Seit 2002 ist Dr. Michael Kiworr Facharzt für Gynäkologie. In seiner Zeit als Arzt wird er nun durch Corona auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Wir haben mit ihm gesprochen.
Herr Dr. Kiworr, Sie haben sich fachlich vertieft in den Bereichen „spezielle Geburtshilfe und Perinatologie“. Was ist das und wie hilft es Ihnen bei der Arbeit?
Das ist eine Zusatzqualifikation für den Facharzt für Gynäkologie und Geburtenhilfe. „Perinatal“ bedeutet, schwangere Frauen und ihr Kind (oder Mehrlinge) „um die Geburt herum“, also davor, währenddessen und auch danach zu begleiten. Das heißt, man hilft beispielsweise bei Risikoschwangerschaften, Probleme frühzeitig zu erkennen, Frühgeburten optimal zu betreuen oder auch bei möglichen Vorerkrankungen des Kindes bestmögliche Voraussetzungen für die Geburt zu schaffen. So kann zum Beispiel ein Kind, bei dem vor der Geburt ein Herzfehler entdeckt wird, in einer entsprechenden Klinik geplant zur Welt kommen und dort optimal behandelt werden.
Ich nehme an, jetzt durch Corona haben viele Frauen Angst vor einer Ansteckung und kommen selten in die Praxen. Hinzu kommt, dass durch Häusliche Gewalt auch ungewollte Schwangerschaften zunehmen könnten. Wie geht man als Arzt am besten mit diesen neuen Herausforderungen um?
Das stimmt: Wenn man es vermeiden kann und zu einer Risikogruppe gehört, sollte man möglichst Krankenhäuser und Arztpraxen meiden, weil eine höhere Ansteckungsgefahr besteht. Das heißt aber nicht, dass man nun notwendige Untersuchungen oder Behandlungen aufschiebt. Häusliche Gewalt ist sicher ein Problem, weil man annehmen muss, dass durch die schwierigen Umstände, die Ausgangssperre und das Zusammenleben auf engem Raum auch das Gewaltpotential steigt, vor allem bei problematischen Beziehungen. Womöglich kommt bei manchen auch noch erhöhter Alkoholkonsum oder zu häufiger oder problematischer Medienkonsum (Pornographie etc.) hinzu. Das ist eine „dunkle Seite des Lockdowns“.
Dass die Rate an ungewollten Schwangerschaften steigt, kann ich mir momentan eher nicht vorstellen, da durch die Regelungen, was soziale Kontakte und Partys angeht, die Anzahl neu geschlossener „Zufallsbekanntschaften“ deutlich geringer ist, welche erheblich zum Prozentsatz ungewollter Schwangerschaften beitragen. Insofern könnte sie sogar sinken, denn in festen Partnerschaften ist das Thema Verhütung in der Regel geklärt. Und einen Engpass an Verhütungsmitteln haben wir ja bisher noch nicht erlebt. 😊
Sie bieten auch Beratungen für Frauen an, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken. Das ist in fast allen Fällen eine tiefe und schwere Entscheidung von Frauen. Ein Vorschlag, der die Emotionalität auszuklammern versucht, geht so weit, dass man die ganze Beratung nur per Video- und Telefon durchführt. Haben Sie da als Facharzt Bedenken?
Natürlich ist das verständlich, dass man auch die Mittel der sozialen Kommunikationsmedien in Anspruch nehmen möchte, es handelt sich hier jedoch um ein sehr komplexes Feld: die Beratung ist hochsensibel und sehr herausfordernd. Man sollte sich Zeit nehmen und verschiedene Aspekte beleuchten, das geht natürlich auch virtuell, aber lange nicht so, wie wenn man einem Menschen gegenübersitzt und die nonverbale Kommunikation auch eine große Rolle spielt. Ist jemand ängstlich, nervös? Spielen körperliche Merkmale, Krankheiten oder gar Verletzungen mit hinein? – All das kann ich über den Bildschirm nicht wirklich erkennen.
Insofern habe ich eher Bedenken, zumal es ja überwiegend nicht verboten ist, sich 1:1 zu einem ärztlichen oder psychologischem Beratungsgespräch zu treffen, mit Sicherheitsabstand und ggf. Mundschutz steht einer persönlichen Beratung nichts im Wege. Warum nicht auch hier eine gute Beratung bekommen, wenn ich wegen anderen Dingen doch auch in eine Arztpraxis gehe, wenn es erforderlich ist?
