Ein gut bezahlter Job, ein schönes Haus, Reisen an unbekannte Orte der Welt, eine eigene Familie: Die Träume und Ziele jedes Einzelnen von uns sind unterschiedlich. Mein Plan ist es, nach der Hochzeit nächstes Jahr schwanger zu werden – obwohl ich erst 20 Jahre alt bin. Alle Gedanken, die eine solche Entscheidung mit sich bringen, habe ich in einem Brief an mein zukünftiges Kind aufgeschrieben.
Mein Kind,
ich sitze hier, an einem kleinen Tisch in einem Kaffee in der Stadt und schreibe meine Gedanken auf.
Draußen regnet es in Strömen, die Leute laufen hektisch mit ihren Schirmen durch die Straßen und starren mit verbitterten Blicken auf die Pflastersteine. Viele von ihnen führen ein Leben, mit dem sie nicht wirklich zufrieden sind. Tagein, tagaus gehen sie arbeiten und funktionieren einfach. Nicht, weil sie das so wollen, sondern, weil es von der Gesellschaft so vorgegeben wird.
Heutzutage wird oft erwartet, dass jeder arbeitet und möglichst viel Geld verdient. Wenn man nach der Ausbildung ganz viel Berufserfahrung gesammelt und die halbe Welt bereist hat, an unzähligen Partys alkoholisierte Nächte überstanden hat, erst dann, mit 30-Plus ist man bereit dazu, eine eigene Familie zu gründen. Denn dann hat man genug Lebenserfahrung, man kann sich ein Haus bauen, den Kindern tausende Spielsachen kaufen und verschiedene Frühförderungsangebote annehmen. Das ist das Bild vieler Menschen in der heutigen Zeit. Aber ist das wirklich wahr? Sind es wirklich diese Dinge, auf die es ankommt?
Mir bedeuten all diese Ziele nichts. Ich reise nicht besonders gerne. Ich hasse es, die ganze Nacht in einem engen, nach Schweiß und Alkohol stinkenden Club zu stehen und dafür am nächsten Morgen einen riesigen Kater zu haben. Studieren wollte ich nie. Die Arbeit ist wichtig, aber mit den vielen verschiedenen Möglichkeiten, die es heutzutage gibt, ist das auch mit einem Kind kein Problem mehr.
Für mich ist die Familie das Wichtigste. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als im Kreise meiner Liebsten schöne Stunden zuhause zu verbringen. Zu spielen, zu lachen, zu kuscheln. Die Familie ist immer füreinander da, wenn alle anderen sich abwenden. Ich hatte das große Glück, vor drei Jahren die Liebe meines Lebens kennenzulernen. Für mich ist es klar, dass ich mit diesem Mann meine Zukunft verbringen möchte, eine eigene Familie gründen möchte und mein ganzes Leben mit ihm teilen will.
So liegt es nahe, dass auch der Wunsch nach einem Kind nicht lange auf sich warten lässt. Leider verstehen so viele Leute da draußen nicht, dass jeder Mensch anders ist. Jeder Mensch mag andere Dinge gerne, jeder hat andere Ziele und Träume im Leben. Für jeden sieht „Glück“ anders aus.
Klar, bevor man diesen Schritt wagt, ist es wichtig, dass man einige Grundvoraussetzungen erfüllt. Dazu gehört eine gute Ausbildung, eine stabile Partnerschaft, eine Wohnung mit genug Platz, ein Auto für die nötige Mobilität und ganz viel Selbstvertrauen. Aber ganz ehrlich, in dieser Welt ist nichts sicher. Pläne ändern sich in Sekundenbruchteilen. Wenn man den Menschen gefunden hat, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte, wenn man sich sicher ist, das alles passt, wieso sollte man dann noch warten? Nur um in das perfekte Bild der Menschen zu passen? Nur um nicht „anders“ zu sein?
Mein Kind, dein Papa und ich, wir waren uns noch nie so sicher wie jetzt. Wir lieben uns über alles und haben einen gemeinsamen Herzenswunsch. Wir wünschen uns eine eigene Familie. Auch wenn wir erst 20 und 26 Jahre alt sind.
Alle Grundvoraussetzungen sind bei uns gegeben. Wir haben uns oft und lange darüber unterhalten und wir sind der festen Überzeugung, dass das Wichtigste, was man einem Kind geben muss, ganz viel Liebe, Zuneigung und ein herzliches, warmes Zuhause ist. Solange man das hat und natürlich für Lebensmittel, Gesundheitskosten, Kleidung und Spielsachen aufkommen kann, ist alles für eine gelingende Kindheit vorhanden.
