Er ist katholischer Hochschulseelsorger in Frankfurt/Oder und freiwilliger Helfer für Geflüchtete aus der Ukraine. 2001 führt ihn ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Lwiw in die Ukraine, wo er ehemalige KZ- und Gulag-Häftlinge besuchte. Diese Erfahrung wird für René Pachmann zum Fundament seines späteren Engagements für ukrainische Geflüchtete. Der studierte Theologe arbeitete nach seinem Studium für Soldatenfamilien, später als Religionslehrer, Schulseelsorger und Gefängnisseelsorger.

Seit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine setzt er sich unermüdlich für ukrainische Geflüchtete in Frankfurt/Oder ein. Im Interview spricht er über seine Motivation, den Menschen in der Ukraine zu helfen, dem Wert von Engagement und die Herausforderungen.
Lieber René, in drei Worten: Was verbindet dich mit der Ukraine?
Freiheit, hilfreich und Gemeinschaft. Freiheit – als Leitmotiv der Ukrainerinnen und Ukrainer, für die sie weitaus länger als seit 2022 und 2014 kämpfen. Freiheit als Grundmotiv, das mir persönlich sehr nahe ist. Hilfreich, da mein persönlicher Einsatz für die Zugewanderten genau dort ansetzt, wo Hilfe tatsächlich benötigt wird. Und Gemeinschaft, da ich mir ein Netzwerk von Leuten suche, die mit mir zusammenarbeiten.
Erzähl uns, was treibt dich an, warum engagierst du dich schon seit so vielen Jahren für die Menschen und was hat dich in das Land geführt?
Ich wollte damals einen Freiwilligendienst im Ausland machen und kam so über Umwege zu einem Projekt in der Westukraine. Tatsächlich prägte mich damals, ich war ungefähr 21 Jahre alt, ein romantisches Russlandbild, sodass meine erste Reiseabsicht dieses Land war. Jedoch wurde ich von der Leitung des Auslandsressorts in die Ukraine geschickt, worüber ich im Nachhinein sehr froh bin.
2001 sprach und verstand ich weder Russisch noch Ukrainisch. Auch das war mir von Vorteil, da ich keine bereits vorhandenen Russischkenntnisse ins Ukrainische übertragen musste, sondern die Sprache von der Pieke auf lernen konnte, was positiv bei den Einwohnern und Einwohnerinnen aufgenommen wurde. Sie haben es sehr wertgeschätzt und sich sehr darüber gefreut, dass jemand ihre Sprache gerne erwerben möchte anstatt Ukrainisch nur als Zusatzsprache neben Russisch wahrzunehmen, woran ich mich bis heute gut zurückerinnere.
“Das war für mich eine sehr demütig machende Erfahrung, dass Menschen, die unter den Deutschen so gelitten haben, jemandem, der aus Deutschland kommt, so wohlwollend aufnehmen.”
Was ist dir ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Die Gastfreundschaft, mit welcher ich in der Ukraine empfangen wurde. Ich kam zu alten Menschen, die eine Zeit in deutschen Konzentrationslagern hinter sich hatten. Ich sollte ihnen als Freiwilliger in ihrem Alltag als Hilfe zur Seite stehen. Ich, als deutscher Freiwilliger, nahm an, dass sie mir gegenüber Wut verspüren, aggressiv sind und mir als Deutschem das vergangene Leid vorhalten würden. Aber sie nahmen mich sehr freundlich auf.
Ich konnte in sehr guten Kontakt mit den Menschen vor Ort treten. Das war für mich eine sehr demütig machende Erfahrung, dass Menschen, die unter den Deutschen so gelitten haben, jemandem, der aus Deutschland kommt, so wohlwollend aufnehmen.
Außerdem wurde ich in einer Gemeinschaft der Caritas sehr schnell aufgenommen und habe mich bei Ausflügen mit einer Gruppe von Behinderten sehr wohl gefühlt. Nach ungefähr einem dreiviertel Jahr in der Ukraine, sind wir gemeinsam in die Karpaten gefahren und haben dort Zeit zusammen verbracht, was einen wirklichen Höhepunkt für mich darstellt.

Was bedeutet die Ukraine heute für dich persönlich?
Für mich ist die Ukraine natürlich heute ein angegriffenes Land. Ich tendiere einerseits dazu, zu denken, dass es Opfer sind, denen es schlecht geht. Aber auf der anderen Seite wächst bei mir die Bewunderung für die Menschen, die die Ukraine verteidigen. Damit meine ich zum einem die Soldatinnen und Soldaten auf dem Schlachtfeld. Zum anderen meine ich auch die Menschen der Ukraine, die sich im kulturellen Sektor engagieren, um ihr Land hochzuhalten und nach vorne zu bringen.
