Chris Labrooys Arbeiten verlaufen zwischen klugem Exzess der Form und Oberflächenperversion. Die irreale Welt badender Sportwagen und schwebender Cabriolets ist dabei nicht selten urkomisch – und dennoch tragisch. Timo Feilen untersucht die digitale Hochglanzkunst Labrooys und problematisiert die kulturelle Tendenz der Lust an der Oberfläche.
Ein knallgelber Porsche 911 Turbo der Baureihe 930 liegt der Schnauze nach in einem Infinity-Rooftop-Pool. Kein Lüftchen weht, das Wasser liegt ungebrochen im Becken aus Beton und spiegelt das wunderschöne Gefährt aus Zuffenhausen sowie einen herrlich sanften Abendhimmel, der sich über die bergig-kahle Landschaft Kaliforniens legt. Szenenwechsel: Abermals befinden wir uns in Kalifornien, nun aber schwebt ein türkisfarbener Jaguar E-Type über dem Außenbereich eines Wintergartens frei in der Luft. Das englische Gefährt, das nicht selten als „schönstes Automobil aller Zeiten“ bezeichnet wird, erscheint in ungewohnter Form: Nicht nur schwebt das Gefährt führerlos mehrere Meter über dem Boden, sondern ihm fehlt gleichermaßen der gesamte Unterboden. Statt vier Rädern ist die Karosserie zu einem asymmetrischen Dreieck verbunden, dessen Innenraum hohl ist.
Zum Glück – hier darf sich der automobilaffine Leser entspannen – handelt es sich hier nicht um reale Szenen. Man hat weder den Porsche im Pool versenkt noch einen malträtierten Jaguar in die Luft befördert. Wobei das nun auch wieder nicht ganz stimmt, denn in der Tat handelt es sich bei den beschriebenen Szenen um CGI-Kunstwerke des Grafikers Chris Labrooy. Labrooys Arbeiten sind nicht nur für Hersteller wie Porsche oder Nike interessant, sondern müssen auch aus kunst- und kulturtheoretischer Perspektive beleuchtet werden, steckt in ihnen doch mehr als eine handwerklich makellos gearbeitete Werbekampagne. Die digitalen Kunstwerke Labrooys, so die These, verbinden die Bedingungen des Technischen mit einer Tragikomik der Dekadenz. Seine Arbeiten propagierten den Exzess der Form und befänden sich an der Schwelle zur Oberflächenperversion.
Das Automobil als Stilikone auf Rädern
Dass Automobile zum Kern der Popkultur oder der Kunst im Allgemeinen erklärt werden, ist kein neues Phänomen. Das Automobil ist das wohl wichtigste Symbol individualisierter Freiheit einerseits, wohl aber auch das Symbol von Schönheit, Stil und allgemeiner Sexyness anderseits. Manche Autos sind nicht weniger als Stilikonen, an denen sich Designer die Köpfe zerbrechen. Wenn die Eleganz der automobilen Form nicht ausreicht, wird die Oberfläche des Autos genutzt, um daraus selbst wiederum Kunst entstehen zu lassen. Das wohl berühmteste ‚Art-Car‘ wurde 2010 von Jeff Koons gestaltet. Ein schwarzer BMW M3 der GT2-Klasse wird der gesamten Länge nach mit etwaigen farbigen Streifen versehen. Das Automobil erhält hier eine neue Dimension, ist es doch nicht mehr nur Fortbewegungsmittel und Sportgerät, sondern gleichermaßen Kunst auf Rädern: Die Kunst entflieht den Museen und schwingt herab in die kulturellen Niederungen des Rennsportes. Der plebejisch anmutende Rennsport, anfänglich noch Projekt der Schönen und Reichen, erhält durch die Art-Cars zumindest einen Teil seines verloren gegangenen Glamours zurück.
Der überaus erfolgreiche Film ‚Cars‘, der im Jahre 2006 den Kinoleinwänden anvertraut wurde, propagiert die Kultur des Automobils endgültig in einer popkulturellen Form, die eine Generation von Kindern prägen wird. Der Film zeichnet eine menschenlose Welt, die ausschließlich von Autos aller Couleur bevölkert wird. Sämtliche Autos haben Augen, Münder, menschliche Gefühle und können sprechen. Ihr gesamtes Handeln ist menschlich, nicht jedoch ihre Exteriorität. Rund um den wagemutigen Helden ‚Lightning McQueen‘ sammelt sich eine Schar von mehr oder weniger bedeutenden Autos, die aber allesamt einen eigenständigen Charakter haben: Die lieblichen und weiblichen Formen eines Porsche 911 werden hier von ‚Sally‘ verkörpert. Dagegen sind kantig Rennautos nicht selten übermütig, überheblich und schlichtweg boshaft. Ein VW-Bus mitsamt Hippie-Lackierung säuft interessante Benzinmischungen und ist ‚voll drauf‘, während Hook, ein alter rostiger Abschlepper, mental recht begrenzt, dafür aber äußerst freundschaftlich, loyal und liebenswürdig, ist. Kinder lernen die Welt des Moralischen hier vermittelt durch die Technik: Die Technik erscheint als pädagogisches Medium, wobei Botschaften, wie: Mach dich nicht über andere lustig, respektiere Ältere oder schätze deine Freunde. verbreitet werden.
