Umso höher Frauen die Karriereleiter emporsteigen, desto mehr Männer sind um sie herum – das gilt im Besonderen für Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft. Eine Quote soll das ändern.
Im Juni 2020 antwortete Volker Herres, Programmdirektor der ARD, auf die Frage, warum so wenig moderierende Frauen zu sehen sein. Er sehe da ein „Defizit“, aber ihm falle „aktuell kein weibliches Pendant etwa zu einem Kai Pflaume“ ein. Er sei gewollt, das zu ändern. Wenn er jemanden übersehen hätte, solle man sich bei ihm melden. Gesagt, getan. Eva Schulz, Journalistin und Moderatorin, hat sich über Twitter „gemeldet“. Als Gedächtnisstütze reicht sie eine Liste mit 31 Frauen ein, die für diesen Job in Frage kämen.
Mittlerweile hat Moderatorin Ariane Alter ihre Show „Late Night Alter“ im ZDF. Reichen kann das noch lange nicht, denn das Beispiel zeigt, wie Nichtsichtbar-Sein und Nichtvorhanden-Sein zusammenhängen. Dies lässt sich auf viele gesellschaftliche Bereiche anwenden. Einer von diesen, in dem der Frauenanteil deutlich abnimmt, je näher man der Chef:innenetage kommt, ist und bleibt die deutsche Wirtschaft. Trotz freiwilligen Verpflichtungen der Unternehmen selbst sind gerade einmal etwas mehr als sieben Prozent der Vorstandsmitglieder weiblich (Quelle: BMFSF). Von anderen unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise “BiPoC”(Black, Indigenous, People of Color), ganz zu schweigen.
Die hitzige Diskussion um Quoten ist nicht neu. Doch schien es zuletzt, als wäre sie nach der Einführung der Quote für Aufsichtsräte, dem ersten Teil des Gesetzes für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG), wieder von der politischen Bildfläche verschwunden. Für die Umsetzung des zweiten Teils bezüglich der Vorstände brachte die Kampagne #EsReicht #IchWill zunächst nicht den erwünschten frischen Wind. Also legten die Initiatorinnen im Oktober mit dem Hashtag #IchWillImmerNoch nach. Vergleichsweise überraschend kam Ende November die Nachricht, die Große Koalition hätte sich auf eine neue Regelung geeinigt.
Was wird jetzt anders?
Zum ersten Mal wird es nun verbindliche Vorgaben geben, um mehr Frauen in Vorständen zu realisieren. Doch diese greifen nur für bestimmte Unternehmen – solche, die börsennotiert und paritätisch organisiert sind – und für Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern. Die Quote besagt, dass in diesen Fällen mindestens eine Frau Teil des Vorstandes sein soll. Sie bedeutet aber auch, dass ein Vorstand von zehn Personen ebenfalls nur eine Frau einstellen muss. Genau genommen ist es also keine Quote, wenn man unter dieser versteht, dass sie sich aus prozentuellen Anteilen ergibt. Auch gilt die Regelung nur für neue Vorstandszusammensetzungen.
Zahlen zeigen: Ohne gesetzliche Quote geht (fast) nichts voran
Bislang konnten Unternehmen freiwillige Quoten einführen. Doch dass dies nicht viel brachte, zeigen klare Zahlen: in 80 Prozent der deutschen Unternehmen sitzt keine Frau im Vorstand, 70 Prozent davon haben auch nicht vor, dies zu ändern (BMFSF). Für knapp 70 Unternehmen würde die kommende Regelung gelten, in 30 von diesen liegt der Männeranteil bei 100 Prozent.