Du hast auch in Deutschland Friedensgebete für die Ukraine mitgestaltet.
Ja, die Friedensgebete sind mit Beginn der Vollinvasion am 24.02.2022 entstanden und existieren nun beinahe drei Jahre in Frankfurt/Oder. Seitdem treffen sich nahezu jede Woche viele Menschen. Ich habe mich da von Anfang an engagiert. Es ist eine sehr bunte Gruppe, was sich besonders in den unterschiedlichen Meinungen widerspiegelt. So möchten manche, dass es so schnell wie möglich Frieden um jeden Preis gibt.
Dies sind Menschen aus der alten Friedensbewegung, die es bereits in der DDR gab. Sie haben eine große Skepsis dagegen, die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen. Und dann gibt es Menschen, die die Meinung vertreten, dass der Ukraine das gegeben werden soll, was ihr hilft. Diese Menschen sagen, und dazu schließe ich mich an, dass man die Ukraine auch mit Waffen unterstützen müsste. Ich denke, dass es gut ist, dass sich beide Seiten im Rahmen dieser Friedensinitiative begegnen, weil es wie ein Korrektiv für beide wirkt, da sich alles in einer Atmosphäre abspielt, die nicht sofort in Streit mündet und unterschiedliche Meinungen ausgesprochen werden können.
“Ich habe erkennen dürfen, was es bedeutet, mit wenigen Mitteln in ein fremdes Land zu kommen, und auf aktive Hilfe von fremden Menschen angewiesen zu sein.”
Und wie kam es zu deiner Entscheidung, Zugewanderte bei dir zu Hause aufzunehmen?
Ich war ganz am Anfang dabei, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine bei uns in Frankfurt/Oder ankamen und Hilfe organisiert wurde. Diese Menschen haben bereits in Polen bereits sehr viel Unterstützung durch Freiwillige erfahren, beispielsweise im Zug bei der Essensausgabe. Außerdem haben sie dort Sim-Karten und Plüschtiere für Kinder erhalten. Wir haben von deutscher Seite aus versucht, Spenden zu sammeln. Außerdem haben wir versucht, genau das zu geben, was tatsächlich gebraucht wurde. Dazu zählen auch Windeln, Futter für mitgebrachte Tiere, Getränke und verschiedene andere Dinge.
Aus diesen Hilfs- und Unterstützungsaktionen am Bahnhof ergab sich, dass ich eine Frau mit ihrem Sohn kennengelernt habe, die nach mehreren Tagen Fahrt erst einmal in Frankfurt/Oder bleiben wollten, um neue Kräfte zu sammeln. Die beiden habe ich dann bei mir daheim aufgenommen. Dies war eine sehr intensive Zeit. Ich habe erkennen dürfen, was es bedeutet, mit wenigen Mitteln in ein fremdes Land zu kommen, und auf aktive Hilfe von fremden Menschen angewiesen zu sein. Gerne habe ich die beiden durch das bürokratische Labyrinth geführt und bei Behördengängen, der Anmeldung zu Sprachkursen, der Wohnungssuche und bei anderen Dingen unterstützt.
Welche Herausforderungen und welche Bereicherungen hast du während der Zeit erlebt, in der du diese Menschen nun bei dir hattest?
Herausfordernd war tatsächlich die sprachliche Verständigung, da die Familie nur Russisch gesprochen hat, ich dagegen nur über ukrainische Sprachkenntnisse verfüge. Bereichernd und herausfordernd zugleich, war es, herauszufinden, eine Wohnung für die Familie zu erhalten, wenn nur die Unterstützung vom Sozialamt vorhanden ist.
Außerdem war es spannend, herauszufinden, was man dafür machen muss und wie man die Wohnung einrichtet. Dies stellte Lernprozesse und gleichzeitig eine Horizonterweiterung für mich dar, diese Prozesse begleiten und unterstützen zu dürfen. Was mich hier sehr bewegt, sind die vielen Frankfurterinnen und Frankfurter, die den Zugewanderten Möbel gespendet oder zu einem sehr guten Preis ihre Küche abgegeben haben. Dafür bin ich persönlich sehr dankbar.
“Menschen zu integrieren, indem man sie einlädt und indem man gemeinsame Dinge tut, ist in der deutschen Gesellschaft noch eine große Herausforderung.”
Wie hast du dann den Geflüchteten geholfen, hier in Deutschland Fuß zu fassen?