Man könnte doch anführen: „Gerade jetzt sollte man Frauen besonders einfach schützen!“ Ist es da nicht auch verständlich, dass es Ideen gibt, wie man den Zugang zu Abtreibungen bei ungewollter Schwangerschaft beschleunigen könnte?
Das würde suggerieren, dass ein schneller Zugang zu Abtreibungen tatsächlich bedeuten würde, damit „Frauen zu schützen“ – aber ist das so? Zum einen ist ja auch das noch nicht geborene Kind zu 50 Prozent weiblich – in anderen Ländern wie Indien oder China werden sogar weit mehr Mädchen als Jungs wegen des „ungewünschten Geschlechts“ abgetrieben – was ist mit ihnen? Wenn man es auf die schwangere Frau bezieht, so sind viele verschiedene Aspekte differenziert zu berücksichtigen.
Auf der einen Seite gibt es die Sichtweise, Frauen durch einen möglichst leichten Zugang zu Abtreibungen vor einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen. Auf der anderen Seite kann der Schutz, abgesehen vom Schutz des noch nicht geborenen Kindes, auch bedeuten, eine schwangere Frau in einer eventuell akuten Belastungssituation ausreichend Zeit zu geben bei einer Entscheidung, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Viele Frauen fühlen sich bereits früh unter Druck gesetzt in ihrer Entscheidung, sei es der Partner, der mit dem Verlust der Beziehung droht oder Eltern junger Mädchen/Frauen, ja manchmal auch durch Ärzte. Es ist eigentlich keine freie Entscheidung, die sie da treffen und oft werden sie ganz allein gelassen mit den Konsequenzen und Nebenwirkungen. Traurig ist auch, dass die meisten Beziehungen einen Schwangerschaftsabbruch nicht aushalten und (am Ende doch) kaputt gehen.
Aber: Je länger es dauert, desto größer wird doch auch der Druck. Manche wünschen sich aus bewusster Entscheidung heraus eine schnelle Lösung.
Wenn eine Schwangerschaft zunächst festgestellt wird, schwanken die Gefühle sehr stark – von überwältigender Freude zu großen Zweifeln und nagenden Fragen: Schaffe ich das überhaupt? Es ist ja eine große Lebensveränderung, besonders wenn es das erste Kind ist oder man alleinerziehend wäre. Wenn man die Probleme wie einen nicht zu bewältigenden Berg vor sich sieht, braucht es Zuspruch und Ermutigung. Man kann die Frauen also auch schützen, indem man ihnen aufzeigt, welche Unterstützung sie – von staatlicher Seite aber auch durch Freunde und Familie – in Anspruch nehmen können, die man auf den ersten Blick nicht sieht.
Die Folgen einer Abtreibung/eines Schwangerschaftsabbruches für die betroffenen Frauen – körperlich und psychisch – werden oft unterschätzt oder gar geleugnet. Laut einer finnischen Studie ist die Selbstmordrate bei Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, 6x größer. Außerdem kämpfen einige Frauen nach vorheriger Abtreibung mit Früh- oder Fehlgeburten und das Risiko, später mit unerfülltem Kinderwunsch auf Hormontherapie oder künstliche Befruchtung zurückgreifen zu müssen, ist sehr hoch. Das ist in sich natürlich sehr belastend und tragisch.
Man muss immer die ganze Gesundheit der Frau sehen – Körper, Seele, Geist. Einfach einen Schwangerschaftsabbruch als Lösung zu propagieren und durchzuführen wäre zu kurz gegriffen. Und als Arzt möchte man auch das Leben des Schwächeren schützen. Das geht natürlich manchmal unter, weil manche in einem ungeborenen Kind noch keinen Menschen sehen, doch laut Bundesverfassungsgericht gilt nach wie vor der Schutz des ungeborenen Lebens – dieser Aspekt sollte nicht untergehen. Das ungeborene Kind – mit all seiner Kreativität, Potential und Einzigartigkeit als schwächster Beteiligter hat nur dieses eine Leben – wird das ausreichend geschützt?
Kristina Hänel ist zwar keine Frauenärztin, sondern Hausärztin, aber sie schreibt, es gäbe zahlreiche Nebenwirkungen und Komplikationen bei einem Schwangerschaftsabbruch mit Mifegyne. Was bedeutet das für die Frauen?