“Das Auto ist eben auch nur ein Mensch”
Zurück zum im Pool versenkten Porsche von Chris Labrooy. Sämtliche moralischen Narrative sind hier ausgeklammert, was hier zählt, ist der ‚Exzess der Form‘: Mit den schier unendlichen Gestaltungsmitteln der CGI gestaltet Labrooy surreal anmutende Welten mit Hochglanzoptik. Labrooy zelebriert auf den ersten Blick die reine Formschönheit des Automobils sowie die technischen Möglichkeiten des Virtuellen. Der explorative Geist kann im unbegrenzten Raum des Virtuellen vollends walten, da ihm schlichtweg keine technischen Grenzen gesetzt sind. Die Weltgestaltung im künstlichen Raum offenbart hier die Vorzüge gegenüber herkömmlichen Ausdrucksformen der Bildenden Kunst.
Wenngleich Labrooy nun auf eine unmittelbare Vermenschlichung der Autos, wie sie noch bei ‚Cars‘ zu finden war, verzichtet, scheint ein Großteil seiner Arbeiten aussprechen zu wollen: „Technik ist eben auch nur menschlich“. Oder aber: „Das Auto ist eben auch nur ein Mensch“. Die Arbeiten Labrooys funktionieren deshalb so gut, weil sie keinerlei kultureller Übersetzung bedürfen, sie sind für jedermann zugänglich und verständlich, wollen sie doch nichts anderes sein als die Zelebration der reinen Form. Bisweilen nimmt das höchst komische Züge an, so zum Beispiel ein fliegender E-Type oder ein zu einem aufblasbaren Flamingo umfunktionierter Porsche 911. Labrooys Werke sind Meisterstücke des Absurden. Doch will das Absurde verstanden werden, weil es doch komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Denn hinter dieser humorvollen Ästhetik des ironisierten Kitsches verbirgt sich mehr als Hochglanz-Fun.
Maßgeblich sind es drei Zweckentfremdungen, die Labrooys Arbeiten prägen, wobei die Kombination dieser Entfremdungen in einer radikalen Sinnbefreiung einerseits, die darüber hinaus in einer neuen Sinnlosigkeit anderseits mündet.
Erste Entfremdung:
Das Automobil erscheint an Stellen, wo eigentlich der Mensch erscheinen sollte. Vergleichbar zu ‚Cars‘ hat das Automobil den Menschen nicht nur verdrängt, sondern gleichsam seinen Platz eingenommen. Der Pool dient nun nicht mehr dem Menschen, sondern der Maschine. Zwar deuten die gesamte Architektur und Ausstattung auf anthropospezifisches Leben hin, jedoch sind diese Objekte materieller Kultur die letzten Zeugnisse menschlicher Existenz. So findet gleichermaßen eine Zweckentfremdung des Autos einerseits – es befindet sich beispielsweise in einer Sitzlounge und scheint nachzudenken – statt sowie eine Zweckentfremdung des Menschen, beziehungsweise des Menschlichen, da die für den Menschen gedachten und vom Menschen geschaffenen Objekte ihres ursprünglichen Nutzens beraubt werden.
Zweite Entfremdung:
Das Automobil übernimmt nicht mehr nur die Habitate des Menschen, sondern auch seine Handlungsweisen, indem das Auto so agiert, wie es der Mensch tun würde. In der Welt Labrooys können Autos springen, tanzen, baden, denken und feiern. Hier findet eine Zweckentfremdung menschlichen Handelns statt, das nun von der Maschine übernommen wird. Pikant hierbei: Tatsächlich erleben wir dank der Möglichkeiten der Digitalisierung eine immer weiter zunehmende ‚Arbeitserleichterung‘ durch die Technik. Jedoch ist die technische Usurpation menschlicher Arbeit in Labrooys Welt äußerst sexy. Wie in der parallelen Welt des Realen agieren hier die attraktivsten Models. Wenn sonst in etwa Lewis Hamilton gleichsam Rekordhalter im Umwelt-Fiasko des Formel-1-Zirkus ist und selbsternannter Advokat des Klimawandels, bleibt vom Glamour der Werbung bei Labrooy lediglich das Objekt der Begierde: Nicht mehr der Star interessiert, sondern ausschließlich jenes, womit der Star ohnehin wirbt – das sexy Objekt.
Dritte Entfremdung:
Das Automobil agiert nicht mehr als ein solches, sondern ist seiner ursprünglichen Funktionalität vollends beraubt. Zwar sieht man noch einige Autos, die umherrollen, doch überwiegt der Anteil hüpfender und badender Objekte, die dann auch noch in sich selbst verwunden und verschränkt sind. Das Automobil ist hier nichts weiter als zweckentfremdete Experimentierfläche für Formspiele und technische wie kreative Fingerübungen. Neben schwebende und trianguläre Autos gesellen sich solche, die wahlweise vertikal oder horizontal durchtrennt sind oder durch Röhren in die Länge gezogen werden. Das digitale Objekt ist hier vollends dem Willen des Gestalters unterworfen.
