Wie ich auf Tasmanien bei einem Diebstahl fast alles verlor und trotzdem noch einen der besten Tage meines Lebens hatte. Mein Drama in sechs Akten (und für alle, die kölsch verstehen, anhand des Kölschen Grundgesetzes erzählt)
Fröhlicher Aufbruch (oder: Et kütt wie et kütt)
Einer der wohl intensivsten Tage meines Lebens begann mit einer Wanderung im Regenwald. Wir stellten unseren kleinen Tourbus auf einem verlassenen Parkplatz mitten im Nirgendwo ab. Ich fing an, schwere Sachen aus meiner Tasche herauszupacken, die ich nicht mit auf die Wanderung nehmen wollte, wie zum Beispiel mein Tagebuch. Alle anderen waren aber schon ein Stück gegangen und meine Tasche wurde nicht leichter. So entschied ich mich, kurzerhand einfach die ganze Tasche dazulassen und nur meine Kamera mitzunehmen. Ich brauchte ja nichts anderes, wir würden bald wieder da sein. Der Regenwald mit seinen riesigen Bäumen und hohen Wasserfällen war beeindruckend. Einmal überquerten wir eine wackelige, hängende Brücke über einer Schlucht. Ich unterhielt mich gut mit Mercedes aus Argentinien, der ich, weil sie nicht so groß war, bei ein paar Aufstiegen über Felsen half.
Schock (oder: Et es wie et es)
Als wir zurückkamen, liefen die Ersten uns schon entgegen und riefen durcheinander. Ich verstand nur „broken“ und „tourbus“ und dachte erst, unser Bus sei kaputt. Als ich ankam, dann der Schock: Überall lagen Glassplitter, jemand hatte die Scheibe eingeschlagen und alle Taschen herausgenommen. Erst jetzt realisierte ich, dass in meiner Tasche ja auch mein Portemonnaie mit all meinen Kreditkarten, Ausweisen, Geld, sowie mein Handy und eigentlich alles gewesen war. Wie unbeschreiblich dumm und naiv ich doch gewesen war, die Tasche dazulassen. Da wir mitten im Nirgendwo waren, hatte auch niemand Telefonempfang, schon gar nicht für ein Auslandsgespräch, um die Karten zu sperren. Eine Stunde dauerte die Fahrt bis zum nächsten Polizeirevier. Auf dem Weg starrte ich aus dem Fenster und musste mir vorstellen, wie jemand mit schmutzigen Fingern durch meine Sachen wühlte.
Mein Geld hätte ich freiwillig hergegeben. Das Schlimmste war aber, dass all die kleinen Dinge, die für den Dieb keinen Wert hatten, aber an denen ich hing, wahrscheinlich einfach samt Tasche in den Regenwald geworfen würden und die wahrscheinlich nie jemand wiederfinden würde. Meine Augen hielt ich fest auf den Straßenrand gerichtet, um zu sehen, ob die Diebe die Taschen vielleicht einfach sofort aus dem Fenster geworfen hatten. Natürlich suchte ich vergeblich. Auf der Polizeistation dann ein weiterer Schock: Die Beamten waren in ihrer zweistündigen Mittagspause! Normalerweise passiert auf Tasmanien einfach nichts, sodass sie sich das erlauben konnten.
Einsicht (oder: Et hätt noch immer jot jejange)
Diesmal konnte mir die Argentinierin Mercedes helfen. Sie lieh mir ihr Handy, ich rief meinen australischen Gastvater an und schrieb meinen Eltern auf Skype. Diese Nachricht wurde jedoch durch das spanische Autocorrect fast unverständlich, wie mir erst später auffiel. Danach brach ich plötzlich in Tränen aus. Ich kam mir ziemlich bescheuert vor, denn schließlich passieren viel schlimmere Sachen als Taschendiebstahl. Erst jetzt realisierte ich, dass außer mir auch noch fünf andere Leute aus unserer Gruppe bestohlen worden waren und schämte mich, dass ich so egoistisch nur an mich gedacht hatte. Unser Tourguide hatte seinen Laptop mit all seiner Arbeit für sein Architekturstudium und seinen Ipod verloren, hatte jedoch glücklicherweise noch sein Handy. Sarah aus Schottland wurde sogar ihr Reisepass gestohlen. Ich sah, wie viel Glück ich doch noch gehabt hatte: Mein Reisepass war momentan bei der chinesischen Botschaft, da ich ein Visum für Shanghai beantragen musste und mein Tagebuch hatte ich ja vorher aus der Tasche genommen. Auch meine Kamera mit all den unersetzlichen Bildern war ja noch da.
