Zahlreiche Lehrer haben mich beeinflusst, motiviert und dabei unterstützt, mich weiterzuentwickeln. Aber mit keinem anderen Lehrer habe ich mich so sehr angefreundet wie mit diesem. Ein Porträt.
Ich kam ziemlich verspätet an. Sein Sohn, F., grüßte mich im Treppenhaus. Wir hatten uns seit etwa zwei Jahren nicht mehr gesehen.
„Ich kenne ihn nicht! Papa, wer ist das?“, fragte F. seinen Vater.
„Hallo, Juan, du siehst doch ein bisschen anders aus“, sagte mein Lehrer spielerisch.
Ein Treffen alter Freunde
Das Gespräch verlief zurückhaltend und wirkte gezwungen. Mein Lehrer spricht gerne. Dabei wirft er sich vollständig in tief ausgeführte Erzählungen hinein. Normalerweise spreche ich auch viel, aber bei ihm schweige ich lieber, lausche seinen Ausführungen und verliere mich gleichzeitig in den Gedanken, die mir durch das Gesagte in den Kopf kommen.
Dennoch fällt es niemandem leicht, den Gesprächspartner nie zu unterbrechen. Während des Zuhörens entwickeln sich Gegenargumente, Korrekturen und andere Kommentare, die unbedingt ausgesprochen werden wollen.
„Der Schule steht eine große Wende bevor,“ fing mein Lehrer an, „vor allem wurden viele Lehrerinnen und Lehrer aufgenommen, die mit den modernen Unterrichtsformen vertraut sind.“
Lehrer und Schüler auf Augenhöhe
Er sprach über seine Investitionen und Verluste im Aktienmarkt. Ich fragte ihn, ob er sich Aktien vor dem Kauf genauer anschaut? Er erwiderte, er folge den Trends. Nur mit dem Investieren hätte er in meinem Alter schon anfangen sollen. Sein Vermögen hätte er dadurch vermutlich deutlich steigern können. Er geht heutzutage ein höheres Risiko ein, in der Hoffnung, die verpassten Gewinne nachzuholen.
Ich erzählte ihm, dass ich mich früher kaum mit Finanzen auskannte. Heute könnte ich allerdings leicht auf etwas Unbedeutendes verzichten, wenn dies mir erleichtert, in der Zukunft etwas Besseres zu erreichen.
Drei Männer, drei Generationen
Am Nachmittag gingen wir mit F. im Städtchen spazieren. Er hatte die Grundschule seit einer Woche hinter sich und hatte bei seiner Abschlussparty reichlich geweint und geheult. Der zehnjährige F. meinte, die beste Zeit seines Lebens sei bereits vorbei.
Bei Abenddämmerung und auf dem Weg nach Hause haben wir uns die Realschule angeschaut, die F. ab diesen Herbst besucht. Das moderne Gebäude ähnelte einem grauen und gewaltigen Glaswürfel, umgeben von hochgewachsenen Bäumen und Büschen: eine Art Kaaba im Grünen, wo sich weiträumige Physik- und Chemieräume befinden sollen, die komplett ausgestattet seien. Letzteres gefalle meinem Lehrer ganz besonders. F. freue sich vor allem darüber, dass auch seine besten Freunde auf diese Schule gehen werden.
Die vielen Formen der menschlichen Lehre
Ich komme aus einer Lehrer-Familie und ehre den Beruf. Was einen dazu bringt, Jüngeren etwas beibringen zu wollen, scheint mir höchst selbstlos zu sein. Ob es gute und schlechte Lehrer gibt, weiß ich nicht.
Jeder und jede unterrichtet anders; im Endeffekt lernt ja jeder auf seine eigene Weise.
Anders betrachtet ist mir dieser Lehrer in erster Linie ein guter Freund. Wie schön wäre es, gute Freunde für Lehrer zu halten, die uns häufiger das beibringen, was sie irgendwann lernen mussten.
Der Unterricht des Selbst
Wie viel schöner wäre es, Lehrer des eigenen Selbst zu werden. Sich selbst daran zu erinnern, was wir mit Schweiß und Blut gelernt haben. Ich meine nicht Exponentialgleichungen und den Aufbau einer Pflanzenzelle, sondern, durch welche Mittel wir mal Depressionen überstanden haben, was für sich selbst die beste Ernährung sein könnte oder was wir in der Vergangenheit so gerne gemacht haben, dass wir uns selbst bei der Tätigkeit so vergessen haben, dass wir den Marsch der Stunden nicht mehr gespürt haben.
Um sich selbst zu unterrichten, muss man sich selbst wenigstens teilweise kennengelernt haben. Wie ein Lehrer, dessen höchstes Streben darin liegt, sich vollständig verständlich zu machen.
Bildung, der Wegbereiter aller Menschen
Das ist zumindest das Streben meines alten Lehrers. Das hat er seinem Sohn und mir verraten, als wir ihm durch den Wald folgten.
„Schaut euch dieses Bächlein an, an dem niemand vorbeigeht. Ich bin schon alle Pfade und Wege hier bis ans Ende gegangen. Die meisten enden abrupt im Nirgendwo. Ich zeige euch jetzt die, die uns zu etwas führen“, sagte er abschließend – und brachte mich zum Nachdenken.
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