteinhaltung. Wer sein Haus verlassen will, braucht einen triftigen Grund, sowie einen Passierschein, welcher bei Polizeikontrollen vorzuzeigen ist. Während meines Aufenthalts in Argentinien habe ich die harten Maßnahmen selbst zu spüren bekommen.
Obwohl anfangs noch der Glaube verbreitet war, der lateinamerikanische Kontinent würde aufgrund der klimatischen Bedingungen vom Virus verschont bleiben, erwies sich dieser innerhalb kürzester Zeit als falsch. Kaum hatte das Virus Argentinien durch Reiserückkehrer erreicht, wurden Schulen geschlossen, Quarantäne beschlossen, die Grenzen dichtgemacht und schließlich die totale Ausgangssperre verhängt. Damit wurden das soziale Leben und die eigene Entscheidungsfreiheit massiv eingeschränkt. Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage, entschied sich Alberto Fernandez gemeinsam mit seiner Regierung am 19. März für diese strengen Regelungen. Oberste Priorität ist es, die Zahl der Todesopfer so gering wie möglich zu halten.
Bereits seit dem ersten Tag der Ausgangssperre sah man vermehrt Polizeiwagen auf Streife und menschenleere Straßen. Über Lautsprecher informierten sie, dass man sein Haus mit sofortiger Wirkung nicht mehr verlassen dürfe. Vorerst für 10 Tage. Zu der Zeit befand ich mich selbst noch vor Ort. Nachdem ich im letzten Sommer meinen Freiwilligendienst in Argentinien angetreten hatte, saß ich nun, bereits fünf Monate früher als ursprünglich geplant, auf gepackten Koffern und wartete auf meinen Rückholflug.
Die Maßnahmen haben mir Angst gemacht, obwohl ich wusste, dass ich keinen Grund dafür hatte Angst zu haben. Doch besonders hart trafen sie die Bevölkerung. Die meisten Argentinier verfügen nicht über Rücklagen und leben von dem, was sie tagtäglich verdienen. Als Haushälterin wird man teilweise täglich, und auf dem Bau wöchentlich oder alle zwei Wochen bezahlt. Dementsprechend kann man sich ausmalen, was es für jemanden, der keine Rücklagen hat, bedeutet, wenn er über längeren Zeitraum keine Möglichkeit hat Geld zu verdienen.
Vernunft – das Gebot der Stunde
Meiner Meinung nach waren die harten Maßnahmen der Regierung eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Ohne Ausgangssperre hätte sich das Virus möglicherweise unaufhaltbar ausgebreitet und damit das Gesundheitssystem überlastet. Oft steht das kulturelle Gut der Gesellschaft über der Vernunft Abstände einhalten zu müssen. Wie in vielen Ländern gehört es auch in Argentinien zur Kultur, seine Mitmenschen mit einem „Besito“ – einem Küsschen auf die Wange – zu begrüßen und zu verabschieden. Mit der Ausgangssperre verdient nun jedoch ein großer Teil der Menschen schon seit Wochen kein Geld mehr und muss immer mehr um seine Existenz bangen. Was sich wiederum auf die Stimmung der Bevölkerung auswirkt. Die Anspannung ist nicht zu übersehen.
Inzwischen darf man sich wohl an einem Wochenendtag wieder für ein paar Stunden mit anderen treffen. Dennoch sollen Schulen und Kindergärten voraussichtlich nicht vor Ende der Winterferien, im Juli, geöffnet werden.
Brasilien als Pendant
Wie es wiederum aussehen kann, wenn rein gar keine Schutzmaßnahmen getroffen werden, zeigen uns Brasiliens Zahlen. Der Alltag läuft regulär ohne Abstandsregelungen oder Maskenpflicht weiter, sodass sich nach öffentlichen Angaben bereits rund 272.000 Menschen mit dem Virus infiziert haben. Es ist davon auszugehen, dass dies jedoch nicht der Realität entspricht und die Dunkelziffer deutlich höher liegt.
Bolsonaro hält an seinen Entscheidungen fest und ignoriert dabei völlig die Bedürfnisse der Bevölkerung. Er spielt damit nicht nur mit unzähligen Menschenleben, er setzt auch aufs Spiel, dass das ohnehin schon schlechte Gesundheitssystem, völlig zusammenbricht.
Jedem sollte spätestens mit Blick auf Brasilien bewusst werden, dass keine Maßnahmen auch keine Lösung sind. Ich denke die Corona-Krise lässt mal wieder ganz deutlich werden, wie wichtig es ist, eine fähige Regierung zu haben, die im Sinne ihrer Bevölkerung handelt.
Der deutsche Mittelweg als Vorbild für andere?
So langsam lockert sich das ein oder andere bei uns. Normalität soll in absehbarer Zukunft wieder eintreten. Deutschland scheint die Krise, trotz hoher Infektionszahlen mit am besten gemeistert zu haben. Dem guten Gesundheitssystem und dem hohen Entwicklungsstand des Landes sei Dank. Doch wie geht man nun eigentlich mit dieser Feststellung um?
Vor Kurzem erlebte ich, wie ein älterer Herr einem anderen erzählte, dass Deutschland ja als einziges Land richtig mit der Situation umgehen würde. Dass wir uns glücklich schätzen sollten, schließlich würden in den Staaten 90.000 und in Großbritannien 35.000 Menschen sterben, während es in Deutschland weltweit die wenigsten Todesfälle gebe. Nach dieser Aussage habe ich mich gefragt, ob es moralisch vertretbar ist, so zu sprechen. Warum ist es wichtig als „Gewinner“ da zustehen und zu definieren, wer mit der Krise am vermeintlich besten umgegangen ist?
Gemeinsam Krisen meistern
Hin und wieder sollte man auch mal hinterfragen, warum Länder auf Krisen unterschiedlich reagieren. Während Deutschland wirtschaftlich gut dasteht, könnten sich Entwicklungs- und Schwellenländer einige der Maßnahmen gar nicht leisten. Was wiederum zumindest zum Teil auch darauf zurückzuführen ist, dass Industrieländer von der Armut in Entwicklungsländern profitieren.
Da frage ich mich also, wie kann man sich hinstellen und sagen, dass Deutschland als einziges Land richtig mit der Krise umgeht, wo doch andere Länder gar nicht über dieselben Mittel verfügen. Natürlich beziehe ich mich in diesem Beispiel nun nicht auf die USA oder Großbritannien, für mich ist es einfach, eine Grundsatzdiskussion über unser Weltbild nach außen zu tragen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass Corona nicht zur Waffe missbraucht und zu einer Art Wettbewerb wird. Ich denke, es ist schlimm genug, dass das Virus uns weltweit unter Kontrolle hat und den Alltag bestimmt. Wir sollten nicht auch noch damit anfangen, unsere Kräfte zu messen oder mit dem Zeigefinger aufeinander zu zeigen. Wir sollten uns eher bewusst machen, dass wir, besonders jetzt gerade, alle im gleichen Boot sitzen. Wir sollten uns über den Globus hinweg als eine Gemeinschaft sehen, die gemeinsam versucht Corona zu bekämpfen, indem sie miteinander und voneinander lernt, statt darum zu konkurrieren, wer denn wohl die besseren Maßnahmen getroffen hat. Wir sollten alle an einem Strang ziehen.
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