Da war dieses Mädchen, ihr Name ist Mia. Sie wuchs unbeschwert und behütet auf, geliebt von ihren Eltern und bezaubernd für jeden Erwachsenen, der ihres Weges kam. Mia verbrachte viel Zeit draußen im Garten, veranstaltete Tee-Partys für ihre Kuscheltiere, rannte mit ihren Freunden zur Spitze der Hügel hinter dem Haus, um sich auf der anderen Seite herunterrollen zu lassen.
Natürlich war Mias Kindheit nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Manchmal stritt sie sich mit ihrer besten Freundin und es kam auch vor, dass Mama mal böse wurde und Papa ein strenges Wort mit ihr sprach. Doch zu keinem Zeitpunkt konnte Mia daran zweifeln, dass sie die geliebte Prinzessin ihrer Eltern war.
Wenn die Dinge anders laufen
Leider konnte Mia nicht immer in dieser behüteten Umgebung bleiben und das unschuldige, süße Kind sein. Sie wurde älter, ging zur Schule, lernte verwirrende Dinge und wurde das erste Mal zurückgewiesen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Zuhause ergab alles Sinn, wurde schnell die Harmonie wiedergefunden, wenn sie denn mal verlorengegangen war.
Da draußen liefen die Dinge anders. Aufgrund ihres freundlichen Wesens wurde sie der Liebling der Klassenlehrerin. Damit zog sie den Neid ihrer Klassenkameraden auf sich, die sie fortan in den Pausen nicht mehr mitspielen ließen. Zuhause war sie weiterhin sicher und geborgen. Aber sie fing an zu verstehen, dass sich das Leben außerhalb des gelben Hauses mit den weißen Fensterläden, dem großen Garten und den malerischen Hügeln abspielte.
Und irgendwie bekam sie das Gefühl, dass sie dabei helfen konnte, die Schönheit und Harmonie ihres Zuhauses in die Welt zu tragen. Dieses Gefühl wurde in der Sonntagsschule bestätigt, als sie alt genug war, um zu den Jugendgottesdiensten zu gehen. Nicht selten wurde darüber gepredigt, dass sie als Kind Gottes den Auftrag hatte, anderen Menschen von diesem Gott zu erzählen und sie einzuladen, ebenfalls ihr Leben in Gottes Hände zu legen.
Und das war auch alles logisch in Mias Weltbild. Wer würde nicht in Beziehung mit dem himmlischen Vater leben wollen, der alle Schuld vergibt und Seine schützende Hand über einen hält?! Mia wurde gut darin, alle Probleme der Welt im Kontext des sündigen Menschen und des gnädigen Gottes zu analysieren. Es war doch alles glasklar, oder?
Wenn das Weltbild wankt
Dann kam eine schwierige Zeit. Je näher das Ende ihrer Schullaufbahn rückte, desto komplizierter wurden ihre Freundschaften. Aus irgendeinem Grund war immer Mia diejenige, die übersehen und kaum zu Partys eingeladen wurde. Das konnte sie nicht verstehen. Sie ist doch immer das süße und freundliche Mädchen gewesen, das sich kaum etwas zuschulden kommen ließ und immer die richtige Antwort gab! Doch so schienen Freundschaften mit Gleichaltrigen nicht zu funktionieren.
Mia war verletzt und fühlte sich abgelehnt. Sie musste unbedingt herausfinden, was sie daran ändern konnte! Deswegen beobachtete sie ihre Umgebung, studierte, debattierte, dachte nach und stellte Fragen. Zunächst allein mit dem Ziel, für sich die Welt besser zu verstehen und ihren sicheren Platz zu finden. Und dann fing sie an, den Menschen tatsächlich zuzuhören. Stück für Stück entwickelte sie Einfühlungsvermögen und besseres Verständnis für die Standpunkte und Entscheidungen ihrer Mitmenschen.
Dabei kam sie immer wieder an den Punkt, an dem ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf gestellt wurde. Regelmäßig wusste sie nicht mehr, wo oben und wo unten, was richtig und was falsch war. All die Prinzipien, mit denen sie in ihrer Familie und Gemeinde aufgewachsen war, wurden massiv geprüft und infrage gestellt.
Mia hatte so große Angst, Fehler zu machen, dass sie teilweise absolut keine Ahnung hatte, wie sie sich in manchen Situationen verhalten sollte. Dann wiederum wurde ihr Freiheitsdrang so stark, dass sie sich auf gewagte Aktionen einließ und im Nachhinein versuchte, diese auch geistlich zu legitimieren. Nur hielten diese Legitimierungen selten ehrlicher Prüfung stand.
Wenn Desillusionierung einzieht
Je mehr Mia die Gebrochenheit und das Dunkel der Welt wahrnahm, wovon auch ihre heilig geglaubte Kirchen-Gemeinde nicht verschont blieb, desto mehr bekam sie das Gefühl, dass sie ihren Beitrag zu leisten hatte, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie kam sich selbst sehr moralisch integer und lobenswert vor, bis sie mit ihrer eigenen inneren Verkommenheit konfrontiert wurde. Sie strauchelte und fiel, und das nicht zu selten.
Sie irrte sich, richtete Schaden an und musste sich zähneknirschend eingestehen, dass sie gegenüber ihres eigenen Egoismus und ihrer Egozentrik machtlos war. Egal wie sehr sie versuchte, zuerst Gott zu lieben und dann ihren Nächsten wie sich selbst, kam sie ein ums andere Mal zu der Erkenntnis, dass sie eigentlich die ganze Zeit ihren eigenen Vorteil suchte und ihre Entscheidungen anschließend schönredete.
