“Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge”, die „Sonette an Orpheus und die „Duineser Elegien“ stammen aus seiner Feder, das Gedicht „Der Panther“ auch: Die Rede ist von Rainer Maria Rilke. Doch dass der Autor, der sich nicht eindeutig auf eine Epoche festlegen lässt, auch Bezüge zu Engeln hatte, wissen die wenigsten – einer von ihnen ist Uwe Wolff, der sich in „Tausend Nächte tief“ dieses Thema zur Brust genommen hat.

„Tausend Nächte tief“: Der Theologe Uwe Wolff nähert sich dem Dichter und Schriftsteller Rainer Maria Rilke von einer eher ungewöhnlichen Seite, denn sein Fokus liegt auf Engeln. Von der Kindheit bis zum Grab zeichnet Uwe Wolff ein Bild von Rilke voll von theologischen, literarischen und psychologischen Deutungen und schafft es, ein vielschichtiges Porträt Rilkes zu zeichnen.
Rainer Maria Rilke als Suchender
In seinen „Duineser Elegien“, zehn Klagegedichten, die Rilke 1912 beginnt und 1922 abschließt, bilden Engel das literarische Leitmotiv. Rilke allerdings bezweifelt die Existenz von Engeln, die zwar „hinter den Sternen“ sind und sieht die Beziehung zwischen Mensch und Engel als hypothetisch. Die Engel sind „Vögel der Seele“, so sagt es Rilke. Der Engel diene als Beschreibung dessen, was der Mensch nicht sein kann: Der Engel verfügt über unendliches Bewusstsein, hat dabei aber keine körperliche Existenz. Rilke beklagt die Differenz zwischen Mensch und Engel als schmerzlich.
Für Rainer Maria Rilke seien Engel nicht biblisch-orthodox, sondern Symbole für das Absolute, Unendliche und menschlich Unerreichbare; sie seien gewissermaßen eine Wirklichkeit, die für den Menschen eigentlich nicht erträglich ist. Engel stehen für ihn an der Grenze zwischen dem Sicht- und Fassbaren und dem Transzendenten – dem Jenseits.
Für Rilke ist der Engel eine Projektionsfigur für Sehnsucht und Angst zugleich. Deshalb kann zurecht gesagt werden, dass Rainer Maria Rilke einerseits ein Suchender war, der andererseits aber überfordert war mit dem, was er finden wollte.
Ehe und Vaterschaft: Der Kampf mit dem Engel der Berufung
Aus dem Leben Rainer Maria Rilkes sei ein Kapitel herausgegriffen – die Eheschließung mit der Bildhauerin Clara Westhoff 1901. Die Ehe gilt durchaus als Berufung, doch bei Rilke sei es, so Wolff, anders gewesen, denn Clara ist vor der Hochzeit schwanger geworden. So ist es eine „erzwungene Berufung“, für die Rilke sogar aus der katholischen Kirche austreten musste. Die Ehe, in Claras Elternhaus geschlossen, hielt trotz der Tochter Ruth, die am 12. Dezember 1901 zur Welt kam, nicht. „Der Engel der Berufung stellt sich in diesem Fall gegen die Familie“, resümiert Uwe Wolff. Hingabe des Vaters und der Mutter an die Erziehung und das Leben der Tochter? Fehlanzeige. „Statt Stoffwindeln von Lahmann zu waschen, schreibt der junge Vater Gedichte“, unter anderem „Der Ölbaum-Garten“, in dem sich Jesus vor seiner Passion mit den Jüngern aufhält und „Der Schutzengel“, der den Menschen von seiner Zeugung an begleitet.
Auf der anderen Seite steht Rilke – geboren 1875 in Prag – unter dem starken Einfluss dieser Geschöpfe, wenn seine Mäzenin Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe in ihren Erinnerungen schreibt, dass „[Rilke] mit großer Freude […] die prachtvollen Engelsgestalten der Bibel [betrachtete].“ Beheimatet in der katholischen Kirche und ihren Ritualen – zumindest bis zu seiner Hochzeit -, sind Engel für den jungen Dichter Trostspender und Projektionsflächen seiner seelischen Prozesse.
Er ist im katholischen Glauben aufgewachsen, empfand ihn aber zeitlebens als Zwang. Bereits als junger Mann löste er sich von kirchlichen Dogmen und vom kirchlich geprägten Glauben. Uwe Wolff gelingt es in seiner – wie er es selbst nennt – spirituellen Biografie über Rainer Maria Rilke, ihn nicht nur als bedeutender Lyriker und Romancier, sondern auch als Mensch voller Sehnsucht darzustellen. „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht sein“: Rilke war kein praktizierender Christ und stand der Institution Kirche kritisch gegenüber. Dennoch blieb Rilke zutiefst religiös im weiteren Sinn: Sein gesamtes Werk ist durchzogen von Fragen nach Sinn, Transzendenz, Tod, Ewigkeit und der Sehnsucht nach dem „Göttlichen“.






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