Für mich ist dies damit verbunden, Menschen die Möglichkeit geben zu können und zu nutzen, sich gesellschaftlich zu engagieren und aktiv werden zu können. Als es beispielsweise das große Hochwasser an der Oder gab, haben sich einige Ukrainer und Ukrainerinnen als Freiwillige engagiert, die Sandsäcke nach einem Aufruf der Feuerwehr wieder auszuleeren. Daran merke ich, dass ein Interesse vorhanden ist, sich gesellschaftlich zu engagieren, um dieser etwas zurückzugeben.
Dabei ist mir von deutscher Seite aufgefallen, dass diese Engagement nicht immer erwünscht ist und dass die Deutschen im Bereich vom Bilden von Gemeinschaften (community building) nicht so gut sind. Menschen zu integrieren, indem man sie einlädt und indem man gemeinsame Dinge tut, ist in der deutschen Gesellschaft noch eine große Herausforderung.
Viele Geflüchtete aus der Ukrainer berichteten, dass es für sie in Deutschland sehr schwer ist, gute Bekannte und Freunde zu finden. Mir fiel dabei auf, dass die deutsche Gesellschaft hinsichtlich der sozialen Unterstützungsleistungen betrachtet, gut aufgestellt ist, auch vom europäischen Durchschnitt her betrachtet. Aber wenn es in Deutschland darum geht, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen, und mit Menschen aus anderen Kulturen dauerhaft verbunden zu bleiben, dann gilt es noch eine große Barriere zu überwinden. In den Nachbarschaften und in den Vereinen, in Kirchengemeinden, in den Schulen – an allen Orten, wo sich Deutsche engagieren – müssen wir gerne lernen, offen zu sein.

Hast Du ein Beispiel?
Wir hatten im Sommer 2022 gemeinsam auf der Straße überlegt, was ein gutes Wort für einen Ort und eine Stadt wäre, welches man in den Sprachen Deutsch, Polnisch und Ukrainisch auf die Fußwege malen kann. Wir hatten einige Zeit damit verbracht, Einladungen in die ukrainische Gemeinschaft zu schicken, um diese zur praktischen Umsetzung des Straßenwörterbuchs zu motivieren. Und tatsächlich waren immer Menschen dabei, die gemeinsam im Stadtraum unterwegs sein und etwas Kreatives machen wollten. Das habe ich als sozial integrativ erlebt.
Während der kreativen Phase denkt man gemeinsam über das passende Wort nach. Daran anschließend, in der praktischen Phase, malt man das Wort mit einer Rolle und Schablonen auf den Weg. Und zum Abschluss folgt eine gemeinschaftliche Phase, in welcher darauf gewartet wird, dass die Wörter trocknen. Dabei trinkt man etwas und unterhält sich. Dieses sehr niedrigschwellige Angebot erfolgt mit den Mitmachenden und den Passanten, die vorbei kommen. Für mich stellt dies eine ideale Form des Zusammenkommens dar. Aber es ist auch etwas, das nicht lange dauert, da es lediglich eine einmalige Aktion darstellt.
Welche Projekte, glaubst du, helfen momentan ukrainischen Geflüchteten besonders?
Mir liegt der im Jahr 2022 gegründete Verein „Helping Hands Blaue Brücke e.V.“ sehr am Herzen. Mit diesem gemeinsam helfen wir Menschen beim Ausfüllen von Dokumenten, bei Arztbesuchen und unterstützen sie mit zusätzlichen Sprachhilfen als Sprachcafé, in dem Menschen die in den Sprachkursen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten praktisch anwenden können.
Aktuell unterstütze ich Ukrainerinnen und Ukrainer dabei, Demonstrationen zu veranstalten, wenn sie dies auf dem Herzen tragen. Dabei reicht mein Einsatzfeld vom Malen der Plakate, dem Organisieren der Veranstaltungsanmeldung bei einer Demonstration bis hin zu verschiedenen anderen Dingen. Außerdem haben wir nun bereits schon zum zweiten Mal eine Ukraine-Kunstauktion organisiert und durchgeführt, mit der wir vor allem der Zivilbevölkerung der Ukraine helfen wollen. 2023 war es noch leichter, Hilfstransporte in die Ukraine zu organisieren, die durch den Erlös der ersten Kunstauktion möglich gemacht wurden. Im Rahmen der zweiten Kunstauktion im Dezember 2024 können wir den Erlös einer Hilfsorganisation in Dnipro spenden, welche Binnenflüchtlinge unterbringt und versorgt.
guter Artikel