Als ausgezeichnete Alternative zum Auslandssemester eignen sich Auslandspraktika. Dabei gewinnt man gleichermaßen praktische Erfahrung und internationale Kompetenz. Dennoch gestaltet sich die Suche kompliziert: ein endloses Angebot, komplizierte Bewerbungsprozesse und oftmals schlechte, wenn nicht sogar gar keine Bezahlung. In Russland aber bietet der Deutsche Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die Möglichkeit eines Auslandspraktikums, das alle Anforderungen in sich vereint: „Russland in der Praxis“.

Zur idealen Biografie gehören in der heutigen Berufswelt gleich eine ganze Reihe von Qualifikationen in Theorie und Praxis. Immer wichtiger wird dabei die sogenannte internationale Handlungskompetenz: die Fähigkeit, Aufgaben im internationalen, interkulturellen und interdisziplinären Rahmen zielgerichtet, situationsbedingt und verantwortungsbewusst zu erfüllen und dadurch entstandene Probleme zu lösen.
Um diese Kompetenzen zu erlangen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wozu zweifelsohne Kurse oder Fortbildungen gehören. Doch der Königsweg bleibt ein Auslandsaufenthalt. Die Bologna-Reform, durch welche letztlich das Bachelor-Master-System an den Universitäten eingeführt wurde, hat das Studium zwar vergleichbarer und schneller gemacht, dennoch bleibt der Freiraum für Studien- oder Praktikumsaufenthalte im Ausland begrenzt – also warum nicht gleich arbeiten und Zeit im Ausland miteinander verbinden?
„Russland in der Praxis“
Das Programm des DAAD bietet Studenten deutscher Universitäten eine Kombination aus den wichtigsten Kompetenzen. Der bedeutendste Teil des Programms ist ein sechsmonatiges Praktikum in einem der 40 Partnerunternehmen, wozu unter anderem die deutschen Konzerne Bayer, Bosch, Daimler, Schaeffler, Siemens und Volkswagen gehören. Weiterhin zählen die Moskauer Deutsche Zeitung (MDZ), die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer sowie einige Consulting-Firmen wie Ausserer & Consultants und die Schneider Group zu den teilnehmenden Organisationen.
Das Angebot ist vielfältig und reicht von klassischen Wirtschaftsbereichen wie Business Development, Marketing und Finance bis zum Journalismus, Kulturmanagement und der Maschinentechnik. Zu dem Praktikum kommt je ein Seminar zur Wirtschaft, Politik und Kultur in Russland hinzu. Dieses absolviert man zu Beginn bzw. am Ende des Zeitraums an der Higher School of Economics (HSE) in Moskau. Außerdem besteht die Möglichkeit, Sprachkurse an der HSE oder in anderen Sprachschulen zu belegen.
Der klare Vorteil des DAAD-Projekts ist der DAAD als Institution selbst. Seit der Gründung 1925 verfügt der DAAD über große Erfahrung in der Konzeption von Auslandsprogrammen und ein gewaltiges Finanzierungsbudget. Allen Teilnehmern von „Russland in der Praxis“ wird ein Stipendium von mindestens 1025 Euro monatlich sowie ein garantierter Wohnheimsplatz (beim Standort in Moskau) zugesichert. Soweit zum Programm, doch wie kommt man in Russland zurecht?
Die Arbeitswelt in Russland
Wie in jedem Aspekt des privaten und öffentlichen Lebens gibt es große Unterschiede zwischen Deutschland und Russland, von denen die meisten auf den ersten Blick schwer zu erkennen sind. Warum das Verschenken von 10 Rosen einer Sünde gleicht oder man sich nicht über der Türschwelle umarmen sollte, kann man unter anderem in dem grandiosen „Fettnäpfchenführer Russland“ von Veronika Wengert nachlesen. Im Gegensatz zu vielen europäischen Firmen sind russische Unternehmen oftmals sehr hierarchisch geordnet. Oben gibt der Chef die Befehle und unten führen seine Mitarbeiter diese aus. Zudem herrscht ein klares Rollen- und Geschlechterbild vor.
Manche mögen dies kritisieren, womöglich mit Recht. Allerdings ist die russische Gesellschaft gänzlich anders als die Westeuropäische – an mancher Stelle konventioneller und an anderer sogar liberaler. Dazu denken viele Unternehmen gerade in Moskau globaler und innovativer als die meisten deutschen Mittelständler.
