„Wenn jemand ein Zigeunerkind überfährt, handelt er richtig“. Für den ungarischen Autor Zsolt Bayer sind Roma „dreckige Tiere, die es zu töten gilt“. Er bezeichnet sie als „stinkende Exkremente“ und „potentielle Terroristen“. Diese menschenverachtenden Äußerungen sind Anlass genug, um der Diskriminierung und dem Hass gegenüber den Sinti und Roma nachzugehen.
Ein Bericht der Europäischen Union zur Untersuchung der Roma-Integration aus dem Jahr 2015 bringt es auf den Punkt: „Die Ausgrenzung, die viele Roma nach wie vor erfahren, steht in starkem Widerspruch zu den grundlegenden Werten der Europäischen Union (EU). Roma-Feindlichkeit und das Misstrauen zwischen Roma-Gemeinschaften und Mehrheitsgesellschaft sind fest in der Geschichte verankert.“
Wie passt diese Roma-Feindlichkeit in das Selbstverständnis einer toleranten westlichen Welt? Volksverhetzende und polarisierende Äußerungen wie jene Bayers‘ sind nicht selten. Roma gelten als „dreckige Zigeuner“, als integrationsunwillig und vor allem als ein Volk, das nicht nach den gängigen Maßstäben der westlichen Gesellschaft lebt. Sie tun dies aber nicht aus freiem Willen, denn die politischen und sozialen Strukturen lassen Roma kaum eine andere Wahl.
Lange wusste ich kaum etwas über Roma. Erst, als ich mein Auslandssemester im schwedischen Malmö verbrachte, fragte ich mich, welche Menschen das seien, die dort vor Supermärkten um Geld bettelten. Unweit meines Wohnheims kam es im November 2015 zur Zwangsräumung einer illegalen Roma-Siedlung auf privatem Grund. Täglich wuchsen die Müllberge und die Anwohner fühlten sich von den Lagerfeuern gestört. Letztendlich war es die Umweltbehörde, die die Räumung anordnete. Schweden ist für Roma ein beliebtes Ziel und aufgrund der EU-Freizügigkeit dürfen sie dort legal für bis zu drei Monate leben. Anders als in Deutschland dürfen sie in Schweden auf öffentlichem Grund campen und so entstehen dort weiterhin viele Lager – obwohl die Regierung der Bevölkerung rät, kein Geld an sie, sondern lieber an Hilfsorganisationen zu geben. Dieser Rat ist noch vergleichsweise harmlos, denn seit Hunderten von Jahren werden Roma systematisch verfolgt und ausgegrenzt.
Das „integrationsunwillige Zigeunervolk“
Roma wurden schon immer verfolgt. Seit dem 8. Jahrhundert n. Chr. wanderten sie aus dem heutigen Pakistan und Indien ein, um vor Verfolgung, Kriegen und Armut zu fliehen. Angekommen in Europa waren sie wieder die „Fremden“, wurden zu Rechtlosen erklärt und versklavt. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie zu Hunderttausenden durch die Nationalsozialisten ermordet. Heute bilden Roma zusammen mit Sinti die größte Minderheitengruppe Europas. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) definiert den „Antiziganismus“ als die Abwehrhaltung der Mehrheitsbevölkerung gegen Roma und Sinti. Roma werden menschenverachtend mit Attributen wie fremd, müßiggängerisch oder primitiv verbunden.
Doch diese andauernde Diskriminierung als geschichtlich gegeben und natürlich hinzunehmen, wäre falsch. Heute leben zwei Drittel der acht bis zwölf Millionen europäischen Roma vor allem in Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei. Die Hälfte von ihnen wurde bereits Opfer von Diskriminierungen. Auch Deutschland schiebt Roma ab und hierzulande werden sie oftmals als Asylbetrüger angesehen. Die Grafiken belegen jedoch klar, dass es für Roma keine sicheren Herkunftsländer gibt. Sie sind in allen wichtigen Bereichen des täglichen Lebens Anfeindungen ausgesetzt.