Aber dennoch habe ich Angst. Angst, verurteilt und nicht ernst genommen zu werden. Die komischen Blicke und die Lästereien der Leute verletzen mich. Nur, weil wir einen anderen Weg gehen, der heutzutage nicht mehr als normal gilt, werden wir von schlechten Vorurteilen überhäuft.
Manche private Fernsehsender, wie zum Beispiel RTL, vermitteln mit ihren Inszenierungen ein völlig falsches Bild von jungen Müttern. Man wird dort als dumm, verantwortungslos und naiv dargestellt. Dass es auch ganz andere, positive Beispiele von jungen Familien gibt, interessiert leider niemanden.
Aber genug jetzt von diesen negativen Gedanken. Ich möchte dir etwas ganz Wichtiges mit auf deinen Lebensweg geben:
Es spielt keine Rolle, was andere Leute denken. Nur du bist wichtig, denn es ist dein eigenes Leben. Dein Papa und ich, wir haben uns gewagt. Wir haben auf unser Herz gehört und wir haben uns für dich entschieden. Obwohl viele hinter unserem Rücken über uns lästern. Obwohl einige unserer sogenannten „Freunde“ sich von uns abgewandt haben. Obwohl wenige uns zutrauen, dass wir das schaffen.
Mein Kind, in deinem Leben wirst du viele schwierige Entscheidungen treffen müssen. Du wirst dir immer wieder die Frage stellen, wie es jetzt weitergehen soll und was du machen sollst. Bitte versprich mir, dass du immer auf dein Herz hörst. Hör in dich rein und frag dich, was du möchtest, was du brauchst, um glücklich zu sein. Du musst das tun, was du für richtig hältst, und nicht das, was alle anderen wollen und erwarten.
Dein Papa und ich werden immer hinter dir stehen. Wir werden dich unterstützen, ganz egal, was für Entscheidungen du triffst und in welche Richtung du gehen möchtest. Du hast unser Leben schon jetzt bereichert, obwohl du noch nicht mal bei uns bist.
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Es ist unglaublich. Ich sitze hier, an meinem Tisch und stelle mir vor, wie du eines Tages diese Zeilen liest. Ich muss zugeben, ich habe einige Tränen in meinen Augen. Aber nicht, weil ich traurig bin. Sondern weil ich unendlich glücklich und stolz über unsere Entscheidung bin. Wir haben das Richtige gemacht. Wir lieben dich unendlich fest und freuen uns wahnsinnig darauf, dich in unsere Arme zu schließen.
Wenn du diesen Brief liest, sind schon viele Jahre vergangen. Du bist alt genug, das zu verstehen und dein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Vergiss nie mein Schatz: Menschen kommen und gehen. Aber die Familie bleibt für immer.
Ich liebe dich.
Deine Mama
Carina
Bewegende Vorstellung, dass ein kleiner Schatz irgendwann unsere Geschichte liest.
Durch deinen Schreibstil, den ich schon immer super fand, konnte ich mich wieder in der Situation wiederfinden – auch wenn wir nicht am selben Punkt stehen.
Livia Kuster
Liebe Carina
Ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar! Das bedeutet mir wirklich sehr viel!
Reni
Schöner Artikel.
Was mich stört, ist das Auto als Grundvoraussetzung, ein Kind in die Welt zu setzen und mobil zu sein.
Ich bin absolut keiner von diesen überzogenen Umwelzfreaks.
Aber dennoch finde ich diese Aussage total daneben. Es geht an sehr vielen Orten auch sehr gut ohne Auto mobil zu sein!!
Isabel
Liebe Reni
Danke für deinen Kommentar. Natürlich hast du recht. Heutzutage gibt es so viele gute Möglichkeiten, ohne Auto von A nach B zu gelangen. Da ich in einem kleinen Dorf wohne, und hier alle 1-2 Stunden mal ein Bus in die nächst grössere Stadt fährt, ist man hier schon irgendwie auf ein Auto angewiesen. Sei es zum Einkaufen, zur Post, zum Kinderarzt usw. zu gelangen. Deshalb habe ich das so formuliert. Verstehe aber, dass dich diese Aussage stört. Hab ich nicht so klug formuliert.
Lydia K-K
Ich finde dein Artikel super.Ich finde es gut wenn man auf sein Bauchgefühl hört und nicht das macht was die Gesellschaft von einem erwartet.Ich bin damals auch eine junge Mutter gewesen und musste viele Blicke einstecken.Heute meine 21jährige Tochter ist total glücklich eine junge Mutter zu haben.Und meine Tochter möchte auch eine junge Mutter sein.Also werde ich eine junge Oma sein und ich freue mich schon riesig drauf mit meinen Enkelkindern toben und spielen zu können.
Isabel Thurnherr
Ganz herzlichen dank liebe Lydia!
Das bedeutet mir viel!
Ich hoffe, meine Mama wird auch so reagieren und sich mit uns freuen!