In einer Welt, in der alles immer höher, schneller und weiter sein soll, ist Schweigen eine Art Gegenbewegung, ein Aufruf zum Entschleunigen. Doch wie funktioniert das eigentlich, dieses Nichts-Sagen und Zeit nur mit sich und den eigenen Gedanken verbringen?
Oberflächlich betrachtet bezeichnet „Schweigen“ eine Form der nonverbalen Kommunikation, bei der man weder spricht noch etwaige Laute erzeugt werden. Trotzdem können durch das Schweigen Informationen und Bedeutungen weitergetragen werden. Schon Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“
Was wir mit Schweigen und den dadurch wahrgenommenen Nachrichten verbinden, ist allerdings oftmals negativ. Schweigen gilt als Gift, wird sogar als psychischer Missbrauch angesehen – und in vielen Fällen trifft das mit Sicherheit zu. Wenn Schweigen in Form von Ignoranz oder Isolation betrieben wird, ist die Qual auf Seiten des Ausgegrenzten förmlich spürbar. Das kleine Kind, das nicht mitspielen darf, kommt zum Vorschein – auch, wenn das vermeintliche Kind schon 25 Jahre alt ist.
Schweigen: Nicht die bloße Abwesenheit des Sprechens
Um diese qualvolle Art des Schweigens soll es allerdings nicht gehen. Schweigen kann so viel mehr als nonverbale Kommunikation oder gar psychische Gewalt sein. Swami Veda, ein spiritueller Yoga-Lehrer und Autor, sagte einmal: „Schweigen sollte nicht nur die Abwesenheit des Sprechens sein.“ Auch wenn dieses Mantra auf den ersten Blick wie eine Floskel klingt, lohnt sich ein näherer Blick. Denn auch Veda meint, dass die reine Abwesenheit der Sprache auf emotionaler Ebene sogar schaden könne. Schweigen meint im positiven Sinn hier eine Art der Meditation, eine Möglichkeit, in das eigene Unterbewusstsein einzutauchen.
In spirituellen Kreisen heißt es, dass das Sprachorgan die wesentlichen Gedanken zerstreue. Menschen, die fast schon zwanghaft kontinuierlich sprechen, könnten demnach keinen Frieden im Denken erlangen. Um zu einem zufriedenen Leben zu gelangen, sollten ganze Tage, Wochen oder Monate ohne einen einzigen Ton verbracht werden. Für die meisten Menschen der westlichen Welt ist das allerdings kein praktikabler Weg, um einen Nutzen aus dem Schweigen zu ziehen. Also was sollen wir tun, um – trotz unserer begrenzten Zeit – einfach mal zu schweigen?
Was leicht klingt, ist in der Praxis gar nicht so einfach umsetzbar. Von einem Termin zum nächsten. Nie allein. „Immer möchte jemand irgendetwas von mir“ – dieser und ähnliche Gedanken hindern uns an dem ursprünglich mühelosen Schweigen. Doch irgendwann, wenn wir nicht erkennen, dass Nichtstun und Schweigen dringend nötig gewesen wäre und den Notschrei der Seele schon zum fünfzigsten Mal ignoriert haben, finden wir uns schon mitten in einem Tiefpunkt. Aus diesem Grund kann Schweigen eine Präventionsmaßnahme sein. Eine Möglichkeit, den eigenen Akku aufzuladen und wieder Kraft zu finden, um mit Freude zu sprechen und lauter denn je für sich einzustehen. Schweigen heißt auch nicht per se, nicht mehr sprechen zu dürfen und menschlichem Kontakt komplett zu entsagen. Als soziale Wesen sind Menschen darauf angewiesen, in Austausch mit anderen zu stehen.
Kommunikation als Schutz vor uns selbst
Mithilfe von Smartphones müssen wir nie allein sein und können unseren Durst nach sozialer Interaktion mithilfe der Sozialen Medien stillen. Es gibt immer irgendwen, der auf Instagram, Facebook oder Snapchat online ist oder Mails, die noch unbedingt beantwortet werden müssen. Daraus resultiert, dass wir nie allein sein können. Doch für eine gesunde Ich-Stärke ist das Alleinsein essenziell. Natürlich ist jeder Mensch unterschiedlich. Die einen finden Kraft im Zusammensein mit Mitmenschen, den anderen raubt es Energie.
Was uns alle vereint, ist jedoch, dass wir uns als Menschen mit uns selbst auseinandersetzen dürfen. Dieser Prozess ist nicht einfach und schon gar nicht von heute auf morgen umsetzbar. Der beste Zeitpunkt damit zu beginnen, ist allerdings jetzt. Bereits der Schritt, das Handy für wenige Stunden pro Tag aus dem eigenen Leben zu verbannen, hilft, die Kommunikation über soziale Medien wieder mehr genießen zu können und sie nicht als Schutz vor den eigenen Emotionen zu nutzen. Auch kleine Erfolge dürfen gefeiert werden.
Erkunden der eigenen Seele
Um uns vor unliebsamen Emotionen zu schützen, flüchten wir in die Kommunikation, mag sie noch so belanglos oder verurteilend sein. Mit der Zeit kann jedoch das Gefühl der Einsamkeit und der Angst wachsen. Um das zu verhindern, können wir unser Bewusstsein und unsere eigene Kraft durch die Verbindung zu uns selbst versuchen, zu stärken. Dieses Auseinandersetzen mit der eigenen Psyche und Seele kann auf unzählige Arten und Weisen geschehen – eine davon ist das Schweigen.
Innerhalb dieses Prozesses sind wir ausschließlich mit uns und unseren Emotionen zusammen. Gedanken, die wir eigentlich schon längst in die hinterste Ecke unseres Unterbewusstseins geschoben haben, kommen zum Vorschein. Trauer. Wut. Freude. Angst. Glück. Alles ist erlaubt. Alles darf von dir akzeptiert werden. Es heißt schließlich nicht umsonst: „Sei dir selbst dein bester Freund.“
Andi
Guter Artikel,
Sehr gute Argumente