Sie strauchelte, fiel, richtete sich wieder auf, reckte ihre Nase in die Luft, strauchelte, fiel, rappelte sich auf, schob die Schultern zurück, strauchelte, fiel, kam wieder auf die Beine, duckte sich weg, strauchelte, fiel, blieb liegen. Es war einfach zu schwer! Sie war nicht in der Lage, ein moralisch gutes Leben im Angesicht gerechter Werte zu führen! Mochte sie auch Momente heiliger Überzeugung verleben, wurden diese schnell von leidenschaftlichen Sehnsüchten zunichte gemacht.
Und wo war ihre Lebensfreude geblieben? Mia sehnte sich nach den unbeschwerten Tagen, an denen sie in vollem Genuss den Hügel herunterrollen konnte, an denen sie aus vollem Herzen lachte und ohne Schatten auf ihrem Gewissen den gegenwärtigen Moment ganz auskosten konnte. Sie war müde, frustriert mit sich selbst, ärgerlich auf ihre engsten Freunde, desillusioniert von ihren Vorbildern, weit weg von Zuhause. Sie wollte stark und erwachsen sein und trotzdem stahl sich die ein oder andere Träne aus ihren Augenwinkeln.
Wenn eine Antwort aus dem Untergrund kommt
„Herr, wo bist du?“ schluchzte sie niedergeschlagen. „Hier“ kam die leise und doch unmissverständliche Antwort. Das eine, kurze Wort erfüllte die gesamte Atmosphäre und klang wider von allen Himmelsrichtungen. Interessanterweise kam es besonders stark von unten. Mia presste ihr Ohr auf den Boden und horchte ganz still in den Untergrund hinein. Was sie dann vernahm, ließ ihren Atem stocken. Es begann ganz leise und wurde immer klarer, je aufmerksamer sie hinhörte.
„Bumm bumm, bumm bumm, bumm bumm.“ Der Rhythmus eines schlagenden Herzens. Und diese Herzschläge hatten eine zutiefst beruhigende Wirkung auf Mia. Für einen Augenblick verlor sie sich ganz im verzückten Lauschen auf die perfekten, regelmäßigen Schläge. Dann stieg inmitten dieses Rhythmus ein Jahrtausende altes Gedicht auf und Mia fühlte sich auf wundersame Weise mit den Gläubigen verbunden, die ihr vorausgegangen sind.
Glücklich sind alle, denen Gott ihr Unrecht vergeben und ihre Schuld zugedeckt hat! Glücklich ist der Mensch, dem der HERR seine Sünden nicht anrechnet und der mit Gott kein falsches Spiel treibt!
Erst wollte ich meine Schuld verheimlichen. Doch davon wurde ich so schwach und elend, dass ich nur noch stöhnen konnte. Tag und Nacht bedrückte mich deine strafende Hand, meine Lebenskraft vertrocknete wie Wasser in der Sommerhitze. Da endlich gestand ich dir meine Sünde; mein Unrecht wollte ich nicht länger verschweigen. Ich sagte: »Ich will dem HERRN meine Vergehen bekennen!«
Und wirklich: Du hast mir meine ganze Schuld vergeben! Darum sollen alle, die dir treu sind, Herr, zu dir beten. Wer dich anruft, solange noch Zeit ist, der bleibt verschont von den Wogen des Unheils. Bei dir bin ich in Sicherheit; du bewahrst mich in aller Bedrängnis und lässt mich jubeln über deine Rettung.
Du sprichst zu mir: »Ich will dich lehren und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich berate dich, nie verliere ich dich aus den Augen. Sei nicht wie ein Pferd oder ein Maultier ohne Verstand! Mit Zaum und Zügel musst du sie bändigen, sonst folgen sie dir nicht!«
Wer Gott den Rücken kehrt, der schafft sich Not und Schmerzen. Wer jedoch dem HERRN vertraut, den wird Gottes Liebe umgeben. Freut euch an ihm und jubelt laut, die ihr den Willen des HERRN tut! Singt vor Freude, die ihr aufrichtig mit ihm lebt! (Psalm 32)
Wenn Freiheit einzieht
Nicht Mia musste die Welt vor dem Untergang retten, allein Gott ist der wahre Retter. Nicht Mia musste ihre Freunde und Bekannten vom Glauben überzeugen, allein Gott kann Herzen verändern und Glauben schenken. Und der Fels, auf den sie regelmäßig gefallen war, war ihr Herr Jesus höchstpersönlich. Neue Zuversicht durchströmte sie und sie ging auf ihre Knie vor dem Gott ihres Heils und sprach ein Gebet:
„Deine Gnade, Herr, ist die Quelle meines Lebens. Allein durch sie kann ich vor dir stehen und mich eines Lebens voller Durchbrüche erfreuen. Du allein bist der Retter, du bist Herr über diese Welt. Ohne dich kann ich nichts Gutes tun. Und aus eigener Kraft soll ich auch gar nichts tun. Du bist nicht überfordert von allem, was auf dieser Welt passiert. Du bist und bleibst souverän. Und auf dem Felsen deiner Wahrheit kann ich stehen, während meine eigene Wahrheit in sich zusammenfällt. In dir bin ich geborgen. In dir finde ich neue Stärke. In dir habe ich Hoffnung. Denn du allein bist der Gute Vater und ich bin deine geliebte Tochter.“
Wie es mit Mia anschließend weiterging, wollt ihr wissen? Das ist sie momentan selbst am Herausfinden. Zumindest versteht sie Stück für Stück, dass sie nicht alles wissen und nicht auf alles eine Antwort haben muss, dass sie sich auch gewaltig irren kann. Denn ihr Auftrag ist viel eher, von ihrem Herrn Jesus zu lernen und sich von ihrem Gott leiten zu lassen. Darin liegen Freiheit und Freude: Dass wir aus Gottes Gnade leben und nicht aus unserer eigenen Kraft.
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