Die Opfer melden Diskriminierungen aus vielen Gründen nicht: Viele sind überzeugt, die Polizei tue nichts, sie haben Angst vor weiteren negativen Folgen oder wissen nicht um die eigenen Rechte. Als Konsequenz meiden Roma Bereiche, in denen sie Opfer von Hass und Vorurteilen werden und ziehen sich noch mehr zurück. Der angebliche „Integrationsunwillen“ der Roma entpuppt sich auf dieser Grundlage als eine Reaktion auf die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Strukturen.
Eine störende Randgruppe, die nirgends willkommen ist
Auch die schwedische Regierung interessierte es nicht, was mit den Roma in ihren Herkunftsländern passiert. Sie zahlte den Bewohnern des geräumten Camps fünf Nächte in Notunterkünften, sowie die Rückreise nach Rumänien, um die eigenen Bürger vor weiteren Zumutungen zu schützen. Dabei hatten viele Anwohner und Aktivisten gegen die Räumung protestiert. Roma abzuschieben ist einfach und wird wohl noch einfacher werden. Im Zuge der Flüchtlingskrise gewinnen in ganz Europa rechtspopulistische Parteien mit ihren Forderungen nach vermehrten Abschiebungen an Zulauf. Indoktrinierte Vorurteile oder Äußerungen wie jene Bayers‘ machen Roma zur Zielscheibe für Fremdenhass und kontinuierliche Verfolgung. Das als „dreckig“ diffamierte Volk hätte dabei eine andere Perspektive verdient als zu betteln.
Diskriminierung beginnt bereits im Kindesalter
Der EU-Midis Bericht von 2009 zur Lage der Roma hingegen zeigt, dass die angeblich schmarotzende und kriminell veranlagten Roma meist ärmer als der Durchschnitt der Bevölkerung ist, über schlechtere Bildung verfügt und durch einen mangelnden Zugang zum Gesundheitsweisen meist 10 bis 15 Jahre früher stirbt.
Wer als Kind von Roma geboren wird, hat kaum Chancen, Zugang zur Gesellschaft zu finden, was bereits beim Bildungssystem beginnt. Dort zeigt sich in den fünf Ländern der größten Roma-Gemeinschaften ein erschreckendes Bild: Die Mehrheit der Kinder wird in gesonderten Klassen unterrichtet und in Tschechien und der Slowakei müssen sie bis zu einem Alter von 15 Jahren gar Sonderschulen oder Klassen für Kinder mit geistiger Behinderung besuchen. Derart stigmatisiert finden diese Kinder auch später weder Respekt noch Akzeptanz in der Gesellschaft. Ihnen wird nicht nur gleichwertige Bildung verwehrt, sondern auch die Möglichkeit genommen, später einen Beruf mit gutem Einkommen zu finden. Es sind Staat und Gesellschaft, die den Weg zum Betteln und in die Sozialhilfe vorgeben. Die EU selbst kann nur bedingt auf die Integration einwirken. Denn diese obliegt den jeweiligen Mitgliedsländern.
Deren Auftrag war es bis 2016 alle Voraussetzungen zu schaffen, um den Roma einen Platz in der Gesellschaft einzuräumen. Hierfür stellte die EU bis 2016 Gelder in Höhe von 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Gerade nach der Wirtschaftskrise war es in den östlichen EU-Ländern zu einer Steigerung der Feindlichkeit gegenüber Roma gekommen. Das Fazit der EU in ihrem Bericht ist gemischt: Soziale Maßnahmen wurden mit den Geldern umgesetzt. Im Bereich der Bildung und des Arbeitsmarkts hingegen bleibt noch viel zu tun. Ob gesellschaftliches Interesse daran besteht, den Teufelskreis aus jahrhundertealter Chancenungleichheit, Diskriminierung und Vorurteilen zu durchbrechen, ist fraglich – doch nur so können eines Tages aus „Zigeunern“ Mitmenschen werden.
Werde selbst aktiv
Wenn du etwas für Roma tun möchtest, kannst du hier das Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas unterstützen. Das Bündnis will so viele Unterschriften wie möglich sammeln, um gegen fortwährende Diskriminierung und rassistische Stereotypisierung zu protestieren. Die Liste soll an Bundestags- und Europaparlamentsabgeordnete, Minister, den Bundespresserat sowie die Medien versandt werden.
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