Was ist, wenn Ängste beginnen, sich ihren Weg nach und nach tiefer in unseren Alltag zu bahnen und die Kontrolle über unser Leben zu ergreifen? Wenn der Gang zum Arzt, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel oder das Treffen mit Freunden zur Unmöglichkeit wird, handelt es sich häufig um eine phobische Störung, die zu gravierenden Einschränkungen im Alltag führen kann.
Die unerkannte Krankheit

Obwohl Phobien mit zu den häufigsten Störungen in der deutschen Bevölkerung zählen, werden sie oft nicht diagnostiziert und bleiben daher unbehandelt. Nicht selten empfängt der Allgemeinmediziner Patienten, die über Atembeschwerden, Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern und Brustschmerzen klagen. Wenn auch nach mehreren medizinischen Tests keine Ursache gefunden werden kann, bleibt der Patient mit seinen Beschwerden allein zurück.
Was er jedoch nicht weiß: Die Ursache für seine körperlichen Empfindungen ist psychischer Natur. Gerade die soziale Phobie kommt besonders häufig vor. Sie zählt zu der dritthäufigsten psychischen Störung und ungefähr jede zehnte Person ist im Laufe ihres Lebens von ihr betroffen. Perfiderweise ist die Chance auf eine Behandlung bei der sozialen Phobie am geringsten, da es Betroffenen aus Angst vor sozialer Erniedrigung besonders schwerfällt, sich einem Therapeuten anzuvertrauen.
Was für Angsttypen gibt es überhaupt und wie fühlt sich eine Phobie an?
Im internationalen statistischen Klassifikationssystem für Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme (kurz: ICD 10), zählen zu den phobischen Störungen die Agoraphobie, die soziale Phobie und spezifische Phobien. „Agoraphobie“ beschreibt im klassischen Sinne die Furcht oder das Vermeiden von Menschenmengen und öffentlichen Plätzen. Betroffene verlassen zum Teil kaum die eigenen vier Wände. Etwa einer von zwanzig Personen leidet im Laufe seines Lebens unter Agoraphobie. Die soziale Phobie umfasst die Angst, im sozialen Mittelpunkt zu stehen und gedemütigt oder erniedrigt zu werden, beziehungsweise das Vermeiden sozialer Situationen, aus Angst vor eventueller Erniedrigung.
Der Psychotherapeut und klinische Psychologe Alfons Hamm unterteilte die spezifischen Phobien in vier Arten: Den Umwelttypus, der sich häufig vor Stürmen, Gewitter, Dunkelheit oder ähnlichen Umweltbedingungen fürchtet. Den Tier-Typus, der besonders Angst vor Tieren, wie zum Beispiel Spinnen oder Würmern hat. Den situativen Typus, den spezielle Situationen wie das Fahren in Fahrstühlen oder Reisen im Flugzeug ängstigen und den Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus, der aversive Reaktionen beim Anblick von Blut oder medizinischen Eingriffen zeigt.
Des Weiteren verzeichnet der ICD-10 unter „Anderen Angststörungen“ noch die Panikstörung, die generalisierte Angststörung und die Angst mit depressiver Störung gemischt. Für jeden speziellen Typus von Phobie oder Angststörung gibt es individuelle Symptome, welche die Störung von den anderen abgrenzen. Allgemeine Angstsymptome, die jedoch in jedem klassisch-phobischen Störungsbild gefunden werden können, sind unter anderem: Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern, Mundtrockenheit, Atembeschwerden, Beklemmungsgefühle, Brustschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Selbstentfremdung, Angst vor dem Verrückt-Werden, Angst vor Kontrollverlust und Tod.
Warum Angst eigentlich gut ist
Eine Phobie kann das Leben eines Betroffenen einschränken und behindern, wie es sich Außenstehende kaum vorstellen können. Dabei hat die Angst eigentlich eine extrem wichtige Funktion, nämlich unser Leben zu schützen. Denn die Angst ist eine evolutionsbiologische Reaktion, die uns davon abhält, uns in gefährliche Situationen zu begeben. Empfinden wir Angst, fließt Blut zu den Skelettmuskeln und vor allem in die Beine, damit wir besser fliehen können. In der alltäglichen Wahrnehmung werden die aufgenommenen Eindrücke über den Neokortex kognitiv und bewusst verarbeitet und eine emotionale Reaktion wird im limbischen System gebildet.
Sieht sich der Mensch jedoch mit einer Gefahrensituation konfrontiert, nimmt die Informationsverarbeitung eine Abkürzung. Unter Auslassung des Neokortex, einem Teil der Großhirnrinde, wird das limbische System auf direktem Wege aktiviert und es wird eine „fight or flight-Reaktion“ ausgelöst. Das limbische System entscheidet also, ob man flieht, oder der Situation nicht ausgewichen werden kann und ein körperlicher Kampf stattfinden muss. Dies alles geschieht im Auge der Gefahrensituation in Sekundenschnelle, ohne dass wir eine eigenständige Entscheidung treffen, wie wir uns spontan verhalten. Unser Verhalten in solchen Situationen ist buchstäblich vorprogrammiert und kann nicht bewusst gesteuert werden. Die eigentlich adaptive Lebensretter-Funktion von Angst kann aber auch zum Verhängnis werden, zum Beispiel, wenn Situationen, die objektiv kein Risiko darstellen, als gefährlich interpretiert werden. Phobien sind häufig das Resultat solcher Fehleinschätzungen.
Risikofaktoren für Phobien

Die meisten Angststörungen beginnen zwischen der Jugend und dem frühen Erwachsenenalter. Die genetische Variable spielt hierbei in Bezug auf die Empfänglichkeit auch eine Rolle. Bei der Agoraphobie besteht eine Erblichkeit von über sechzig Prozent und bei Panikstörungen haben Verwandte ersten Grades von Betroffenen ein vier bis siebenfach erhöhtes Risiko, auch eine Panikstörung zu entwickeln. Bei sozialen Phobien können auch aversive soziale Erlebnisse, wie zum Beispiel Mobbing, einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Die größte Bedeutung haben jedoch Erziehungsstil und familiäres Klima. Menschen, die in sehr kontrollierenden oder überbehüteten Haushalten aufgewachsen sind, haben ein erhöhtes Risiko, eine soziale Phobie zu entwickeln. Fehlende Wärme und emotionale Zuwendung in der Kindheit können auch zu phobischen Störungsbildern beitragen.
Wer an einer Angststörung leidet, ist nicht allein. Er oder sie kann sich professionelle therapeutische Hilfe suchen und auf diesem Wege Genesung erfahren. Da jedoch alle Menschen im Laufe ihres Lebens an kleineren Ängsten leiden, können bestimmte Strategien durchaus helfen, um zu verhindern, dass die Angst immer größer wird. Ist eine Angst nicht krankhaft und somit nicht klinisch relevant, können diese Strategien für den Privatgebrauch durchaus hilfreich sein. Bei krankhaften Ängsten sollte jedoch in jedem Fall professionelle, therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden. In Kürze erfahrt Ihr in einem folgenden Artikel, „Mit der Angst leben lernen“, wie therapeutische Strategien zur Angstbekämpfung eingesetzt werden können.
Schreibe einen Kommentar