Die Quote für Aufsichtsräte deutscher Unternehmen, die zu einem Frauenanteil von mindestens 30 Prozent verpflichtet, zeigt, dass Veränderung möglich ist: Seit Inkrafttreten dieser Regelung im Jahr 2015 stieg dieser von 25 Prozent auf 35 Prozent im letzten Juni. Selbst in Unternehmen, die nicht verpflichtet sind, zeigen sich Entwicklungen: Mit knapp 20 Prozent haben diese einen (im Vergleich zu Vorständen) großen Frauen-Anteil. Nach dieser Messung sind Quoten effiziente Mittel, um den Stein ins Rollen zu bringen. Laut sind aber auch viele kritische Stimmen, die in ähnlicher Form immer wieder in der Quotenfrage auftauchen. Etwa die Befürchtung vor staatlicher „Überregulierung“, die zuletzt der Wirtschaftsflügel der Union äußerte. Rechtlich betrachtet ist der Staat dazu befähigt, denn in Artikel drei des Grundgesetzes heißt es, er „fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Man könnte also spitz sagen, es steht unternehmerische Freiheit gegen Grundrecht
Oder es heißt, eine Quote benachteilige Männer strukturell, weil ihre Chancen auf einen Vorstandsposten geringer wären wegen ihres Geschlechts und dass Frauen diesen vorgezogen werden könnten, selbst wenn ihre Qualifikationen gleich sind. Das Ironische an diesem Argument ist, dass es genau davor warnt, was aktuell und ohne Quote vielen Menschen widerfährt – Frauen, deren Chancen auf einen Vorstandsposten geringer als für andere sind – wegen ihres Geschlechts. Und dass Männer ihnen vorgezogen werden, auch wenn ihre Qualifikationen gleich (oder schlechter) sind. Man könnte sie also auch Quotenmänner nennen, denn, wie gesagt, gibt es Unternehmen, die sich an eine Null-Prozent-Quote halten…
Die Erklärung dafür ist simpel: Auch wenn es darum geht, ein neues Vorstandsmitglied zu bestimmen, tritt der „Unconscious Bias“ auf. Unbewusst bevorteilt man Personen, die einem selbst ähnlicher sind, da man sie besser einzuschätzen glaubt. Da Vorstände männlich dominiert sind, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gedanke an einen männlichen Kandidaten schneller als der an eine Frau. Auch die Bewertung von Fähigkeiten schließt sich daran an. Es geht darum, diese festgefahrenen Kreisläufe zu durchbrechen. Zur Not mit einer Quote, die einen einzigen Dominostein entfernt und so die rasante und selbstverständliche Kettenreaktion aufhält.
Wie dringend das ist, zeigen viele Erfahrungsberichte. Wer sie nicht selbst kennt, der frage sich, ob es Zufall oder System hat, dass Frauen deutlich öfter danach gefragt werden, wie sie „das mit Familie und Karriere“ zu machen gedenken. Ich wage mal zu behaupten, Männer werden weniger häufig gefragt, doch relevant ist das Thema für sie genauso. Nachhaltige Strukturen für Nachfolger:innen und Mitarbeiter:innen schafft eine Quote nicht per se. In die Hand müssen das die entscheidenden Personen selbst nehmen – also weit hinaus über ihren (bezahlten) Posten im Aufsichtsrat. „Quotenfrauen“ kommt somit eine zusätzliche Aufgabe zu als Kollegen. Warum wird dieser Ausdruck dann immer als ernüchterndes Argument gegen die Quotendiskussion verwendet, als ob man weniger Verantwortung und Legitimität hätte?
Was ist so schlimm daran, eine Quotenfrau zu sein?
In der Titelgeschichte „Ich bin eine Quotenfrau“ des STERNs erzählen vierzig Frauen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens, warum sie eine Quote befürworten – und warum man sich nicht zu schämen braucht, eine Quotenfrau zu sein. Sie ist Beweis, dass sich etwas tut und gibt jeder Frau jetzt das Recht, im Vorstand zu sitzen. Wir müssen anfangen, das als unser Recht zu begreifen, denn wie Palina Rojinsky sagt: „Du darfst nicht fragen, bis jemand fragt.”
Angela Merkel ist eine Quotenfrau. Noch dazu eine, die selbst nach fünfzehn Jahren seit Amtsantritt als Ausrede dafür herhalten muss, dass ein Land mit Bundeskanzlerin keine Quote braucht. Doch auf wie vielen Bilder ist sie die einzige Frau, meistens im bunten Kostüm und optisch in der Mitte platziert? Und wie viel häufiger dreht sich die Aufmerksamkeit um die Kleiderwahl von „Mutti der Nation“ als bei ihren Anzug tragenden Kollegen?
Die Quote hat Symbolcharakter, weil sie Diversität sichtbar macht und Vorbilder für Nachwuchs schafft. Ob sich mit ihr auch Unternehmensstrukturen, Arbeitsleben oder Machtfragen ändern, dafür kann keine Quote ausreichen. Ein Zugewinn ist sie aber in jeder Hinsicht für alle – sowohl für Männer wie auch für Frauen. Sie bringt frischen Wind in alteingesessene Strukturen. Sie ist aber kein Endziel und schon gar keine Ausrede, um jetzt aufzuhören.
Monika Berkmueller
Gut geschrieben…
Mach weiter so …
Lg moni