In Russland grassiert der Gedanke, man sollte Geschäfte am besten mit Freunden machen. Dadurch ist der Umgang zwischen Geschäftspartnern von teils überschwänglicher Freude gezeichnet – ein lustiger Gegensatz zur deutschen Nüchternheit in diesen Belangen. Generell herrscht aber ein eher hartes Geschäftsklima und eine Art von Ellenbogenmentalität. Auch andere interessante, kulturelle Begebenheiten lassen sich erkennen, insbesondere an den Feiertagen. Am 8. März, dem Weltfrauentag, sieht man in Russland kaum eine Frau, die nicht zuvor mit einem Meer aus Rosen, Tulpen oder Lilien von ihren Liebsten und ihren Arbeitskollegen ausgestattet wurde.
Wie ist das Leben in Russland?
Je nach Größe und Region variieren die Städte in Russland zum Teil sehr. Während man in den Metropolen Moskau und St. Petersburg einen wahren Großstadtdschungel mit Millionen Einwohnern, lauten Metros und endlosen Straßenzügen vorfindet, haben mittelgroße Städte wie Kaluga, Krasnodar oder Vladimir einen eigenen Charakter – irgendwo zwischen zaristischem und postsowjetischem Stil. Wie auch in Deutschland kann man davon ausgehen, dass größere Städte auch immer etwas internationaler ausgerichtet sind, sodass man mit Englisch gut zurechtkommt. In Kleinstädten wird es dagegen schwierig.
Außerdem unterscheiden sich die Regionen sowohl in ihrer ethnischen Zusammensetzung wie in ihrem Klima sehr stark. Von mediterran, über kontinental bis arktisch reichen die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen. Während man also in den sibirischen Städten Tjumen, Omsk und Novosibirsk Kälte von bis zu vierzig Grad unter null aushalten muss, herrscht im russischen Süden in Städten wie Sotschi, Machatschkala und Krasnodar über das ganze Jahr ein angenehmes Klima. Wie bereits erwähnt, ist Russland kein homogenes Land, sondern besteht aus einer Vielzahl von Religionen, Traditionen und Kulturen. Während Tatarstan, Dagestan und Tschetschenien von Muslimen geprägt sind, ist die Mehrzahl der Regionen russisch-orthodox. Die Ausnahme bildet Kalmückien – die einzige Region Europas, in der die Mehrzahl buddhistische Gläubige sind.
Die Auswahl an Freizeitaktivitäten hängt somit auch stark vom Standort ab. Besonders in Moskau gibt es an jeder Straßenecke ein Kino, Theater oder Museum. Leider ist die Zahl der Sportvereine längst nicht so groß wie in Deutschland, dennoch gibt es ein paar ganz besondere. In Moskau existiert seit 1989 der deutsch-russische Fußballverein „Roter Hammer Moskau“, der seit dem Ende der Sowjetunion deutsche Expats, Journalisten, Diplomaten und Wirtschaftsleute sowie deren Kollegen anzieht. Solche Orte bieten die fantastische Möglichkeit, Sport zu treiben und sich gleichzeitig ein Netzwerk aufzubauen.
Freiwilligenarbeit oder Fellowship?
Neben dem DAAD-Projekt gibt es noch andere spannende Projekte im größten Land der Erde. Dazu gehören Freiwilligendienste, die von verschiedenen staatlichen und privaten Organisationen wie der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch oder der Deutsch-Russischer Austausch (diese Organisation unterstützt zudem Programme in ganz Osteuropa), angeboten werden. Spezielle Förderprogramme, wie das renommierte „Alfa-Fellowship“ bieten darüber hinaus anspruchsvolle Praktika für Amerikaner, Briten und Deutsche in Russland. Der Fokus richtet sich hierbei aber vor allem auf die Gruppe der sogenannten „Young Experts“, also Universitätsabsolventen mit circa fünf Jahren Erfahrung. Einige Universitäten oder Bildungseinrichtungen bieten auch bilaterale Programme an, wie etwa BayHOST.
Russland mag für viele Praktikanten nicht die erste Wahl sein, doch wer dem Land mit Interesse, Offenheit und einem gewissen Humor begegnet, wird nicht nur schnell Anschluss finden, sondern ein Füllhorn spannender Möglichkeiten von Kaliningrad bis Wladiwostok vorfinden. (Da der nächste Starttermin im September liegt, können Einschränkungen aufgrund von Corona vorliegen. Der DAAD gibt regelmäßig Auskunft über die aktuelle Lage der Projekte)
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Falls Ihr ebenfalls Interesse habt, an einem bereichernden, interkulturellen Programm wie diesem teilzunehmen, findet ihr hier nützliche Informationen:
“Russland in der Praxis” vom Deutschen Akademischen Austauschdienst
“Alfa-Fellowship” der Alfa-Bank
Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch
Deutsch-Russischer Austausch
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