Beruhigung (oder: Wat fott es, es fott)
Endlich kamen auch die Polizisten. Doch als ich im Festnetztelefon der Polizeistation die Nummer meiner Bank eintippte, war nur Stille im Hörer. Das Telefon war nicht für Auslandsgespräche ausgelegt. Zum Glück lieh mir der freundliche Beamte sein Handy und so konnte ich endlich meine Kreditkarten sperren. Ich rechnete aus, dass die Diebe vier Stunden Zeit gehabt hätten, meine Karten zu missbrauchen, wenn sie direkt zugeschlagen hätten, nachdem wir zur Wanderung aufgebrochen waren und mir wurde fast schlecht. Das konnte aber auch am Hunger liegen, denn wir alle hatten seit sieben Stunden nichts mehr gegessen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als unser Programm fortzusetzen und wir fuhren in eine Hafenstadt zum Mittagessen. Wir Bestohlenen hatten natürlich keinen Cent mehr. Doch die Menschen aus unserer Gruppe, die so klug gewesen waren, ihre Sachen mitzunehmen, halfen uns aus. Julia aus England lieh mir Geld, das ich ihr später auf ihr Konto zurücküberwies. Es tat gut, in dieser Situation nicht alleine zu sein. Auch wenn man es keinem wünscht, bestohlen zu werden, war es irgendwie beruhigend, Leute in der gleichen Situation und helfende Andere um sich zu wissen.
Glückliches Vergessen (oder: Do laachs dich kapott)
Auf den nächsten Programmpunkt hatte ich mich schon seit der ganzen Tour gefreut und ich beschloss, mir den Spaß nicht vermiesen zu lassen. Mit dem Tourguide zusammen half ich der Argentinierin Mercedes, mit uns eine 15 Meter hohe Sanddüne hoch zu klettern. Vor uns lag nun eine riesige unglaublich schöne und hügelige Sandlandschaft. Der Guide führte uns zu seiner Lieblingsdüne und es begann ein wildes Sanddünenspringen und Wettrennen durch den Sand. Ich vergaß einfach alles und wollte gar nicht mehr aufhören, herunterzuspringen und durch die Luft zu fliegen. In dem Moment fühlte ich mich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Ich glaube, wenn ich vorher nicht so verzweifelt gewesen wäre, hätte ich jetzt nicht so unbeschwert glücklich sein können: Ergibt das Sinn?
Hinnahme (oder: Drink doch eene mit)
Der Tag wurde nicht schlechter, denn als wir zurück in unserer Herberge waren, sprangen wir in einen kristallklaren See, um den Sand abzuwaschen. Abends hieß es dann: Abendessen und Karaokesingen in einem Pub mitten im Nirgendwo. Beim Essen kamen total viele der Bauarbeiter und Lastwagenfahrer, die in diesem Pub Station machten, auf uns zu und wollten uns sogar allen etwas ausgeben, weil sie von dem Diebstahl gehört hatten. Manche regten sich richtig auf und meinten, das würde ein schlechtes Bild von allen Tasmaniern erzeugen. Ich kann aber bestätigen, dass alle Menschen, die ich auf dieser Insel kennengelernt habe, unglaublich nett waren. Der Tag endete damit, dass die Engländerin Julia und ich als Einzige in dem riesigen, mittlerweile menschenleeren Lokal überblieben und solange sangen, bis das Geld, das uns der Wirt von sich aus in die Karaokemaschine gesteckt hatte, leer war. „Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“ – dieses Sprichwort passte in umgekehrter Reihenfolge ziemlich gut auf diesen Tag.
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