Mifegyne ist die medikamentöse Abtreibungspille. Beispielsweise in den skandinavischen Ländern wird diese oft bevorzugt, in Deutschland liegt der Prozentsatz der ambulant durchgeführten operativen Schwangerschaftsabbrüche jedoch deutlich höher als die medikamentösen. Der Abbruch sollte in Begleitung eines Frauenarztes erfolgen, denn oft gibt es Blutungsstörungen, die beherrscht werden müssen oder es ist sogar erforderlich, chirurgisch nachzuhelfen.
Auch die psychischen Folgen werden oft unterschätzt. Es ist ein traumatisches Erlebnis, noch einmal mehr, wenn man die Abtreibung mittels eines Medikamentes ganz alleine zu Hause durchführt. Viele müssen das ganz allein durchstehen.
Aber: Warum wird so etwas dann trotzdem verschrieben?
Jede Methode hat seine Pro´s und Contras. Es gibt natürlich auch Gründe, die Abtreibungspille zu verschreiben. Man ist unabhängiger und erspart sich unter Umständen einen operativen Eingriff. Zudem ist diese Methode billiger… Ein chirurgischer Schwangerschaftsabbruch ist in jedem Fall eine Operation.
Die Abtreibungspille ist nur in der frühen Schwangerschaft bis zur 7. Lebenswoche (9.SSW p.m.) möglich und nicht über Apotheken erhältlich, sondern nach vorheriger Beratung bei den Einrichtungen, in denen Abtreibungen gemacht werden, und nur auf Verschreibung eines dort behandelnden Arztes. Ein Vorteil beim medikamentösen Abbruch ist die Tatsache, dass es teilweise bis zu 24h nach Einnahme noch möglich sein kann, die Wirkung rückgängig zu machen. In diesem Zeitfenster bereuen nicht wenige Frauen ihre Entscheidung.
Abschließend, Herr Dr. Kiworr, wie könnte man Frauen und Männern helfen, die sich – gemeinsam und gegenseitig – Gedanken um einen Schwangerschaftsabbruch machen?
Wir sollten betroffene Frauen nicht allein lassen. Wir können sie ermutigen und konkrete Hilfsmöglichkeiten aufzeigen. Ich denke „soziale Not“ ist eigentlich ein trauriger Begriff, denn hier in Europa gibt es ein dichtgespanntes Netz an Unterstützung, auch bei ungewollten Schwangerschaften – das aber nicht jedem ausreichend bekannt ist. Dies ist ja u.a. Inhalt einer guten Beratung. Trotzdem ist es eine psychische Ausnahmesituation, in der die Frau sich womöglich sieht, eine Bedrohung und Überforderung, die ich nicht bagatellisieren möchte.
Wir müssen wieder Mut zum Leben machen, das fehlt so in unserem Land. Wir Deutsche haben leider überwiegend keine sonderlich positive Grundeinstellung zu Kindern, sehen oft mehr das Negative. Es gilt, eine Willkommenskultur für Kinder zu schaffen, ein kinderfreundliches und nicht kinderfeindliches Klima. Wir sollten Kinder wieder mehr als fantastische Chance und Freude sehen, – und das betrifft auch Männer – als Lebensaufgabe und Herausforderung, die unglaublich spannend ist. Ja, Kinder können anstrengend sein und auch nicht unbedingt billig, aber es lohnt sich!
Und wenn sich eine Frau überhaupt nicht vorstellen kann, ein Kind großzuziehen, gibt es immer noch die Möglichkeit, das Kind zur Welt zur bringen und zur Adoption freizugeben. Ich habe schon in meiner vorherigen Klinik nah am Frankfurter Flughafen miterlebt, dass jährlich Frauen aus Südamerika zu uns ins Krankenhaus kamen, die quasi ihr Kind hierhergebracht und entbunden haben, um ihnen bestmögliche Chancen auf ein gutes Leben zu geben und zurückgeflogen sind – ohne Kind.
Statistisch gesehen kommt auf 11 ungewollt kinderlose Paare ein Kind und die Rate an Kinderlosigkeit ist steigend. Das sind dann natürlich die dankbarsten Gespräche für diese Paare, wenn es heißt: „Wir haben ein Kind für die Adoption.“ Sie sind überglücklich und können diesem Kind Liebe schenken und weitergeben.
Herr Dr. Kiworr, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Da das ein wunderbares Interview ist, habe ich was über paypal gegeben.
Vielen herzlichen Dank dafür! 🙂
Super interessant, danke dass ihr das Thema aufgegriffen habt 🙂