Die schon genannten komischen Aspekte der Arbeiten Labrooys sind nicht zu unterschätzen. Dabei rührt die Komik einerseits aus den drei elementaren Zweckentfremdungen, anderseits sind diese Entfremdungen selbst Teil eines Gedankenexperiments, das der Philosoph Robert Pfaller so zusammenfasst: Was wäre, „wenn die Welt selbst in einem Moment und an einem bestimmten Punkt so erscheint, als ob sie einem Gedankenexperiment entsprechen würde“? Labrooy dekliniert das Mögliche hin zu seinen verschiedenen Erscheinungsformen des Unmöglichen – übrig bleiben Bilder, die uns zum Schmunzeln bringen, eben weil sie frei von jeglichem Sinn sind.
Nichts passt zusammen, nichts funktioniert, nichts geht auf, nichts ist logisch. Ein Auto, das nicht fährt, ist am frühen Wintermorgen ein Ärgernis, bei einem Totalschaden ein Fall für den Schrottplatz oder eben – wie bei Labrooy – ein Objekt der Begierde und ein lustvoller Gegenstand, der nichts anderes erreichen will als die Lust an der Form. Hierin also liegt der genannte Exzess der Form: Die Form wird zum Zweck an sich. Diese radikale Zweckentfremdung der Form entspricht einer umgekehrten Exzess-Ökonomie, wobei jeder Sinn mit dem jovialen Gestus des Genusses über Bord geworfen wird, um damit wiederum die Reinheit der Form zu erreichen. Der exzessive Umgang mit jeglichem Sinnvollen ermöglicht die eigentliche Komik, da wir diese Logik als eine formale Spielerei durchschauen.
Die Sinnlosigkeit des Objekts
Und doch gesellt sich zu dem lustvollen Betrachten das Bewusstsein des Tragischen. Ein im Pool versenkter Porsche ist eben mehr als reine Lust an der Form, manifestiert sich doch hier eine, wenn auch unfreiwillige, Allegorie auf die Sinnlosigkeit jener umgekehrten Exzess-Ökonomie. Im Falle des gelben 911 sowie des Pools prallen die beiden mächtigsten Luxus-Metaphern aufeinander. Der 911 wurde von Porsche selbst mit dem Slogan „Keiner braucht ihn. Jeder möcht’ ihn“ beworben. Porsche markiert damit den Umstand, dass der heckmotorisierte Sportwagen selbst reiner Exzess ist. Ein jeder Sportwagen ist in seinem Kern irrational, überflüssig und daher so begehrenswert. Nun sind bei Labrooy beide Symbole des luxuriösen Exzesses in einer solchen Weise ineinander verschränkt, dass nicht mehr nur die Komik der Situation herausgearbeitet wird, sondern auch die Sinnlosigkeit der beiden Objekte an sich.
Die Exzess-Ökonomie, welche die Existenz des Porsches überhaupt erst ermöglicht, wird hier mittels einer exzess-ökonomischen Logik offengelegt. Über den ersten Moment der Komik legt sich dann der sachte Schleier der Tragik, der das wunderschöne digitale Denkmal der Dekadenz verhüllt. Jene Tragik besteht in der Überbetonung der Form, die dann in einer Oberflächenperversion enden kann, welche Form in Formalität und die Komik in Lächerlichkeit verwandelt. Die Arbeiten Labrooys sind eben deshalb so interessant, da sie sich diesem Spannungsbogen hingeben – sie wandeln zwischen intelligenter Dekadenz und tragischer Perversion: Tragik und Komik reichen sich die Hand und bilden ein fragiles Gleichgewicht.
Chris Labrooy befindet sich am äußerst talentierten und geschmackvollen oberen Ende einer zur Zeit grassierenden ‚Oberflächenästhetik‘. Schon die inflationäre Verwendung des Begriffes der Ästhetik, die dann im Instagram-Hashtag #aesthetics mündet, nur um dann allerhand Stilverbrechen zu präsentieren, zeugt von einer unfreiwilligen Überpräsenz des Tragischen. Man könnte überhaupt sagen, dass Instagram nicht mehr komisch und nicht mehr tragikomisch, sondern schlicht und ergreifend tragisch ist. Um weitere Verbrechen am Stil und am guten Geschmack sowie Verbrechen am Begriff der Ästhetik zu verhindern, sollte Instagram einen fünfseitigen Test zur ästhetischen Theorie für all diejenigen aufsetzen, die den besagten Hashtag verwenden wollen. Von jetzt auf gleich würde der Hashtag verschwinden und die Welt wäre wieder um einiges besser. Bis dahin aber kann man sich an den kommenden Arbeiten Chris Labrooys erfreuen.
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